BAG: Gleichbehandlungsgrundsatz bei Sonderzuwendungen gegenüber wissenschaftlichen Mitarbeitern

BAG, AZ 10 AZR 450/92, Urteil vom 06.10.93

LEITSATZ “Es verstößt gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz an den Hochschulen, wenn beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeitern mit abgeschlossener
Hochschulbildung eine jährliche Sonderzuwendung nach dem Gesetz über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung gewährt wird, den wissenschaftlichen Mitarbeitern ohne
abgeschlossene Hochschulbildung – den studentischen Hilfskräften – jedoch nicht.

GRÜNDE

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sonderzuwendung.

Die Klägerin war seit mehreren Jahren an der Universität H. als “wissenschaftliche Hilfskraft ohne abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulbildung” (im folgenden:
studentische Hilfskraft) beschäftigt.

Grundlage ihrer Tätigkeit waren jeweils unmittelbar aneinander anschließende befristete Arbeitsverhältnisse.

In den jeweiligen Arbeitsverträgen heißt es formularmäßig gleichlautend:

“Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen in Abschn. II des Runderlasses des MWK vom 3. November 1986 (Nds. MBl. S. 1057) in der jeweils geltenden Fassung
Anwendung; dies gilt insbesondere auch für die Vergütung. “

Der Runderlaß (RE) hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

“Beschäftigung von wissenschaftlichen Hilfskräften …

I. Personenkreis, Aufgaben, Einstellungsvoraussetzungen

1. An den wissenschaftlichen und künstlerisch-wissenschaftlichen Hochschulen können für Dienstleistungen in der Forschung und in der Lehre wissenschaftliche Hilfskräfte
nebenberuflich beschäftigt werden. Sie unterstützen Professoren, Hochschulassistenten und wissenschaftliche Mitarbeiter bei ihren Aufgaben in Forschung und Lehre. Die ihnen
übertragenen Tätigkeiten sollen zugleich der eigenen wissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung diene n. …

II.

Arbeitsverhältnis …

8. Die Arbeitszeit darf höchstens 83 Stunden monatlich oder 19 Stunden wöchentlich betragen. …

14. Die Vergütung ist für den Kalendermonat zu berechnen und in Monatsbeträgen bis zum 15. des folgenden Kalendermonats zu zahlen. … …

16. Wissenschaftliche Hilfskräfte mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulbildung und einer arbeitsvertraglichen Arbeitszeit von mindestens 42 Stunden monatlich oder
10 Stunden wöchentlich erhalten eine Zuwendung in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung i.d.F. des Artikels VI. Nr. 2 des
Gesetzes vom 23. Mai 1975 (BGBl. I S. 1173), zuletzt geändert durch § 33 des Gesetzes vom 6. D ezember 1985 (BGBl. I S. 2154). Der Grundbetrag der Zuwendung (§ 6 Abs. 1 des
Gesetzes) vermindert sich für jeden Kalendermonat, in dem die Arbeitszeit weniger als 42 Stunden monatlich oder 10 Stunden wöchentlich betragenhat, um ein Zwölftel.
…”

Die Klägerin ist der Ansicht, der Ausschluß der studentischen Hilfskräfte vom Bezug der Sonderzuwendung verstoße gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Mit
ihrer Klage verlangt sie die Zahlung der Sonder zahlung für das Jahr 1990 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 645,84 DM brutto.

Sie hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an sie 645,84 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 16. Dezember 1990 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es macht u.a. geltend, mit der Regelung in Nr. 16 RE sollten die wissenschaftlichen Hilfskräfte mit Hochschulabschluß
wegen ihrer vergleichbaren Tätigkeit den wissens chaftlichen Mitarbeitern an den Hochschulen gleichgestellt werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt das beklagte
Land seinen Abweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des beklagten Landes ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Zahlung der begehrten Sonderzuwendung.

I. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Klägerin habe einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf die Zahlung der Sonderzuwendung für
1990, weil der Ausschluß der studentischen Hilfskräf te in Nr. 16 RE vom Bezug der Zuwendung gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße und deshalb
gemäß § 134 BGB nichtig sei. Einen sachlichen Grund für die Benachteiligung der studentischen Hilfskräft e gegenüber den wissenschaftlichen Hilfskräften mit
Hochschulabschluß habe das beklagte Land nicht anführen können. Diese Begründung ist zutreffend.

II.1. Zur näheren Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, “insbesondere auch für die Vergütung” der Dienste der Klägerin, haben die Parteien in den Arbeitsverträgen die
Anwendung der Bestimmungen im Abschnitt II RE verein bart. Dort ist in Nr. 16 Satz 1 vorgesehen, daß wissenschaftliche Hilfskräfte mit abgeschlossener wissenschaftlicher
Hochschulbildung bei monatlich mindestens 42 oder wöchentlich mindestens 10 Stunden arbeitsvertraglicherArbeitszeit eine Zuwendung in entsprechender Anwendung des SZG
erhalten.

Die Klägerin erfüllt mit ihren vertraglich vereinbarten 46 Arbeitsstunden monatlich die arbeitszeitlichen Voraussetzungen für die Zahlung der Sonderzuwendung. Sie stand auch
seit dem ersten nicht allgemein freien Tag des Monats Oktober 1990 sowie am Stichtag 1. Dezember 1990 zu dem beklagten Land in einem Arbeitsverhältnis und verblieb darin
auch über den 31. März 1991 hinaus.

2. Soweit die Klägerin als studentische Hilfskraft die in Nr. 16 Satz 1 RE geforderte Bezugsvoraussetzung einer “abgeschlossenen” wissenschaftlichen Hochschulbildung
demgegenüber nicht erfüllt, kommt es darauf für die Ber echtigung des erhobenen Anspruchs nicht an. Das Erfordernis eines Hochschulabschlusses verstößt gegen den
arbeitsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung:

a) Die Regelung in Nr. 16 RE betrifft eine freiwillige Leistung des beklagten Landes. Da die wissenschaftlichen Hilfskräfte zu ihm in keinem öffentlich-rechtlich
ausgestalteten Dienstverhältnis stehen und wegen ihres Auss chlusses aus dem persönlichen Geltungsbereich des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) in § 3 Buchst. g BAT
nicht dem “Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte” vom 12. Oktober 1973 unterfallen, besteht keine R echtspflicht des Landes, seinen wissenschaftlichen
Hilfskräften eine Sonderzuwendung zu zahlen. Entschließt sich das Land gleichwohl dazu, so hat es bei der Abgrenzung des begünstigten Personenkreises sachwidrige Ungleich
behandlungen zu vermeiden. Auf dem Gebiet freiwilliger Leistungen ist der Arbeitgeber jedenfalls dann an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden, wenn es
– wie hier – um die Gewährung von Leistungen nac h einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip geht, wenn er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck
festlegt (BAG Urteil vom 23. Januar 1992 – 6 AZR 538/89 – ZTR 1993, 80; BAGE 63, 181 = AP Nr. 29 zu § 1 1 BUrlG; Urteil vom 27. Juli 1988 – 5 AZR 244/87 – AP Nr. 83 zu § 242
BGB Gleichbehandlung).

Der Gleichbehandlungsgrundsatz verwehrt es dem Arbeitgeber, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden
Regelungen auszunehmen und schlechter zu stellen (BAGE 49 , 346 = AP Nr. 76 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 45, 86 = AP Nr. 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Er muß die
Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, daß kein Arbeitnehmer hiervon aus sachfremden oder willkürlichen G ründen ausgeschlossen bleibt (ständige Rechtsprechung, BAGE 33, 57
= AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

3. Ein sachlicher Grund, der es rechtfertigt, die Sonderzahlung wissenschaftlichen Hilfskräften mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulbildung zu gewähren, den
studentischen Hilfskräften jedoch zu versagen, ist n icht ersichtlich und vom beklagten Land nicht dargetan worden.

a) Soweit das beklagte Land sich dafür auf einen “qualitativ anderen Aufgabenbereich der wissenschaftlichen Hilfskräfte mit Hochschulabschluß berufen hat, ist dies kein
sachbezogener Grund dafür, die studentischen Mitarbe iter vom Bezug der Sonderzuwendung auszuschließen. Ob der Ausschluß von einer Leistung i.S. des
Gleichbehandlungsgrundsatzes sachgerecht ist, richtet sich nach dem Zweck der Leistung (BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 45, 66 = AP Nr. 66 zu §
242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 45, 76 = AP Nr. 67 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 45, 86 = AP Nr. 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Die Sonderzahlung ist ihrem Zweck
nac h kein Entgelt für Tätigkeiten bestimmter Art und Qualität, sie wird vielmehr allen Bediensteten unabhängig von der Art ihrer jeweiligen Tätigkeit gezahlt.

Daß auch das Land in der Art und Qualität der Arbeit der wissenschaftlichen Hilfskräfte kein wesentliches Unterscheidungsmerkmal erblickt, ergibt auch Nr. 1 Satz 2 RE.
Danach unterstützen die wissenschaftlichen Hilfskräft e – mit und ohne Hochschulabschluß – in gleicher Weise die Professoren, Hochschulassistenten und wissenschaftlichen
Mitarbeiter bei ihren Aufgaben in Forschung und Lehre.

b) Verfehlt sind auch die Überlegungen des beklagten Landes, wonach studentische Mitarbeiter ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft “mit den wechselnden
Erfordernissen ihres Studiums in Einklang bringen” müßten u nd sich “daher nicht auf längere Zeit arbeitsvertraglich binden” könnten, so daß die Gewährung der
Sonderzuwendung in ihrem Fall auch nicht deren Leistungszweck entspräche, insbesondere “künftige Betriebstreue zu honorier en”.

Daran ist zwar richtig, daß studentische Hilfskräfte ihre Erwerbsarbeit mit den Belangen ihres Studiums in Einklang bringen müssen. Das unterscheidet sie aber allenfalls
graduell von den wissenschaftlichen Hilfskräften mi t Hochschulabschluß. Auch diese müssen auf ihre Aus- und Weiterbildungsbelange achten. Dem trägt der Erlaß ausdrücklich
Rechnung. Nr. 1 Satz 3 RE bestimmt, daß die den wissenschaftlichen Hilfskräften – mit oder ohne Hochs chulabschluß – übertragenen Tätigkeiten “zugleich der eigenen
wissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung dienen” sollen. Nr. 1 Satz RE erklärt daher auch die Beschäftigung der wissenschaftlichen Hilfskräfte unterschiedslosfür
“nebenberuflich” und legt in Nr. 8 die Arbeitszeit der Hilfskräfte gleichfalls einheitlich auf äußerstenfalls “83 Stunden monatlich oder 19 Stunden wöchentlich” fest.

§ 3 Abs. 1 Nr. 3 SZG verlangt darüber hinaus auch keine absolute oder dauernde Betriebstreue. Die Vorschrift setzt lediglich voraus, daß der Zuwendungsempfänger dem Betrieb
noch am 31. März des Folgejahres angehört. Zu ei ner Betriebstreue so beschränkten Umfanges sind aber auch studentische Hilfskräfte fähig, wie gerade der Fall der Klägerin
zeigt, deren Vertrag vom 26. Oktober 1990 bis zum 30. September 1991 läuft.

c) Soweit das beklagte Land in der Revisionsinstanz erstmals geltend gemacht hat, wissenschaftliche Mitarbeiter mit Hochschulabschluß seien wesentlich schwieriger zu
gewinnen als studentische Hilfskräfte, so daß diesen mi t der Zahlung der Sonderzuwendung ein zusätzlicher Anreiz geboten werden müsse, handelt es sich um neues
tatsächliches Vorbringen, das nach § 561 ZPO vom Senat nicht mehr berücksichtigt werden kann. Es kann daher auch dah ingestellt bleiben, ob diese Behauptung zutrifft und
bejahendenfalls die unterschiedliche Behandlung der wissenschaftlichen Mitarbeiter mit und ohne Hochschulabschluß rechtfertigen könnte.

Ist danach der Ausschluß der studentischen Hilfskräfte vom Bezug der Sonderzuwendung mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbaren, so kann die
Klägerin Gleichstellung mit der unzulässig bevorzugten Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter mit abgeschlossener Hochschulbildung verlangen (BAGE 63, 181 = AP Nr. 29 zu
§ 11 BUrlG).

III. Verzugszinsen kann die Klägerin erst vom 16. Januar 1991 an verlangen. Die Sonderzuwendung ist mit den laufenden Bezügen für den Monat Dezember zu zahlen. Die Bezüge
der wissenschaftlichen Mitarbeiter für den Monat Dezember sind nach Nr. 14 RE bis zum 15 des folgenden Kalendermonates zu zahlen. Damit befand sich das beklagte Land nach §
284 Abs. 2 Satz 1 BGB erst mit dem 16. Januar 1991 in Verzug.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.