BGH: Verteilerkasten

BGH, 5. Strafsenat – 5 StR 166/79 – Beschluß vom 13.11.79

Leitsatz:

Wer auf einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost ein Plakat klebt, ohne damit die Substanz des Kastens zu verletzen oder seine Brauchbarkeit zu beeinträchtigen, begeht keine Sachbeschädigung.

Gründe:

I. Den Angeklagten wird zur Last gelegt, ein 40 x 60 cm großes, buntes Plakat an einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost geklebt zu haben; ein Polizeibeamter, der den Vorgang beobachtet hatte, hat das Plakat wieder abgezogen. Das Amtsgericht hat die Angeklagten wegen versuchter Sachbeschädigung verurteilt. Das Landgericht hat sie freigesprochen. Dem Verteilerkasten eigne nach seiner Zweckbestimmung keine Ansehnlichkeit, die durch das Bekleben mit einem Plakat beeinträchtigt werden könne. Nach den Feststellungen war das Erscheinungsbild des Verteilerkastens so schlicht wie möglich nach den technischen Erfordernissen gestaltet und nicht darauf ausgerichtet, auf den Betrachter gefällig zu wirken. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg möchte der Revision der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil stattgeben und die Tat als vollendete oder versuchte Sachbeschädigung bewerten. Das Oberlandesgericht hält es in diesem Zusammenhang nicht für erforderlich, daß der betroffenen Sache “vom ästhetischen Standpunkt ihrer Zweckbestimmung nach Ansehnlichkeit eigen ist”; zur Erfüllung des in § 303 StGB bezeichneten Straftatbestandes genügt nach Ansicht des vorlegenden Gerichts eine Einwirkung, “die zwar keine stoffliche Verringerung oder Verschlechterung des Gegenstands, wohl aber eine belangreiche Veränderung der äußeren Erscheinung und Form unter wesentlicher Verletzung des Gestaltungswillens und Zweckbestimmung des Eigentümers mit sich bringt”. Es sieht sich an der beabsichtigten Entscheidung durch das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 3. Strafsenat – vom 28. April 1977 (JZ 1978, 72 = Die Justiz 1977, 432 = MDR 1977, 1037) gehindert, das bei gleichem Sachverhalt die gegenteilige Auffassung vertreten hat. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG zur Entscheidung über die folgende Frage vorgelegt:

Kann der Tatbestand der (vollendeten oder versuchten) Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB durch Aufkleben eines Plakats auf einen Postverteilerkasten, der nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten, sondern nach technischen Erfordernissen gestaltet ist, verwirklicht werden, obwohl dieser nach seiner Zweckbestimmung keine eigene Ansehnlichkeit hat?

II. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben. Allerdings beschreibt die Vorlegungsfrage die Meinungsverschiedenheit zwischen dem vorlegenden Gericht und dem Oberlandesgericht Karlsruhe (Urteil vom 28. April 1977, JZ 1978, 72 = Die Justiz 1977, 432 = MDR 1977, 1037) nur undeutlich. Die beiden Oberlandesgerichte sind sich ersichtlich darin einig, daß eine Sachbeschädigung vorliegt, wenn beim Aufkleben eines Plakats die Substanz des Verteilerkastens erheblich verletzt oder seine technische Brauchbarkeit nachhaltig beeinträchtigt worden ist. Die Meinungsverschiedenheit bezieht sich demnach nur auf Fälle, in denen es an einer solchen Substanzverletzung oder Beeinträchtigung der technischen Brauchbarkeit fehlt. Der Senat hat sich demnach nicht mit den Fällen zu befassen, in denen das Bekleben die Substanz des Verteilerkastens, zu der auch Lack- und Farbanstrich gehören, in einem nach der Größe (OLG Oldenburg JZ 1978, 79) und dem Erhaltungszustand des Verteilerkastens in Gewicht fallenden Umfang beschädigt oder derart in Mitleidenschaft gezogen hat, daß eine Reinigung zwangsläufig zu einer solchen Beschädigung führen muß. Außer Betracht bleiben desgleichen die Fälle, in denen die fernmeldetechnische Brauchbarkeit des Verteilerkastens, zu der auch seine Zugänglichkeit für Postbedienstete gehört, in erheblichem Maße beeinträchtigt worden ist. Im Hinblick auf die verbleibenden Fälle des Beklebens von Verteilerkästen besteht zwischen dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg und dem Oberlandesgericht Karlsruhe eine Meinungsverschiedenheit, die vom Standpunkt des vorlegenden Gerichts entscheidungserheblich ist: Das OLG Karlsruhe hat in seinem Urteil vom 28. April 1977 die Anwendbarkeit des § 303 StGB verneint, weil dem Verteilerkasten nach seiner Zweckbestimmung keine Ansehnlichkeit eigne; nach Ansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts ist dieses Merkmal bei der Anwendung des § 303 StGB bedeutungslos.

III. Der Senat teilt die Ansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts, daß es bei Verteilerkästen nicht darauf ankommt, ob sie nach ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet und ansehnlich sind. Er vertritt jedoch, abweichend von dem Ausgangspunkt des vorlegenden Gerichts, die Auffassung, daß das Aufkleben von Plakaten auf Verteilerkästen nur dann eine Sachbeschädigung ist, wenn in der zu II bezeichneten Weise die Substanz des Kastens erheblich verletzt oder seine technische Brauchbarkeit erheblich beeinträchtigt worden ist. Die bloße Veränderung der äußeren Erscheinungsform einer Sache ist in aller Regel keine Sachbeschädigung, und zwar auch dann nicht, wenn diese Veränderung auffällig (belangreich) ist.

1. Weder das Reichsgericht noch der Bundesgerichtshof haben in der Veränderung der äußeren Erscheinung und Form schlechthin eine Sachbeschädigung gesehen. Das Reichsgericht ist bei der Auslegung des § 303 StGB von Verletzungen der Sachsubstanz ausgegangen (RGSt 13, 27, 28; 33, 177, 178; Recht 1907 Nr. 392; Goltd.Arch. Band 51 S. 182). Ihnen hat es körperliche Einwirkungen auf die Sache gleichgesetzt, die die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit erheblich vermindern. Dabei ging es überwiegend um zusammengesetzte Sachen, deren Gebrauchsfähigkeit auch dann beeinträchtigt sein kann, wenn die Einzelteile unversehrt bleiben (RGSt 20, 182, 183; 20, 353; 31, 329, 331; 39, 223, 224; 55, 169 f). In solchen Fällen hat das Reichsgericht gelegentlich auch die Funktionsstörung zugleich als Substanzverletzung bezüglich der zusammengesetzten Sache aufgefaßt (RGSt 64, 250, 251; 65, 354, 356; 66, 203, 205); in der Entscheidung HRR 1936 Nr. 853 hat das Reichsgericht in einem besonderen Fall (ekelerregende Beschmutzung eines Kleides) auch bei einer nicht zusammengesetzten Sache die Beeinträchtigung der Brauchbarkeit ausreichen lassen. Mit der bloßen Veränderung der äußeren Erscheinung und Form hat das Reichsgericht dagegen die Anwendung des § 303 StGB nur in einem Fall begründet, in dem die “Gebrauchsbestimmung” der betroffenen Sache darin bestand, “die Schönheit des Kunstwerks zur vollen Geltung zu bringen” (RGSt 43, 204, 205, 206). In diesem Fall hat das Reichsgericht auch eine leicht abwaschbare Beschmutzung für tatbestandsmäßig gehalten, während es sonst hervorgehoben hat, daß eine ohne nennenswerten Aufwand an Mühe, Zeit oder Kosten behebbare Beeinträchtigung der Brauchbarkeit außer Betracht bleibe (RGSt 20, 182 ff; 39, 223, 224; ebenso BGHSt 13, 207, 208). Soweit das Reichsgericht sonst von einer erheblichen Veränderung der äußeren Erscheinung und Form gesprochen hat, handelte es sich um Fälle der Substanzverletzung (RGSt 66, 203, 205; HRR 1933, Nr. 350: Beschmieren einer Wand mit Teer), der Beschädigung zusammengesetzter Sachen (RGStr 64, 250, 251) oder um den nach anderen Maßstäben zu beurteilenden Tatbestand des § 321 StGB (RGSt 74, 13, 14: Unbrauchbarmachung eines Weges durch Hindernisse).

2. Gegenüber neueren Strömungen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (OLG Bremen MDR 1976, 773; OLG Celle MDR 1978, 507 = NdsRPfl. 1978, 57, 58; OLG Hamburg NJW 1979, 1614; OLG Karlsruhe – 1. Strafsenat – NJW 1978, 1636 = GA 1978, 249; OLG Schleswig OLGSt § 303, S. 7) und in der Literatur (Schroeder JR 1976, 338 und JZ 1978, 72; Schönke-Schröder-Stree StGB 19. Aufl. 1978 § 303 Rdn. 8) und gegenüber ähnlichen Ausführungen in der Begründung des Vorlegungsbeschlusses hält der Senat daran fest, daß eine dem Gestaltungswillen des Eigentümers zuwiderlaufende Veränderung der äußeren Erscheinung und Form einer Sache für sich allein grundsätzlich nicht ausreicht, um den Tatbestand der Sachbeschädigung zu begründen. Die Vorschrift des § 303 StGB schützt nicht, wie § 1004 BGB, die Belange des Eigentümers in umfassender Weise; strafrechtlichen Schutz gewährt sie nur dem Interesse des Eigentümers an der körperlichen Unversehrtheit seiner Sache. Der Gesichtspunkt der Brauchbarkeitsminderung würde entleert und damit als Hilfsmittel bei der Auslegung des Merkmals “beschädigt” untauglich werden, wollte man die vom Eigentümer beabsichtigte äußere Erscheinung einer Sache stets als bestimmungsgemäße Brauchbarkeit verstehen. Die Auslegung des § 303 StGB würde sich damit in unzulässiger Weise vom Wortsinn des Merkmals “beschädigen” entfernen und auch daran vorbeigehen, daß das Gesetz zwischen der Verunstaltung (§ 134 StGB) und der Beschädigung einer Sache (§ 303 StGB) unterscheidet. Nachteile, die mit der Veränderung der äußeren Erscheinung nur mittelbar verbunden sind, wie etwa Gefahren für den Ruf des Eigentümers, betreffen nicht den Schutzzweck des § 303 StGB. Dasselbe gilt für den Schutz des Straßen- und Landschaftsbildes. Dieser Schutz ist, soweit notwendig, durch Vorschriften des allgemeinen Ordnungsrechts (Polizeirechts) oder des Bauordnungsrechts zu gewährleisten; Bußgeldandrohungen können ihm Nachdruck verleihen.

Ob ein Verteilerkasten nach ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet worden ist und nach seiner Zweckbestimmung eigene Ansehnlichkeit hat, ist für die Anwendung des § 303 StGB ohne Bedeutung. Die genannten Merkmale entziehen sich bei solchen Gegenständen der zuverlässigen Bestimmung. Es gibt keine allgemeingültigen Maßstäbe dafür, ob technische Sachen und andere Gebrauchsgegenstände ästhetischen Wert haben und ansehnlich sind. Bei solchen Werturteilen spielen die individuellen Maßstäbe des Beurteilers und seine Beziehung zu dem betroffenen Gegenstand eine wesentliche Rolle. Es kann nicht Aufgabe des Strafrichters sein, das “richtige” ästhetische Urteil zu finden und an die Stelle einer anderen Beurteilung, beispielsweise durch den Eigentümer, zusetzen. Etwas anderes gilt nur für den schon vom Reichsgericht (RGSt 43, 204, 205; vgl. auch den Hinweis in RGSt 20, 182, 183) hervorgehobenen Fall, daß die Gebrauchsbestimmung eines Gegenstandes, etwa einer Statue, eines Gemäldes oder eines Baudenkmals, offensichtlich mit seinem ästhetischen Zweck zusammenhängt. Nur hier genügt für die Sachbeschädigung “schon eine Einwirkung …, die zwar keine stoffliche Verringerung oder Verschlechterung des Gegenstandes, wohl aber eine belangreiche Veränderung der äußeren Erscheinung und Form mit sich bringt” (aaO. S. 205). Bei Verteilerkästen bleibt dieser besondere Bewertungsmaßstab jedoch außer Betracht.

IV. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, wie folgt zu beschließen:

Der Tatbestand der Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB kann durch Aufkleben eines Plakates auf einen Postverteilerkasten, der nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten, sondern nach technischen Erfordernissen gestaltet ist, verwirklicht werden, obwohl dieser nach seiner Zweckbestimmung keine eigene Ansehnlichkeit besitzt.