BAG: 2-Wochen-Frist des § 626 II BGB analog bei Anfechtung gem. § 119 II BGB

BAG, AZ 7 AZR 38/78, Urteil vom 14.12.79

LEITSATZ “1. Arbeitnehmer, die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 KSchG nicht unter den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallen, sind nicht dazu verpflichtet, eine ihnen gegenüber erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG gerichtlich überprüfen zu lassen.

Es bleibt unentschieden, ob die unter den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallenden Arbeitnehmer bei einer Anfechtung des Arbeitsvertrages die Klagefrist des § 4 KSchG zu beachten haben.

2. Die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätze zu § 626 Abs. 2 BGB finden auf eine gemäß § 119 Abs. 2 BGB erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages entsprechend Anwendung.

Eine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Arbeitnehmers (§ 119 Abs. 2 BGB) ist daher nur dann “unverzüglich” i.S. des § 121 Abs. 1 BGB erklärt, wenn sie spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Kenntnis der für die Anfechtung maßgebenden Tatsachen erfolgt.”

GRÜNDE Tatbestand:

Die am 11. Oktober 1950 geborene Klägerin war ab 1. September 1971 aufgrund des Arbeitsvertrages vom 25. April 1971 in der Tanzschule des Beklagten als Tanzlehrerin-Assistentin mit einem Monatsgehalt von 1.000,– DM brutto beschäftigt. Der Beklagte stellte ihr außerdem ein Zimmer unentgeltlich zur Verfügung.

Bei Abschluß des Arbeitsvertrages wurde der Gesundheitszustand der Klägerin nicht erörtert. Die Klägerin erlitt am 5. oder 8. Oktober 1971 im Beisein des Beklagten während des Unterrichts einen Krampfanfall. Auf Empfehlun g des Beklagten suchte die Klägerin hierauf am 11. Oktober 1971 den Internisten und Facharzt für Hals-/Nasen- und Ohrenkrankheiten, Herrn Dr. med. V. auf. In der Folgezeit erbrachte die Klägerin ihre Arbeitsleistung, bis sie am 16. November 1971 von einem Unbekannten nachts überfallen wurde. Hierauf war sie einige Tage arbeitsunfähig. Der Beklagte wandte sich am 18. November 1971 fernmündlich an seinen Hausarzt, den Zeugen Dr. med. V., un d bat um Auskunft über den Gesundheitszustand der Klägerin. Am 18. November 1971 fand außerdem ein Gespräch zwischen den Parteien statt, in dessen Verlauf der Beklagte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anstrebte. Di e Klägerin kündigte hierauf mit Schreiben vom 21. November 1971 das Arbeitsverhältnis ordentlich unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist zu dem nächstmöglichen Termin (31. August 1972). Am 23. November 1971 erh ielt der Beklagte von dem Zeugen Dr. med. V. ein auf den 11. Oktober 1971 datiertes Attest, in dem festgestellt wird, daß die Klägerin an Epilepsie erkrankt sei. Hierauf suchte der Beklagte am 24. November 1971 seinen spä teren Prozeßbevollmächtigten auf, der sodann mit Schreiben vom 26. November 1971, der Klägerin zugegangen am 30. November 1971, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung und wegen Irrtums mit der Begründung anfocht, die Klägerin habe bei ihrer Einstellung verschwiegen, daß sie an Epilepsie leide. Der Beklagte stellte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei und zahlte seit dem 1. Dezember 1971 kein Gehalt mehr. In den Monaten Dezemb er 1971/Januar 1972 unterzog sich die Klägerin einer Blinddarm-Operation. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit (4. Dezember 1971 bis 9. Januar 1972) erhielt die Klägerin von der Barmer Ersatzkasse Krankengeldzahlungen in H öhe von 793,65 DM.

Mit der am 18. Februar 1972 erhobenen Klage hat die Klägerin die jetzt noch allein anhängige Zahlungsklage erhoben.

Die Klägerin hält die mit Schreiben vom 26. November 1971 erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages für unwirksam. Sie hat bestritten, an Epilepsie zu leiden. Sie habe vielmehr eine auf Kalziummangel zurückzuführende Stoff wechselerkrankung. Wegen der Unwirksamkeit der Anfechtung sei der Beklagte verpflichtet, ihr aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges die monatliche Vergütung von 1.000,– DM brutto für die Zeit vom 1. Dezember 1971 bis 31. August 1972 zu zahlen, und zwar abzüglich des für die Zeit vom 4. Dezember 1971 bis 9. Januar 1972 erhaltenen Krankengeldes von 793,65 DM sowie abzüglich des in der Zeit vom 13. Juni 1972 bis 31. Juli 1972 erzielten Z wischenverdienstes von 1.793,97 DM netto. Der Beklagte sei weiterhin verpflichtet, ihr für die frühzeitige Räumung des Zimmers Auslagen von 250,– DM zu erstatten. Aufgrund eines mit ihrer Mutter abgeschlossenen Darlehens vertrages vom 8. Oktober 1972 über einen Betrag von 7.600,– DM sei sie dazu verpflichtet, ihrer Mutter die banküblichen Zinsen zu zahlen.

Mit Schriftsatz vom 22. März 1972 ist die Barmer Ersatzkasse auf Seiten der Klägerin dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin beigetreten.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin DM 9.000,– brutto zuzüglich DM 250,– netto, abzüglich DM 2.587,62 netto zu bezahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Nebenintervenientin DM 793,95 netto zu bezahlen,

3. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Zinsen aus dem Betrag zu 1) wie folgt zu zahlen:

9,5 % aus DM 750,– ab 31.1.1972 bis 9.10.1972 8,5 % aus DM 1.500,– ab 28.2.1972 bis 9.10.1972 8,5 % aus DM 2.250,– ab 31.3.1972 bis 9.10.1972 8,5 ,% aus DM 3.000,– ab 30.4.1972 bis 9.10.1972 8,5 % aus DM 3.750,– ab 31.5.1972 bis 9.10.1972 8,5 % aus DM 4.500,– ab 30.6.1972 bis 9.10.1972 8,5 % aus DM 5.250,– ab 31.7.1972 bis 9.10.1972 9 % aus DM 5.250,– ab 9.10.1972 bis 2.11.1972

sowie aus DM 5.250,–:

9,5 % ab 3.11.1972 bis 30.11.1972 10 % ab 1.12.1972 bis 11. 1.1973 10,5 % ab 12.1.1973 bis 30.4.1973 11 % ab 1.5.1973 bis 3.5.1973 12 % ab 4.5.1973 bis 30.5.1973 13 % ab 1.6.1973 bis 30.6.1973 14 % ab 1.7.1973 bis 14.11.1973 15 % ab 15.11.1973 bis 28.2.1975 13,5 % ab 1.3.1975 bis 31.10.1975 12,5 % ab 1.11.1975 bis 31.1.1976 12 % ab 1.3.1976.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, die Klägerin leide an Epilepsie und sei daher als Tanzlehrerin nicht geeignet. Der Klägerin sei auch bei Vertragsabschluß bekannt gewesen, daß sie an die ser Krankheit leide. Bei einer zugunsten der Klägerin angenommenen Unwirksamkeit der Anfechtung könne sie gleichwohl nicht die volle Vergütung von dem Beklagten begehren, denn sie habe es böswillig unterlassen, sich ander e Arbeit zu suchen. Der geltend gemachte Zinsanspruch stehe ihr ebenfalls nicht zu, da es sich bei dem Darlehensvertrag zwischen der Klägerin und ihrer Mutter um ein Scheingeschäft handele.

Der Beklagte hat aufrechnungsweise die folgenden Gegenansprüche geltend gemacht: Die Klägerin habe unberechtigt in der Zeit vom 1. Februar 1972 bis Ende August 1972 in dem vom Beklagten zur Verfügung gestellten Zimmer gew ohnt. Hierdurch sei ihm ein monatlicher Nutzungsausfall von 150,– DM entstanden. Die Klägerin habe außerdem private Telefongespräche (1114 Einheiten zu je 0,26 DM) geführt, so daß sie dem Beklagten einen weiteren Betrag von 289,64 DM schulde. Für die unbefugte Entnahme eines Leuchters, von Vorhängen und von Auslegware habe ihm die Klägerin in Höhe von 350,– DM Ersatz zu leisten. Die Klägerin hat bestritten, in dem vom Beklagten behaupte ten Umfange private Telefongespräche geführt sowie Gegenstände des Beklagten entwendet zu haben.

Das Arbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Klage – mit Ausnahme eines Abzuges bei den von der Klägerin geltend gemachten Zinsen – in vollem Umfange stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat der BeklagteBerufung eingelegt und sein erstinstanzliches Vorbringen im wesentlichen wie folgt ergänzt: Aufgrund des Inhalts des Sachverständigengutachtens stehe fest, daß die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses a n Epilepsie gelitten habe. Der Klägerin sei diese Erkrankung auch bei der Einstellung bekannt gewesen. Dies ergebe sich aus dem Inhalt des Attests des Dr. med. V. vom 11. Oktober 1971, wonach die Klägerin selbst angegebenhabe, daß sie seit ihrem 14. Lebensjahr an epileptischen Anfällen leide. Angesichts dieser Erkrankung sei die Klägerin für die vertraglich geschuldete Leistung ungeeignet.

Die Klägerin hat hierauf erwidert, daß sie im Anschluß an die Tätigkeit bei dem Beklagten ca. 4 Jahre in einer anderen Tanzschule gearbeitet habe, ohne daß ein neuer Anfall aufgetreten sei. Unter Berücksichtigung des Inha ltes des Sachverständigengutachtens sei davon auszugehen, daß bei ihr nur eine leichte Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes vorliege. Sie selbst habe weder von ihrem früher behandelnden Arzt noch von ihrer Mutter erf ahren, daß ihre Anfälle epileptischer Natur seien; man habe lediglich von einer Tetanie gesprochen. Im übrigen sei die Anfechtung nicht rechtzeitig erklärt. Der Beklagte habe den krampfartigen Anfall vom 5. Oktober 1971 s elbst miterlebt. Die mit Schreiben vom 26. November 1971 erklärte Anfechtung könne daher nicht mehr als unverzüglich angesehen werden.

Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Beweisaufnahme das Urteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts, wä hrend der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin nicht dazu verpflichtet gewesen ist, die mit Schreiben vom 26. November 1971 erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages innerhalb der dreiwöchig en Klagefrist des § 4 KSchG im Wege einer Klage anzugreifen. Da die Klägerin zum Zeitpunkt des Zugangs des Anfechtungsschreibens noch nicht sechs Monate bei dem Beklagten beschäftigt gewesen ist, brauchte sie weder die Kl agefrist noch die Form des KSchG einzuhalten (vgl. BAGE 1, 272 = AP Nr. 5 zu § 11 KSchG; BAGE 2, 194 = AP Nr. 7 zu § 11 KSchG; BAGE 24, 401 = AP Nr. 65 zu § 626 BGB; a.A. Hueck, KSchG, 9. Aufl., § 13 Anm. 20 ff.). Es kanndaher im Streitfall offenbleiben, ob die unter den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallenden Arbeitnehmer gehalten sind, eine ihnen gegenüber erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages in entsprechender Anwe ndung des § 4 KSchG innerhalb einer dreiwöchigen Klagefrist anzugreifen (für eine entsprechende Anwendung des § 4 KSchG: Hueck, aaO., § 1 Anm. 58; Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I, S. 189; Niki sch, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Bd. 1, S. 226; a.A. Auffarth-Müller, KSchG, 1960, § 1 Anm. 67; Herschel-Steinmann, KSchG, 5. Aufl., § 1 Anm. 17 a; Wenzel, MDR 1968, 195; ders., MDR 1977, 454 und MDR 1978, 106).

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß eine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB nicht gerechtfertigt ist.

Dabei ist es von folgenden tatsächlichen Feststellungen ausgegangen: Es könne nicht als erwiesen angesehen werden, daß der Klägerin bewußt gewesen sei, für den erstrebten Arbeitsplatz gesundheitlich nicht geeignet gewesenzu sein. Es könne auch nicht angenommen werden, daß die Klägerin damit gerechnet habe, der Beklagte werde sie bei Offenbarung der in der Vergangenheit aufgetretenen Anfälle nicht einstellen. Es sei die Einlassung der Klä gerin nicht widerlegt, daß sie selbst die medizinische Ursache ihrer Anfälle nicht gekannt habe. Im Hinblick auf das jugendliche Alter der Klägerin und um ihr psychische Belastungen zu ersparen, sei es sogar naheliegend, daß ihr der behandelnde Arzt und ihre Mutter eine harmlose, unverfängliche Ursache ihrer gelegentlichen Anfälle genannt hätten. Die Klägerin habe daher davon ausgehen können, daß Anfälle in Zukunft ausbleiben würden und d amit keine Belastung des Arbeitsverhältnisses eintreten werde.

Bei Zugrundelegung dieser tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat mangels entsprechender Verfahrensrügen gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden ist, enthält das angefochtene Urteil insoweit keinen Rechtsfehler, als es ein e Anfechtung wegen arglistiger Täuschung mangels Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 123 BGB verneint.

III. Dem Landesarbeitsgericht kann dagegen nicht darin gefolgt werden, daß der Inhalt des Schreibens vom 26. November 1971 auch als die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung auszulegen ist.

Angesichts des Umstandes, daß das Schreiben von dem späteren Prozeßbevollmächtigten des Beklagten verfaßt wurde und die ausdrückliche Erklärung enthält, daß “der Anstellungsvertrag wegen arglistiger Täuschung und vorsorgl ich auch wegen Irrtums angefochten” werde, ist kein Raum für eine Auslegung im Sinne einer außerordentlichen Kündigung. Dafür, daß diese Begriffe von dem späteren Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht im rechtstechnisc hen Sinne gebraucht worden sind, bietet der Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte. Aus der in dem Schreiben vom 26. November 1971 angeführten Rechtsfolge, wonach “der Anstellungsvertrag als von Anfang an nichtig anzusehen s ei”, ergibt sich vielmehr mit der notwendigen Eindeutigkeit und Klarheit, daß der Beklagte von dem ihm in Fällen der vorliegenden Art zustehenden Wahlrecht (vgl. BAG, AP Nr. 2 und 3 zu § 119 BGB) im Sinne einer AnfechtungGebrauch gemacht hat. An die Ausübung dieses Wahlrechts ist der Beklagte gebunden.

IV. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, der Beklagte habe den mit der Klägerin abgeschlossenen Arbeitsvertrag mit Schreiben vom 26. November 1971 jedenfalls wegen Irrtums nach § 119 Abs. 2 BGB wirksam angefoch ten, rügt die Revision zu Recht, daß der Beklagte zu diesem Zeitpunkt ein etwaiges Anfechtungsrecht mangels einer unverzüglichen Ausübung (§ 121 Abs. 1 BGB) bereits verloren hatte

1. Es kann offenbleiben, ob das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft i. S. des § 119 Abs. 2 BGB verkannt und ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm alle daf ür maßgebenden Umstände vollständig und widerspruchsfrei gewürdigt hat. Selbst bei einer zugunsten des Beklagten unterstellten Anfechtungsberechtigung nach § 119 Abs. 2 BGB hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht angenomm en, daß der Beklagte von diesem Anfechtungsrecht unverzüglich im Sinne des § 121 Abs. 1 BGB Gebrauch gemacht hat.

Im einzelnen hat das Landesarbeitsgericht hierzu folgendes ausgeführt: Anfechtungsgrund sei nicht der Anfall vom 5. Oktober 1971 bzw. 8. Oktober 1971, sondern die Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der Klägerin dur ch die festgestellte Neigung zu epileptischen Anfällen. Der Beklagte habe nicht angefochten, weil der Anfall aufgetreten sei, sondern weil er aufgrund der medizinischen Ursache habe befürchten müssen, daß in der Folgezeitweitere Anfälle während der Arbeitszeit auftreten würden. Für die Beurteilung der Frage, ob der Beklagte “unverzüglich” den Arbeitsvertrag gemäß § 119 Abs. 2 BGB angefochten habe, komme es daher darauf an, wann der Bekla gte etwas von der Neigung der Klägerin zu epileptischen Anfällen erfahren habe. Nach der Aussage der Zeugin H. sei es als erwiesen anzusehen, daß der Beklagte nach dem 8. Oktober 1971 zunächst keine Kenntnis hatte, auf we lcher Ursache die Ohnmacht der Klägerin während der Tanzstunde beruht habe. Nach den glaubhaften Angaben der Zeugin sei er erst mißtrauisch geworden, als die Klägerin den Überfall vom 16. November 1971 gemeldet habe. Es k önne davon ausgegangen werden, daß die Klägerin tatsächlich überfallen worden sei und nicht, wie der Beklagte zunächst vermutet habe, einen erneuten Anfall erlitten habe. Entscheidend sei aber, daß der Beklagte sich erst am 18. November 1971 an den Zeugen Dr. med. V. mit der Bitte um Ausstellung eines Attestes gewandt habe. Am 23. November 1971 habe er sodann ein auf den 11. Oktober 1971 zurückdatiertes Attest erhalten. Erst zu diesem Zei tpunkt habe er eine konkrete Kenntnis von dem Anfechtungsgrund gehabt. Die vom späteren Prozeßbevollmächtigten des Beklagten mit Schreiben vom 26. November 1971 erklärte Anfechtung, der Klägerin nach ihren Angaben am 30. November 1971 zugegangen, sei rechtzeitig abgegeben worden, da zwischen der Kenntniserlangung und dem Zugang der Anfechtung nur eine Woche liege.

2. In diesen Ausführungen liegt eine Verkennung des in § 121 Abs. 1 BGB verwandten Begriffes “unverzüglich”. Der Revision ist darin zuzustimmen, daß die in § 626 Abs. 2 BGB enthaltene zweiwöchige Ausschlußfrist zur zeitli chen Konkretisierung des in § 121 Abs. 1 BGB verwandten unbestimmten Rechtsbegriffes der “unverzüglichen” Anfechtung heranzuziehen ist (vgl. Wenzel, MDR 1969, 970).

a) Für eine derartige Objektivierung in Form einer zeitlichen Konkretisierung des Begriffes “unverzüglich” sprechen folgende Gesichtspunkte: Die außerordentliche Kündigung kann neben der Anfechtung wahlweise zulässig sein , wenn der Anfechtungsgrund im Zeitpunkt der Anfechtungserklärung so stark nachwirkt, daß deswegen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist (BAG, AP Nr. 2 und 3 zu § 119 BGB; BAGE 24, 401, 407 = AP Nr. 65 z u § 626 BGB, zu III 2 der Gründe). Die Zuerkennung eines Wahlrechtes zwischen dem Recht zur Anfechtung und dem Recht zur außerordentlichen Kündigung gebietet es, auf beide Gestaltungsrechte weitgehend die gleichen Grundsä tze anzuwenden. Abgesehen von der Austauschbarkeit beider Rechtsinstitute besteht insoweit eine funktionelle Identität, als beide rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten dem Berechtigten die Möglichkeit einräumen, das Arbeits verhältnis ohne Bindung an Kündigungsfristen beenden zu können. Die beiden Rechtsinstituten immanente Möglichkeit, durch eine einseitige Willenserklärung eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen zu können, rechtfertigt es, beide Gestaltungsrechte in ihren Ausübungsmodalitäten weitgehend anzugleichen. Dabei wird nicht verkannt, daß der in § 121 Abs. 1 BGB verwandte Begriff der Unverzüglichkeit sowohl eine an das Vers chuldenserfordernis anknüpfende subjektive als auch eine auf den Zeitablauf abstellende objektive Komponente (“ohne Zögern”) aufweist, während die Bestimmung des § 626 Abs. 2 BGB durch die alleinige Anknüpfung an den Zeit ablauf in vollem Umfange objektiviert ist. Wegen der funktionellen Austauschbarkeit einer Anfechtung gemäß § 119 Abs. 2 BGB sowie einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB besteht aber die Gefahr, daß die z weiwöchige Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB trotz ihrer zwingenden Ausgestaltung zur Disposition der Arbeitsvertragsparteien gestellt wird. Dieser Umgehungsgefahr kann wirksam nur dadurch begegnet werden, daß die in de m Begriff der Unverzüglichkeit enthaltene objektive Komponente (“ohne Zögern”) durch eine Anknüpfung an die in § 626 Abs. 2 BGB geregelte zweiwöchige Ausschlußfrist im Sinne einer Höchstfrist zeitlich konkretisiert wird ( vgl. Neumann, Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 7, S. 39).

b) Eine unter Anknüpfung an die zweiwöchige Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgende zeitliche Konkretisierung des § 121 BGB trägt zudem den im Kündigungs- und Kündigungsschutzrecht in besonderem Maße zum Ausdruck g ekommenen Grundsätzen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung. Auch im Bereich des besonderen Kündigungsschutzes geht das Bestreben der Gesetzgebung und der Rechtsprechung dahin, durch eine weitgehende Objektivie rung in Form von festen zeitlichen Maßstäben dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit Rechnung zu tragen. Im Bereich des besonderen Kündigungsschatzes für Schwerbehinderte hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts (vgl. U rt. v. 23. Februar 1978 – 2 AZR 462/76 -, AP Nr. 3 zu § 12 SchwbG [auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt]) entschieden, daß der Schwerbehinderte sich im Falle einer ordentlichen Kündigu ng innerhalb einer Frist von einem Monat gegenüber dem Arbeitgeber auf die Schwerbehinderteneigenschaft berufen muß. Auch der Gesetzgeber will kündigungsschutzrechtliche Normen durch die Aufnahme fester zeitlicher Maßstäb e objektivieren. Dies zeigt die Entwicklungsgeschichte des § 9 Abs. 1 MuSchG. Nach § 4 MuSchG 1927 (Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16. Juli 1927, RGBl. I, 184) war die Kündigung unwirksam, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder wenn ihm die Arbeitnehmerin davon “unverzüglich” nach Empfang der Kündigung Kenntnis gegeben hatte. Diese Regelung wurde in § 6 MuSchG 1942 (RGBl. I, 321) übernommen. Durch das MuSchG 1952 (BGBl. I, 69) wurde der schwangeren Arbeitnehmerin der Kündigungsschatz gewährt, wenn dem Arbeitgeber diese Tatsache “innerhalb einer Woche nach Zugang der Kündigung mitget eilt wird”. Durch das Änderungsgesetz vom 24. August 1965 (BGBl. I, 912) wurde die Mitteilungsfrist auf zwei Wochen verlängert. Die Entwicklung dieser Bestimmung zeigt damit deutlich, daß der Gesetzgeber es im Interesse d er Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit für geboten erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff “unverzüglich” durch die Festlegung einer Zeitspanne von zwei Wochen in zeitlicher Hinsicht zu konkretisieren.

c) Die Einführung der zweiwöchigen Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB geht auf ähnliche Erwägungen zurück (vgl. BAGE 23, 475, 478 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu II der Gründe). Die zeitliche Begrenzung der Kü ndigungsberechtigung auf höchstens zwei Wochen beruht sowohl auf kollektiven als auch auf individualrechtlichen Erwägungen. Bei personellen Einzelmaßnahmen erfordert es die Ordnung des Betriebes, daß rasch Klarheit gescha ffen wird. Zur Erhaltung des Betriebsfriedens darf eine längere Ungewißheit über das Schicksal des Arbeitsverhältnisses nicht eintreten. Im Bereich des Individualrechts spricht für die Notwendigkeit einer Befristung der K ündigungsbefugnis das Gebot der Rechtssicherheit. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes darf es nicht eine unangemessen lange Zeit ungewiß bleiben, ob der Kündigungsberechtigte von der ihm zustehenden kündigungsrechtliche n Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch macht.

Die aufgezeigten kollektiven und individualrechtlichen Erwägungen treffen auch für die Ausübung eines Anfechtungsrechts gemäß § 119 Abs. 2 BGB zu. Auch die Befugnis zur Ausübung dieses Gestaltungsrechts soll zeitlich begrenzt sein, denn nach § 121 BGB muß die Anfechtung gemäß § 119 BGB ohne schuldhaftes Zögern erfolgen. Der Umstand, daß der Gesetzgeber durch das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14. August 1969 (BGBl. I, 1106) lediglich das Recht der außerordentlichen Kündigung, nicht jedoch das Anfechtungsrecht, durch eine zeitliche Begrenzung auf zwei Wochen objektiviert hat, steht einer Angleichung der Rechtslage im Bereich des Arbeitsvertragsrechts nicht entgegen. Die Anfechtung gemäß § 119 BGB ist nicht auf das Arbeitsrecht beschränkt. Der Gesetzgeber hätte damit vor einer schwierigen gesetzlichen Gestaltungsaufgabe gestanden, den Besonderheiten der einzelnen Rechtsgebiete Rechnung zu tragen. Durch die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes “unverzüglich” hat er im Interesse einer größtmöglichen Anpassung an die Besonderheiten eines Rechtsgebietes den Gerichten einen Gestaltungsspielraum eingeräumt, die zeitlichen Grenzen der Ausübung näher zu bestimmen. Dabei ist im Bereich des Bürgerlichen Rechts zur Frage der zeitlichen Begrenzung jeweils auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen (vgl. BGH, NJW 1975, 39; Soergel/Hefermehl, BGB, 10. Aufl., § 121 Anm. 7; Staudinger-Coing, BGB, 11. Aufl., § 121 Anm. 3; Krüger/Nieland, BGB-RGRK, 12. Aufl., § 121 Anm. 6). Im Arbeitsrecht gebieten jedoch die ausgeführten Erwägungen, die Ausübung beider Gestaltungsrechte an die gleichen zeitlichen Grenzen zu binden.