Az: 5 StR 637/85
StGB 1975 § 211
Abgrenzung zwischen Tötung in mittelbarer Täterschaft und Teilnahme an fremder Selbsttötung
Orientierungssatz
1. Hat die Angeklagte ihren Ehemann durch die Vorspiegelung, sie wolle gemeinsam mit ihm sterben, dazu bewegt, Gift zu trinken, so hat sie sich eines Tötungsverbrechens strafbar gemacht, wenn die Feststellungen ergeben, daß die Angeklagte ihren Ehemann nicht nur durch die Täuschung in den Tod treiben, sondern zugleich auch die Herrschaft über den von ihr geplanten Geschehensablauf fest in der Hand behalten wollte und behalten hat.
Tenor
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Schwurgerichts in Braunschweig vom 23. Mai 1985 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Schwurgericht hat die Angeklagte wegen eines aus niedrigen Beweggründen begangenen Mordes verurteilt. Die Revision der Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
I. Die Verfahrensbeschwerde ist unbegründet. Nach den Urteilsgründen (UA S. 30) hatte die Angeklagte im Ermittlungsverfahren vor der Polizei erklärt, sie habe sich nicht mit ernsthaften Selbsttötungsabsichten getragen. Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung (Bd. II Bl. 151 R d.A.) geht hervor, daß der Angeklagten die Niederschrift ihrer polizeilichen Vernehmung vorgehalten worden ist; auch in der Revisionsbegründung (S. 2) ist von einer “der Revisionsführerin vorgehaltenen Aussage aus ihrer polizeilichen Vernehmung” die Rede. Demnach liegt es nahe, daß die Angeklagte in der Hauptverhandlung eingeräumt hat, die Äußerungen, die aus der ihr vorgehaltenen polizeilichen Vernehmungsniederschrift ersichtlich sind, getan zu haben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Bemerkung des Schwurgerichts (UA S. 30), die Angeklagte habe in der Hauptverhandlung keine Erklärung zu der Frage abgegeben, “warum” sie im Ermittlungsverfahren andere Angaben gemacht habe als in der Hauptverhandlung; in der Hauptverhandlung hat die Angeklagte geltend gemacht, es sei ihre Absicht gewesen, das Gift auch selbst zu trinken (UA S. 29 f). Daß die Angeklagte nicht auf die Frage nach dem Grund der Abweichung beider Aussagen geantwortet hat, besagt nicht, daß sie in der Hauptverhandlung bestritten hat, früher anders ausgesagt zu haben.
II. Das Urteil hält auch sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Angeklagte, die seit Monaten ein ehebrecherisches Verhältnis unterhielt, wollte sich ihres Ehemannes entledigen. Sie hatte schon vor einiger Zeit mit dem Gedanken gespielt, ihn durch Gift zu beseitigen. Am Vormittag des Tattages verschaffte sie sich eine Flasche E-605 forte, die sie entwendete, um eine Eintragung in das Giftebuch zu vermeiden. Zu Hause überlegte sie, wie sie den “Störfaktor” H M beseitigen könne. Sie beschloß, ihm das Gift nicht heimlich beizubringen, sondern ihn zu bewegen, es selbst zu trinken. Das wollte sie erreichen, indem sie ihm einen gemeinsamen Selbstmord vorspiegelte. Sie war von vornherein entschlossen, von dem Gift nicht zu trinken. In Ausführung ihres Planes vermischte sie das Gift mit Likör und stellte die Mischung in einer Kornflasche bereit. Alsdann holte sie ihren Ehemann gegen 22.00 Uhr mit dem Auto von der Arbeit ab und schlug ihm zu Hause sogleich vor, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. H M stimmte mit der Bemerkung zu, “dann bleiben wir für immer zusammen”. Die Angeklagte sagte, sie habe die Giftmischung bereits fertiggestellt. Auf ihren Vorschlag fuhren beide an einen einsamen Ort. Die Angeklagte führte den Wagen. Um ihren Ehemann weiterhin in Sicherheit zu wiegen, daß sie mit ihm sterben werde, versprach sie ihm, noch ein letztes Mal mit ihm geschlechtlich zu verkehren. Auf einem menschenleeren Großparkplatz hielt sie an. Beide entkleideten sich teilweise. H M nahm einen kräftigen – nach den Feststellungen bereits tödlichen – Schluck der giftigen Mischung. Die Angeklagte, nunmehr erleichtert, tauschte mit ihrem Ehemann Liebkosungen aus. Zum Geschlechtsverkehr kam es nicht mehr. Als nämlich H M der Angeklagten die Flasche reichte, schüttelte sie heftig mit dem Kopf. Darauf nahm H M, der nun die Täuschung erkannte, einen weiteren Schluck aus der Flasche. Er brach wenige Schritte vom Auto entfernt zusammen. Es gelang der Angeklagten nicht, ihn in das Auto zurückzuzerren, wo er nach ihrem Tatplan sterben sollte. Sie fuhr aufgeregt in die Wohnung, kehrte zum Parkplatz mit einem Klebeband zurück, umwickelte damit den Mund des noch schwach Atmenden, um so ein Gewaltverbrechen vorzutäuschen, und fuhr wieder nach Hause. Ihr Ehemann starb in derselben Nacht an dem Gift.
2. Das Schwurgericht geht davon aus, daß die Angeklagte ihren Ehemann vorsätzlich getötet und nicht an fremder Selbsttötung teilgenommen hat. Es stellt hierbei entscheidend darauf ab, daß die Angeklagte ihren Ehemann durch die Vorspiegelung, sie wolle gemeinsam mit ihm sterben, dazu bewogen hat, das Gift zu trinken. Der Senat läßt offen, ob eine derartige Irrtumserregung allein ausreicht, um die Täterschaft des arglistig Täuschenden zu begründen. Hier ergeben die Feststellungen, daß die Angeklagte ihren Ehemann nicht nur durch die Täuschung in den Tod treiben, sondern zugleich auch die Herrschaft über den von ihr geplanten Geschehensablauf fest in der Hand behalten wollte und behalten hat.
H M war für die Angeklagte nur noch ein “Störfaktor”. Um ihn zu beseitigen, nutzte die Angeklagte, ihrerseits intelligent aktiv und robust, den lang anhaltenden deprimierten Zustand ihres Ehemannes aus, der sehr an der Angeklagten hing, unter ihrer Untreue litt und auch körperlich stark abgefallen war. Ihren Tatentschluß setzte sie in wenigen Stunden zügig durch. Sie mischte das Gift mit Likör, stellte die Flasche bereit, holte ihren Ehemann von der Arbeit ab und schlug ihm sogleich einen Doppelselbstmord vor, weil sie den Zeitpunkt wegen der niedergeschlagenen Stimmung ihres Ehemannes für besonders geeignet hielt. Sie sorgte dafür, daß H M nicht mehr zum ruhigen Überdenken ihres Vorschlages kam, indem sie auf sofortige Ausführung hinwirkte. Auch den anschließenden Geschehensablauf bestimmte sie in allen wesentlichen Einzelheiten. Sie lenkte das Fahrzeug an einen einsamen Ort, wo Störungen und spätere Hilfeleistungen ihren Plan nicht kreuzen konnten. Um sicherzugehen, hat sie H M einen letzten Geschlechtsverkehr versprochen und mit dem bereits vergifteten Mann Liebkosungen ausgetauscht. Ihre Entschlossenheit, den Geschehensablauf bis zum Ende und auch dort in der Hand zu behalten, wo er ihr vorübergehend entglitten war, fand auch darin Ausdruck, daß sie den Mund des bereits Sterbenden umwickelte.
Bei diesen Feststellungen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, daß der Tatrichter die Angeklagte als Täterin eines Tötungsverbrechens angesehen hat.
3. Rechtsfehlerfrei ist auch die Auffassung des Schwurgerichts, die Angeklagte habe ihren Ehemann aus niedrigen Beweggründen getötet. “Die Triebfeder ihres Handelns war in allererster Linie die Beseitigung des Ehegatten, der ihrem ehebrecherischen Verhältnis im Wege stand”. Der Tatrichter hat diesen Beweggrund zutreffend als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gewertet. Er hat sich auch rechtsfehlerfrei mit der Tatsache auseinandergesetzt, daß die Angeklagte auf sexuellem Gebiet von der Grobheit ihres Ehemannes abgestoßen wurde und daß H M sie “hin und wieder” zum Geschlechtsverkehr zwingen wollte, was sie zum Teil erduldete und zum Teil mit Erfolg verhinderte. Hierzu hat der Tatrichter ausgeführt, dieses schon länger bestehende Problem ihrer Ehe sei nach den Gesamtumständen “nicht dominierend für die Tat” und keine “schwer bedrückende Last” gewesen; die Angeklagte habe sich während der längsten Zeit ihrer Ehe durch sexuelle Beziehungen zu dem Zeugen R “Ausgleich zu verschaffen gewußt”.
III. Die Entscheidung entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts.