EuGH: Entlassung einer schwangeren Arbeitnehmerin – Befristeter Arbeitsvertrag

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte
Kammer)
4. Oktober 2001
Gleichbehandlung von Männern und Frauen – Artikel 5
Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG – Artikel 10 der Richtlinie 92/85/EWG –
Entlassung einer schwangeren Arbeitnehmerin – Befristeter Arbeitsvertrag
In der Rechtssache C-109/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom dänischen
Højesteret in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
gegen
Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund i Danmark (HK),
handelnd für …,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des
Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur
Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen
hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum
beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S.
40) und des Artikels 10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992
über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der
Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen,
Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte
Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)
(ABl. L 348, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung …
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
– der …, vertreten durch M. …, advokat;
– des Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund i Danmark (HK) als
Bevollmächtigten von Frau …, vertreten durch M.
Østergård, advokat;
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch …;
– der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch P… als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der …
A/S, des Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund i Danmark (HK), der
Kommission und der EFTA-Überwachungsbehörde in der Sitzung vom 29.
März 2001,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der
Sitzung vom 10. Mai 2001,
folgendes

Urteil

1.
Der Højesteret hat den Gerichtshof mit Beschluss vom 21. März
2000, beim Gerichtshof eingegangen am 23. März 2000, gemäß
Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 der
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des
Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg
sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) und des Artikels 10
der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die
Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des
Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und
stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne
des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem
Telefonunternehmen … (im Folgenden: …) und dem
Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund i Danmark (HK) (Zusammenschluss
der kaufmännischen und Büroangestellten) als Beauftragtem von Frau
… wegen deren Entlassung durch das genannte Unternehmen.
Rechtlicher Rahmen
Das Gemeinschaftsrecht
3.
Die Richtlinie 76/207 bezweckt die Durchsetzung des Grundsatzes der
Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur
Beschäftigung, zum beruflichen Aufstieg, zur Berufsbildung und in Bezug auf
die Arbeitsbedingungen.
4.
Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 bestimmt:
Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beinhaltet, dass bei den
Bedingungen des Zugangs – einschließlich der Auswahlkriterien – zu den
Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen – unabhängig vom
Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig – und zu allen Stufen der
beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt.
5.
Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie lautet:
Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der
Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen beinhaltet,
dass Männern und Frauen dieselben Bedingungen ohne Diskriminierung auf
Grund des Geschlechts gewährt werden.
6.
Die Richtlinie 92/85 bezweckt nach ihrer fünfzehnten
Begründungserwägung insbesondere, schwangere Arbeitnehmerinnen,
Wöchnerinnen oder stillende Arbeitnehmerinnen vor der Gefahr zu
schützen, wegen ihres Zustands entlassen zu werden, was sich schädlich
auf ihre physische und psychische Gesundheit auswirken würde.
7.
In Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 92/95 heißt es:
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die
Kündigung der Arbeitnehmerinnen … während der Zeit vom Beginn der
Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs … zu verbieten; davon
ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden
Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und/oder Gepflogenheiten zulässig sind, wobei gegebenenfalls die
zuständige Behörde ihre Zustimmung erteilen muss.
8.
In der vierzehnten Begründungserwägung der Richtlinie 92/85 wird
festgestellt, dass die Empfindlichkeit der schwangeren Arbeitnehmerin, der
Wöchnerin oder der stillenden Arbeitnehmerin einen Anspruch auf
Mutterschaftsurlaub erforderlich macht. Dieser Anspruch ist in Artikel 8 der
Richtlinie vorgesehen, der wie folgt lautet:
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um
sicherzustellen, dass den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 ein
Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt
wird, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder
Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.
(2) Der Mutterschaftsurlaub gemäß Absatz 1 muss einen
obligatorischen Mutterschaftsurlaub von mindestens zwei Wochen umfassen, die
sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder
Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.
Nationales Recht
9.
§ 9 des Lov om ligebehandling af mænd og kvinder med hensyn til
beskæftigelse og barselsorlov m.v. (Gesetz über die Gleichbehandlung
von Männern und Frauen hinsichtlich der Beschäftigung und des
Mutterschafts-/Elternurlaubs u. a., im Folgenden: Gleichbehandlungsgesetz)
lautet:
Ein Arbeitgeber kann einen Arbeitnehmer nicht entlassen, weil dieser
gemäß § 7 wegen Schwangerschaft, Entbindung oder Adoption einen
Anspruch auf Ausübung seines Rechts auf Abwesenheit vom Arbeitsplatz
geltend gemacht hat oder vom Arbeitsplatz abwesend war.
10.
In § 16 des Gleichbehandlungsgesetzes heißt es:
1. Wird ein Arbeitnehmer unter Verstoß gegen § 9 entlassen, so
kann die Entlassung auf Antrag aufgehoben werden, es sei denn, dass die
Forderung der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des
Arbeitsverhältnisses im Einzelfall bei Abwägung der Interessen beider
Parteien offenbar unbillig erscheint.
2. Wird ein Arbeitnehmer unter Verstoß gegen § 9 entlassen und
wird die Entlassung nicht aufgehoben, so muss der Arbeitgeber eine
Entschädigung zahlen.
4. Erfolgt die Entlassung während der Schutzfrist wegen
Schwangerschaft, Niederkunft oder Adoption, so hat der Arbeitgeber zu beweisen,
dass die Entlassung nicht aus diesem Grund erfolgt ist.
Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorabentscheidungsfragen
11.
Im Juni 1995 wurde Frau … von der … für einen
Zeitraum von sechs Monaten ab 1. Juli 1995 für eine Tätigkeit im
Kundendienst für Mobiltelefonkunden eingestellt. Zwischen den
Vertragsparteien wurde beim Einstellungsgespräch vereinbart, dass Frau
… in den ersten beiden Monaten ihres
Beschäftigungsverhältnisses an einer Schulung teilnehmen sollte.
12.
Im August 1995 teilte Frau … der … mit, dass sie
schwanger sei und voraussichtlich Anfang November entbinden werde. Wenig
später, am 23. August 1995, wurde ihr Arbeitsverhältnis mit Wirkung
zum 30. September mit der Begründung gekündigt, sie habe die Tele
Danmark bei ihrer Einstellung nicht über ihre Schwangerschaft unterrichtet.
Frau … arbeitete während des ganzen Monats September.
13.
Nach dem anwendbaren Tarifvertrag hätte Frau … Anspruch
auf bezahlten Mutterschaftsurlaub gehabt, der acht Wochen vor dem
voraussichtlichen Geburtstermin, d. h. am 11. September 1995, begonnen
hätte.
14.
Am 4. März 1996 verklagte der HK als Bevollmächtigter von Frau
… die … vor dem Ret Århus auf Zahlung von
Schadensersatz mit derBegründung, die Entlassung von Frau …
verstoße gegen § 9 des Gleichbehandlungsgesetzes.
15.
Das Ret Århus wies die Klage mit Urteil vom 14. Januar 1997 mit der
Begründung ab, Frau …, die für einen Zeitraum von sechs
Monaten eingestellt worden sei, habe beim Einstellungsgespräch nicht
angegeben, dass sie schwanger sei, obwohl die Entbindung im fünften Monat
des Beschäftigungsverhältnisses zu erwarten gewesen sei.
16.
Das Vestre Landsret, bei dem Frau … Berufung gegen dieses
Urteil einlegte, gab dieser durch Urteil vom 15. April 1999 mit der
Begründung statt, es stehe fest, dass die Kündigung der Betroffenenen
mit ihrer Schwangerschaft zusammenhänge.
17.
… focht dieses Urteil vor dem Højesteret an und machte
geltend, das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Kündigung einer schwangeren
Arbeitnehmerin gelte nicht für eine befristet eingestellte Arbeitnehmerin,
die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses von ihrer Schwangerschaft gewusst, den
Arbeitgeber jedoch nicht darüber unterrichtet habe, wobei festgestanden
habe, dass sie die Arbeit, für die sie eingestellt worden sei, wegen des
Mutterschaftsurlaubs während eines erheblichen Teils der vertraglich
vorgesehenen Arbeitszeit nicht würde verrichten können.
18.
Deshalb hat das Højesteret das Verfahren ausgesetzt und dem
Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Verbieten es Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom
9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von
Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur
Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die
Arbeitsbedingungen und/oder Artikel 10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom
19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur
Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren
Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am
Arbeitsplatz oder andere Bestimmungen der genannten Richtlinien oder des
übrigen Gemeinschaftsrechts, eine Arbeitnehmerin aufgrund ihrer
Schwangerschaft zu entlassen, wenn davon auszugehen ist,
– dass die Betroffene aufgrund eines Zeitvertrags eingestellt wurde,
– dass sie bei Abschluss des Arbeitsvertrags wusste, dass sie schwanger
war, dies dem Arbeitgeber aber nicht mitgeteilt hat, und
– dass feststand, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft einen
wesentlichen Teil des Beschäftigungszeitraums nicht würde arbeiten
können?
2. Spielt es für die Beantwortung der ersten Frage eine Rolle, ob die
Arbeitnehmerin in einem großen Unternehmen eingestellt wird, das
häufig Aushilfspersonal beschäftigt?
Die erste Frage
19.
Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Artikel 5
Absatz 1 der Richtlinie 76/207 und 10 der Richtlinie 92/85 der Entlassung einer
Arbeitnehmerin wegen Schwangerschaft entgegenstehen, wenn sie auf bestimmte Zeit
eingestellt wurde, den Arbeitgeber nicht über ihre Schwangerschaft
unterrichtet hat, obwohl diese ihr bei Abschluß des Arbeitsertrags bekannt
war, und feststand, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft während eines
wesentlichen Teils des Beschäftigungsverhältnisses nicht würde
arbeiten können.
20.
… macht geltend, das in den Richtlinien 76/207 und 92/85
vorgesehene Verbot der Kündigung schwangerer Arbeitnehmerinnen gelte im
vorliegenden Fall nicht. In Wirklichkeit sei der entscheidende Grund für
die Entlassung nicht die Schwangerschaft selbst, sondern die Tatsache, dass Frau
… einen wesentlichen Teil der Vertragsleistung nicht würde
erbringen können. Außerdem stelle der Umstand, dass sie den
Arbeitgeber nicht von ihrem Zustand unterrichtet habe, obwohl sie gewusst habe,
dass sie ihre Tätigkeit wegen ihrer Schwangerschaft während eines
wesentlichen Teils des Beschäftigungsverhältnisses nicht würde
ausüben können, eine Verletzung der Treuepflicht dar, die für die
Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestimmend sei. Allein dieser
Umstand rechtfertige schon eine Entlassung.
21.
Nur bei auf unbestimmte Zeit geschlossenen Verträgen verletze die
Weigerung, eine schwangere Frau einzustellen, oder ihre Entlassung das
Gemeinschaftsrecht. Bei einem solchen Arbeitsverhältnis sei nämlich
davon auszugehen, dass die Verpflichtungen der Arbeitnehmerin über den
Mutterschaftsurlaub hinaus bestünden, so dass die Beachtung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes zu einem ausgewogenen Ergebnis führe.
22.
Frau …, die Kommission und die Aufsichtsbehörde der EFTA
sind dagegen der Auffassung, dass weder die Richtlinien 76/207 und 92/85 noch
die Rechtsprechung des Gerichtshofes danach unterschieden, ob der Vertrag,
aufgrund dessen die Arbeitnehmerin eingestellt worden sei, auf bestimmte oder
auf unbestimmte Zeit geschlossen worden sei.
23.
Vielmehr stünden sowohl die Richtlinie 76/207 als auch die Richtlinie
92/85 der Entlassung von Frau … entgegen, da der Grund für die
Entlassung eindeutig ihre Schwangerschaft gewesen sei. Nach der Rechtsprechung
des Gerichtshofes könnten der finanzielle Schaden, der dem Arbeitgeber
entstehe, oder die Notwendigkeiten, die mit dem ordnungsgemäßen
Funktionieren eines Unternehmens verbunden seien, die Entlassung einer
schwangeren Arbeitnehmerinnicht rechtfertigen, da der Arbeitgeber das Risiko der
wirtschaftlichen und organisatorischen Konsequenzen der Schwangerschaft seiner
Arbeitnehmerinnen auf sich nehmen müsse.
24.
Zu dem Umstand, dass Frau … bei ihrer Einstellung nicht
angegeben hat, dass sie schwanger war, bemerkt die Kommission, die
Arbeitnehmerin sei nicht verpflichtet, den Arbeitgeber über ihre
Schwangerschaft zu unterrichten, da dieser kein Recht habe, dies bei der
Einstellung zu berücksichtigen. Die Überwachungsbehörde der EFTA
fügt hinzu, es bestehe die Gefahr, dass eine solche Verpflichtung zur
Unterrichtung des Arbeitgebers, wollte man sie bejahen, dem in Artikel 10 der
Richtlinie 92/85 vorgeschriebenen Schutz der schwangeren Arbeitnehmerinnen seine
Wirksamkeit nehmen würde, obwohl der Gemeinschaftsgesetzgeber
ausdrücklich ein besonders hohes Schutzniveau vorgesehen habe.
25.
Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, stellt die Entlassung einer
Arbeitnehmerin aufgrund ihrer Schwangerschaft eine unmittelbare Diskriminierung
aufgrund des Geschlechts dar, die gegen Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207
verstößt (Urteile vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-179/88,
Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund, Slg. 1990, I-3979, Randnr. 13;
vom 5. Mai 1994 in der Rechtssache C-421/92, Habermann-Beltermann, Slg. 1994,
I-1657, Randnr. 15, und vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-32/93, Webb, Slg.
1994, I-3567, Randnr. 19).
26.
Gerade wegen der Belastung, die das Risiko einer Entlassung für die
körperliche und seelische Gesundheit der schwangeren Arbeitnehmerinnen,
Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen bedeutet, die als besonders
schwerwiegende Folge zu einem Schwangerschaftsabbruch führen kann, hat der
Gemeinschaftsgesetzgeber in Artikel 10 der Richtlinie 92/85 einen besonderen
Schutz dieser Arbeitnehmerinnen vorgesehen, indem er die Kündigung
während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des
Mutterschaftsurlaubs verboten hat.
27.
Für diesen Zeitraum sieht Artikel 10 der Richtlinie 92/85 keine
Ausnahme oder Abweichung vom Verbot der Kündigung schwangerer
Arbeitnehmerinnen vor, außer in nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang
stehenden Ausnahmefällen und unter der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber
die Gründe für die Kündigung schriftlich angibt.
28.
Auch hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der finanzielle
Nachteil, der dem Arbeitgeber im Fall der Einstellung einer Schwangeren
während deren Mutterschaftsurlaubs (Urteil vom 8. November 1990 in der
Rechtssache C-177/88, Dekker, Slg. 1990, I-3941, Randnr. 12) bzw. dadurch
entsteht, dass die Arbeitnehmerin während der Dauer ihrer Schwangerschaft
nicht auf dem betreffenden Arbeitsplatz beschäftigt werden darf (Urteil vom
3. Februar 2000 in der Rechtssache C-207/98, Mahlburg, Slg. 2000, I-549, Randnr.
29), die Verweigerung einer Einstellung wegen Schwangerschaft nicht
rechtfertigt.
29.
In Randnummer 26 des Urteils Webb hat der Gerichtshof weiter
ausgeführt, dass die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers für den
Arbeitgeber zwangsläufig eine wesentliche Voraussetzung für die
ordnungsgemäße Erfüllung des Arbeitsvertrags ist, der vom
Gemeinschaftsrecht gewährte Schutz der Frau während der
Schwangerschaft und nach der Entbindung jedoch nicht davon abhängen kann,
ob die Anwesenheit der Betroffenen in dem ihrem Mutterschaftsurlaub
entsprechenden Zeitraum für das ordnungsgemäße Funktionieren des
Unternehmens, in dem sie beschäftigt ist, unerlässlich ist. Die
gegenteilige Auslegung nähme den Bestimmungen der Richtlinie 76/207 ihre
praktische Wirksamkeit.
30.
An dieser Auslegung ändert es nichts, dass der Arbeitsvertrag auf
bestimmte Zeit geschlossen wurde.
31.
Da nämlich die Entlassung einer Arbeitnehmerin wegen ihrer
Schwangershaft eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
darstellt, und zwar unabhängig von der Art und dem Umfang des
wirtschaftlichen Schadens, der dem Arbeitgeber durch die
schwangerschaftsbedingte Fehlzeit entsteht, ist es für die Beurteilung der
Frage, ob die Entlassung diskriminierenden Charakter hat, unerheblich, ob der
Arbeitsvertrag auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geschlossen wurde. In beiden
Fällen beruht die Unfähigkeit der Arbeitnehmerin, den Arbeitsvertrag
zu erfüllen, auf der Schwangerschaft.
32.
Außerdem ist die Dauer eines Arbeitsverhältnisses höchst
ungewiss. Selbst die Dauer – als solche ganz unterschiedlich – eines befristeten
Arbeitsverhältnisses steht nicht von vornherein fest, da es erneuert oder
verlängert werden kann.
33.
Schließlich unterscheiden die Richtlinien 76/207 und 92/85 im
Hinblick auf die Tragweite des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern
und Frauen nicht nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Hätte der
Gemeinschaftsgesetzgeber befristete Verträge, die einen bedeutenden Teil
der Arbeitsverhältnisse ausmachen, vom Geltungsbereich dieser Richtlinien
ausschließen wollen, so hätte er dies klar zum Ausdruck gebracht.
34.
Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 5 Absatz 1 der
Richtlinie 76/207 und Artikel 10 der Richtlinie 92/85 der Entlassung einer
Arbeitnehmerin wegen Schwangerschaft entgegenstehen,
– wenn diese auf bestimmte Zeit eingestellt wurde,
– wenn sie den Arbeitgeber nicht über ihre Schwangerschaft
unterrichtet hat, obwohl ihr diese bei Abschluss des Arbeitsvertrags bekannt
war,
– und wenn feststand, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft während
eines wesentlichen Teils der Vertragszeit nicht würde arbeiten können.
Die zweite Frage
35.
Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob es für die
Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 und des Artikels 10 der
Richtlinie 92/85 erheblich ist, dass die Arbeitnehmerin von einem sehr
großen Unternehmen eingestellt wurde, das häufig Aushilfspersonal
beschäftigt.
36.
Die Parteien des Ausgangsverfahrens sowie die Kommission und die
Aufsichtsbehörde der EFTA sind sich darüber einig, dass diese Frage zu
verneinen ist.
37.
In der Tat nehmen die Richtlinien 76/207 und 92/85 hinsichtlich der
Bedeutung der in ihnen aufgestellten Verbote und garantierten Rechte keine
Unterscheidung nach der Größe des betreffenden Unternehmens vor.
38.
Unerheblich ist auch, dass der Arbeitgeber häufig befristete
Arbeitsverträge schließt. Wie sich aus den Randnummern 30 und 33
dieses Urteils ergibt, ist die Dauer des Arbeitsverhältnisses ohne Einfluss
auf den Umfang des Schutzes, den das Gemeinschaftsrecht schwangeren
Arbeitnehmerinnen gewährt.
39.
Auf die zweite Frage ist somit zu antworten, dass es für die Auslegung
des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 und des Artikels 10 der Richtlinie
92/85 unerheblich ist, dass die Arbeitnehmerin von einem sehr großen
Unternehmen eingestellt wurde, das häufig Aushilfspersonal
beschäftigt.
Kosten
40.
Die Auslagen der Kommission und der Überwachungsbehörde der EFTA,
die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Højesteret mit Beschluss vom 21. März 2000
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar
1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vonMännern und
Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und
zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und Artikel
10 der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die
Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des
Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und
stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne
des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) stehen der Entlassung einer
Arbeitnehmerin wegen Schwangerschaft entgegen,
– wenn diese auf bestimmte Zeit eingestellt wurde,
– wenn sie den Arbeitgeber nicht über ihre Schwangerschaft
unterrichtet hat, obwohl ihr diese ihr bei Abschluss des Arbeitsvertrags bekannt
war,
– und wenn feststand, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft
während eines wesentlichen Teils der Vertragszeit nicht würde arbeiten
können.
2. Für die Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207
und des Artikels 10 der Richtlinie 92/85 ist unerheblich, dass die
Arbeitnehmerin von einem sehr großen Unternehmen eingestellt wurde, das
häufig Aushilfspersonal beschäftigt.
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Oktober
2001.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer