BAG: Zugang der Kündigung während Untersuchungshaft oder Auslieferungshaft im Ausland

BAG, AZ 2 AZR 275/88, Urteil vom 02.03.89

LEITSATZ

“1. Ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben geht diesem grundsätzlich auch dann zu, wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, daß sich der Arbeitnehmer in Untersuchungshaft oder in Auslieferungshaft im Ausland (hier: Frankreich) befindet (im Anschluß an BAG, Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – EzA § 130 BGB Nr. 16, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).

2. Die durch an sich verspätetes Vorbringen veranlaßte Notwendigkeit, nach § 283 ZPO eine Erklärungsfrist einzuräumen, bedeutet für sich allein noch keine Verzögerung des Rechtsstreits im Sinne von § 296 ZPO (wie BGH, NJW 1985, 1556 ).”

GRÜNDE Tatbestand:

Der verheiratete Kläger war in der Niederlassung München der Beklagten, die ein Bauunternehmen betreibt, seit 1972 beschäftigt und gem. dem ab 1. Januar 1983 geltenden Dienstvertrag vom 22. Mai 1984 als Leiter der Abteilung Komplettbau gegen ein Monatsgehalt von 6.970,– DM brutto eingesetzt.

Seit dem 3. Januar 1986 hielt sich der Kläger aus Furcht vor einer Verhaftung durch deutsche Ermittlungsbehörden im Ausland auf. Am 7. Januar 1986 fand eine telefonische Unterredung, am 6. Februar 1986 ein Treffen mit Vertretern der Beklagten in Zürich statt. Am selben Tag wurde die Ehefrau des Klägers in München in Untersuchungshaft genommen. Am 10. Februar 1986 erließ das Amtsgericht München gegen den Kläger Haftbefehl wegen Verdachts d er Untreue und Fluchtgefahr. Am 14. Februar 1986 wurde der Kläger in Frankreich in Auslieferungshaft genommen und in die Untersuchungsstrafanstalt in Bois d’Arcy eingeliefert.

Mit Schreiben vom 21. Februar 1986 kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos, hilfsweise zum 30. Juni 1986. Das Schreiben enthält den Hinweis, daß der Betriebsrat ordnungsgemäß gehört worden sei. Dieses Schreiben ließ dieBeklagte durch Boten am selben Tag in den Briefkasten der Wohnung des Klägers in München, Z., einwerfen.

Am 27. März 1986 wurde die Ehefrau des Klägers aus der Untersuchungshaft entlassen.

Mit Schriftsatz seiner früheren Prozeßbevollmächtigten vom 15. April 1986, der beim Amtsgericht am 16. April 986 eingegangen ist, hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Er hat darin vorgetragen, das Kündigungs schreiben sei “durch Überbringer” in den Z. in München gebracht worden. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich sowohl er als auch seine Ehefrau in einer Lage befunden, in welcher sie ihren Aufenthalt nicht frei hätten bestimmen können, er in Frankreich, seine Ehefrau in Deutschland. Die eheliche Wohnung im Z. sei zu diesem Zeitpunkt unbewohnt gewesen. All dies habe die Beklagte gewußt. Sie habe deshalb nicht damit rechnen können, daß durch das E inwerfen in den Briefkasten ein Zugang an ihn bewirkt werde. Seine Ehefrau sei erst vor wenigen Tagen in die Wohnung zurückgekehrt. Mit ihm habe das Kündigungsschreiben erstmals am 10. April 1986 in der Untersuchungshafta nstalt in Bois d’Arcy besprochen werden können. Von einem früheren Zugang der Kündigung sei nicht auszugehen. Die fristlose Kündigung sei unwirksam, weil ein wichtiger Grund nicht dargelegt und auch nicht vorhanden sei. S oweit die ordentliche Kündigung erklärt sei, werde ihre Sozialwidrigkeit geltend gemacht.

Die Beklagte hat hierauf unter Vorlage einer unbeglaubigten Fotokopie des Haftbefehls vom 10. Februar 1986 zunächst erwidert, das Kündigungsschreiben sei durch den Einwurf in den Briefkasten am 21. Februar 1986 dem Klägerzugegangen. Er habe die Wohnung nicht aufgegeben, sondern sich nur vorübergehend auswärts aufgehalten. Er habe sie auch nicht über seinen jeweiligen Aufenthaltsort unterrichtet oder für das Nachsenden seiner Post gesorgt . Die beiden Sekretärinnen, die das Kündigungsschreiben am 21. Februar 1986 gegen 12.30 Uhr in den Briefkasten geworfen hätten, hätten zuvor erfolglos geläutet und von einer Hausbewohnerin die Auskunft erhalten, der Brief kasten der Familie D werde jeden Tag geleert. Die Kündigungsschutzklage sei somit verspätet. Sie könne auch nicht nach § 5 KSchG nachträglich zugelassen werden. Der Kläger habe einen solchen Antrag nicht gestellt; die Kla geerhebung allein genüge nicht. Für die Kündigung liege auch ein wichtiger Grund vor. Der Kläger verletze nachhaltig seine Arbeitspflicht, da er seit Dezember 1985 nicht mehr arbeite. Er habe sich darüber hinaus der Untre ue zu ihrem Nachteil·schuldig gemacht. Er habe mit einem Baubetreuer vereinbart, daß dieser seine Provisionen und Vergütungen, die er von ihr erhalten sollte, in doppelter Höhe fordern und die Hälfte hiervon an ihn, den K läger, zurückfließen sollte. Auf diese Weise habe er von der zwischen ihr und dem Baubetreuer vereinbarten Provision in Höhe von mehr als 11 Millionen DM etwa die Hälfte erhalten. Zumindest sei er dieser Straftat dringendverdächtig, wie der Haftbefehl erweise.

Durch Beschluß vom 18. Juni 1986 hat das Arbeitsgericht Termin zur Kammerverhandlung auf den 14. Januar 1987 bestimmt und dem Kläger aufgegeben, auf das bisherige schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten bis 31. Juli 198 6 zu erwidern.

Mit einem am 29. Juli 1986 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seiner damaligen Prozeßbevollmächtigten hat der Kläger vorgetragen, das Kündigungsschreiben sei ihm keinesfalls vor dem 10. April 1986 zugegangen. Am 3. Jan uar 1986 sei er nach Österreich gereist. Bei der Beklagten seien bis 7. Januar 1986 Betriebsferien gewesen. An diesem Tag, sowie mehrfach in den folgenden Tagen, habe er mit Vertretern der Beklagten telefoniert, die ihm a lle geraten hatten, noch einige Zeit im Ausland zu bleiben, um auch im Interesse der Beklagten noch gewisse Sachverhalte klären zu können. Diesen Standpunkt habe die Beklagte auch in dem Gespräch am 6. Februar 1986 in Zür ich eingenommen. Damals sei die Inhaftierung seiner Ehefrau besprochen worden. Von seiner Inhaftierung habe die Staatsanwaltschaft die Beklagte unverzüglich und noch vor dem 21. Februar 1986 unterrichtet. Die Beklagte hab e somit an diesem Tag gewußt, daß das Kündigungsschreiben weder ihn noch seine Ehefrau noch eine andere zum Haushalt gehörende Person erreichen werde. Er habe sich auch keiner Pflichtverletzung gegenüber der Beklagten sch uldig gemacht. Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionären der Beklagten sei bekannt gewesen, daß die von der Beklagten erwähnten Beträge an den Bauträger zur Verwendung als Schmiergelder zur freien Verfügung bezahlt worden sei en.

Die Beklagte hat entgegnet, ihr sei am 6. Februar 1986 die Inhaftierung der Ehefrau des Klägers bekannt gewesen. Sie habe aber nicht gewußt, daß sich am 21. Februar 1986 weder der Kläger noch seine Ehefrau in der Familien wohnung aufgehalten hätten. Sie habe nicht gewußt und wisse auch nicht, ob die Ehefrau des Klägers an jenem Tag noch in Haft gewesen sei. Ihr sei ferner damals nicht bekannt gewesen, daß der Kläger in Frankreich in Haft g enommen worden sei. Sie habe ihm nicht empfohlen, im Ausland zu bleiben und auch vor Zuleitung des Haftbefehls nicht gewußt, daß er sich strafbarer Handlungen zu ihrem Nachteil schuldig gemacht habe.

Nach Anwaltswechsel hat der Kläger in einem Schriftsatz seines späteren Prozeßbevollmächtigten vom 8. Januar 1987, der beim Arbeitsgericht am 9. Januar 1987 eingegangen und dessen Durchschrift am 12. Januar 1987 laut Verm erk des Urkundsbeamten an die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten hinausgegeben worden ist, u.a. vorgetragen, er bestreite, der Betriebsrat sei zur Kündigung ordnungsgemäß gehört worden.

Im Kammertermin vom 14. Januar 1987 hat der Kläger beantragt festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 21. Februar 1986 nicht aufgelöst worden ist. Der Prozeßbevollmächtigte der Bekla gten hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Näheres hierzu könne er gegenwärtig nicht vortragen, da dies bisher nicht bestritten worden sei. Vorsorglich b eantrage er die Einräumung einer Schriftsatzfrist.

Durch ein am selben Tag verkündetes Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, das Kündigungsschreiben der Beklagten sei dem Kläger am 21. Februar 1986 zugegangen und die Klagefrist des § 4 Sat z 1 KSchG somit versäumt worden. Mit dem Einwand, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden, sei der Kläger gemäß § 282 Abs. 2, § 296 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Er habe diesen Einwand erst im Schriftsatz vom8. Januar 1987 erhoben, so daß der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten sich in der streitigen Verhandlung hierzu nicht mehr habe äußern können. Eine Zulassung dieses Vorbringens des Klägers hätte wegen der dann erforderl ichen Sachaufklärung die Erledigung des im übrigen entscheidungsreifen Rechtsstreits verzögert.

Mit seiner Berufung hat der Kläger weiter vorgetragen, das Arbeitsgericht hätte die innerhalb der in § 5 KSchG vorgeschriebenen Zwei-Wochen-Frist erhobene Kündigungsschutzklage in einen Zulassungsantrag umdeuten können. D er Einwand der nicht ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung bleibe aufrechterhalten. Die Beklagte hätte bereits zum Verhandlungstermin vom 14. Januar 1987 eine schriftliche Stellungnahme vorlegen können. Dann hätte diese Fr age außer Streit gestellt werden können.

Die Beklagte hat noch vorgebracht, der Kläger bleibe mit seinem vom Arbeitsgericht zu Recht zurückgewiesenen Vortrag zur Betriebsratsanhörung gemäß § 528 Abs. 3 ZPO weiterhin ausgeschlossen. Im übrigen habe sie dem Betrie bsratsvorsitzenden die Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitgeteilt. Dieser habe sie davon unterrichtet, daß der Betriebsrat gegen die Kündigung keine Einwendungen erhebe.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Kündigungsschutzklage sei verspätet erhoben worden, weil die Kündigung dem Kläger bereits am 21. Februar 1986 zugegangen und die dreiwöchige Klagefrist deshalb bei Eingang der K lage bei Gericht verstrichen gewesen sei. Für die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung gelte somit gemäß § 7, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG ein wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB als von Anfang an geg eben. Die Kündigung sei auch nicht aus einem anderen Grund unwirksam. Der Kläger sei mit seinem Einwand der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats ausgeschlossen, weil er ihn bereits in erster Instanz verspätet v orgebracht habe.

Dieser Würdigung kann nur teilweise zugestimmt werden.

II. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, dem Kläger sei das Kündigungsschreiben am 21. Februar 1986 zugegangen.

1. Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Anwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine schriftliche Willenserklärung ist nach § 130 Abs. 1 BGB zugegangen, sobal d sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers bzw. eines empfangsberechtigten Dritten gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von d em Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen (vgl. RGZ 60, 334, 336; 99, 20, 23; 142, 402, 407; RAG ARS 40, 181, 183; 41, 206, 210; BGHZ 67, 271, 275; BAG Urteile vom 16. Januar 1976 – 2 AZR 619/74 – und vom 13. Oktober 19 76 – 5 AZR 510/75 – AP Nr. 7 und 8 zu § 130 BGB; KR-Friedrich, 3. Aufl., § 4 KSchG Rdn. 102; Münch-Komm-Förschler, BGB, 2. Aufl., § 130 Rdn. 10 ff.; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 130 Rdn. 8, 11; Staudinger/Dilcher,BGB, 12. Aufl., § 130 Rdn. 21). Wenn für den Empfänger diese Möglichkeit unter gewöhnlichen Verhältnissen besteht, ist es unerheblich, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran durch Kr ankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände zunächst gehindert war (vgl. RGZ 60, 334, 336; RAG, aaO.; BAG vom 16. Januar 1976, aaO.; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., vor § 620 Rdn. 44).

2. Diese Grundsätze gelten auch für den Zugang von Kündigungen.

a) Der erkennende Senat hat im Urteil vom 25. August 1978 (- 2 AZR 693/76 – n.v. ) angenommen, der Empfänger habe diese “Möglichkeit der Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Verhältnissen” auch dann, wenn er sich urlaubsbedin gt nicht in seiner Wohnung aufhalte. Er hat deshalb das einem Familienangehörigen des Arbeitnehmers ausgehändigte Kündigungsschreiben als dem Arbeitnehmer zugegangen angesehen, obwohl dieser urlaubsbedingt ortsabwesend wa r. Er hat dies damit begründet, eine zufällige vorübergehende Abwesenheit des Empfängers spiele für die Frage des Zugangs keine Rolle, solange die Erklärung nur in seinen Machtbereich gelangt sei, sei es durch Einwurf in eine technische Empfangsvorkehrung (Hausbriefkasten, Postfach etc.) oder durch Übergabe an einen empfangsberechtigten Dritten (Empfangsboten wie z.B. Haushaltsangehörige, Vermieter, Mitmieter). Dies gelte auch dann, wenn der Arbeitgeber gewußt habe, daß der Arbeitnehmer während seines Urlaubs verreisen wollte, jedenfalls wenn ihm dieser seine Urlaubsanschrift nicht mitgeteilt habe.

b) Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat im Urteil vom 16. Dezember 1980 (BAGE 34, 305, 308 = AP Nr. 11 zu § 130 BGB) entschieden, bei einer dem Arbeitgeber bekannten urlaubsbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmer s gehe diesem eine schriftliche Kündigung erst nach der Rückkehr des Arbeitnehmers aus dem Urlaub zu. Der Arbeitgeber könne im Regelfall nicht erwarten, dem Arbeitnehmer werde ein an die Heimatanschrift gerichtetes Kündig ungsschreiben vor Ablauf des Urlaubs bzw. Rückkehr von der Urlaubsreise zugehen. Umgekehrt dürfe der Arbeitnehmer mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf vertrauen, daß sich während seiner dem Arbeitgeber bekannten Url aubsreise an dem Arbeitsverhältnis nichts ändern werde. Auf diese, im vorliegenden Fall vom Berufungsgericht abgelehnte Entscheidung beruft sich auch in erster Linie die Revision.

c) An der in dem vorbezeichneten Urteil vertretenen Ansicht hat der Siebte Senat in seinem auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmten Urteil vom 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – (EzA § 130 B GB Nr. 16) jedoch nicht mehr festgehalten. Er hat insbesondere das zusätzliche Zugangserfordernis “wenn und solange der Erklärende die Kenntnisnahme des Adressaten vom Erklärungsinhalt berechtigterweise erwarten kann” auf gegeben. Aufgrund der näheren Begründung, auf die verwiesen wird, hat er angenommen, ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben gehe diesem grundsätzlich auch bei Kenntnis des Arbeitgeber s von der urlaubsbedingten Ortsabwesenheit des Arbeitnehmers zu. Dies gelte in aller Regel selbst dann, wenn der Arbeitnehmer seine Urlaubsanschrift dem Arbeitgeber mitgeteilt habe; lediglich bei besonderen Umständen des Einzelfalles könne sich aus § 242 BGB eine abweichende Würdigung ergeben.

d) Diese Entscheidung entspricht im Grundsatz der vom Senat in dem bereits erwähnten Urteil vom 25. August 1978 – 2 AZR 693/76 -vertretenen Ansicht. Der Senat hat an ihr in seinem nicht veröffentlichten Urteil vom 11. Aug ust 1988 – 2 AZR 11/88 – festgehalten Er hat sich darin lediglich die Prüfung vorbehalten, ob ein Zugang des an die Heimatanschrift gerichteten Kündigungsschreibens generell auch bei positiver Kenntnis des Arbeitgebers vo n der Urlaubsanschrift des Arbeitnehmers vorliegt und sich ausnahmsweise nur aus § 242 BGB eine andere Würdigung ergeben kann.

3. Wendet man den bisher vom erkennenden Senat und nunmehr auch vom Siebten anerkannten Zugangsbegriff, von dem auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, auf den vorliegenden Fall an, so ist die Kündigung der Beklagten d em Kläger am 21. Februar 1986 zugegangen. Danach müssen für den Zugang einer schriftlichen Kündigungserklärung zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Das Schreiber muß in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgew alt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten Dritten gelangen und für den Empfänger muß unter gewöhnlichen Umständen eine Kenntnisnahme zu erwarten sein. Beide Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall für den Zuga ng des Kündigungsschreibens der Beklagten am 21. Februar 1986 an den Kläger erfüllt.

a) Das Kündigungsschreiben war mit dem Einwurf in den Wohnungsbriefkasten des Klägers in verkehrsüblicher Art in seine tatsächliche Verfügungsgewalt gelangt.

aa) Der Senat hatte bereits in dem – nicht veröffentlichten -Urteil vom 8. Dezember 1983 – 2 AZR 354/82 – über den Zugang eines Kündigungsschreibens während der Untersuchungshaft des Arbeitnehmers zu befinden. In dem dort igen Fall war das an die Wohnungsadresse des inhaftierten Klägers gerichtete Kündigungsschreiben seiner Ehefrau übergeben worden, die es ihm erst nach der Haftentlassung ausgehändigt hatte. Der Senat hat angenommen, das K ündigungsschreiben sei mit der Aushändigung an die Ehefrau des dortigen Klägers in die Verfügungsgewalt eines empfangsberechtigten Dritten gelangt. Die Ehefrau sei nach der Verkehrsauffassung als ermächtigt anzusehen, denEhemann in der Empfangnahme von Briefen zu vertreten. Da es für den Zugang der Willenserklärung gemäß § 130 Abs. 1 BGB darauf ankomme, ob das Kündigungsschreiben in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsge walt des Empfängers oder der den Empfang vermittelnden Person gelangt sei, sei es unerheblich, ob der dortige Kläger nach den strengen formalisierten Voraussetzungen des § 181 ZPO über die Ersatzzustellung “in der Wohnung ” des Zustellungsempfängers auch während der Untersuchungshaft noch in den von seine Familie weiterhin bewohnten Räumen eine Wohnung gehabt habe.

In Abweichung von dem in dieser Entscheidung beurteilten Fall war vorliegend das Kündigungsschreiben in den Wohnbriefkasten des Klägers eingeworfen worden, während sich der Kläger in Frankreich in Auslieferungshaft und se ine Ehefrau in deutscher Untersuchungshaft befunden hatte. Gleichwohl war das Kündigungsschreiben mit dem Einwurf in den Wohnungsbriefkasten in verkehrsüblicher Weise in den Machtbereich des Klägers gelangt.

bb) In erster Linie zählt die Wohnung zum Machtbereich des Empfängers einer schriftlichen Willenserklärung, in den sie deshalb nach der Verkehrssitte in der Regel mit dem Einwurf des Schreibens in den Wohnungsbriefkasten als einer technischen Empfangsvorrichtung gelangt (vgl. Senatsurteil vom 25. August 1978, aaO.). Die Wohnung zählt zum Machtbereich des Empfängers, solange er sie nicht aufgegeben hat.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, der Kläger habe seine Wohnung während der gesamten Zeit seines Auslandsaufenthalts ab Anfang Januar 1986 bis zu seiner Inhaftierung am 10. Februar 1986 nicht aufgegeben. An diese vonder Revision ungerügt gebliebene Feststellung ist der Senat gebunden.

cc) Die Aufgabe der Wohnung ist auch nicht unabhängig von einem dahingehend ausdrücklich erklärten Willen des Klägers aufgrund seiner Inhaftierung anzunehmen.

Ob bei Untersuchungshaft oder Auslieferungshaft im Ausland die Familienwohnung des Inhaftierten noch weiter als Wohnung im Sinne der Vorschrift des § 181 ZPO über die Ersatzzustellung anzusehen ist, ist für den Zugang einer Willenserklärung nach § 130 Abs. 1 BGB unerheblich, wie der Senat bereits in dem Urteil vom 8. Dezember 1983 – 2 AZR 354/82 – ausgesprochen hat. Die Vorschriften über die Zustellung dienen im Verhältnis zum Zustellungsempfänger der Verwirklichung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs vor Gericht gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Die Vorschriften der §§ 181, 182 ZPO über die Ersatzzustellung stellen auf die Wohnung ab, weil dies der Ort ist, wo am ehesten damit gerechnet wird, daß das zuzustellende Schriftstück den Empfänger erreicht. Dementsprechend kommt es für den Begriff der Wohnung im Sinne dieser Vorschriften auf das tatsächliche Wohnen an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und insbesondere, ob er dort schläft. Hat er die Räume in dieser Weise benutzt, so hebt nicht jede vorübergehende Abwesenheit, selbst wenn sie länger dauert, diese Eigenschaft als Wohnung auf. Sie geht erst verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustellungsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert. Ob dies der Fall ist, läßt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen, wobei der Zweck der Zustellungsvorschrift, dem Empfänger das rechtliche Gehör zu gewähren, zu berücksichtigen ist. Geeignete Gesichtspunkte für diese Prüfung können die Dauer der Abwesenheit, der Kontakt zu den in der Wohnung verbliebenen, die Absicht und die Möglichkeit der Rückkehr sein (BGH, NJW 1978, 1858). Der Bundesgerichtshof (aaO.) hat deshalb bei einer zweimonatigen Strafverbüßung des Zustellungsempfängers seine bisherige Wohnung nicht mehr als Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften angesehen.