LEITSATZ “Ob aus einem wiederholten tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers eine betriebliche Ãbung mit Anspruch der Arbeitnehmer auf eine zukünftige Gewährung entsteht oder ob aus dem Verhalten des Arbeitgebers nur eine Vergünstigung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist, hat der Tatsachenrichter unter Berücksichtigung aller Umstände zu ermitteln (Bestätigung von BAGE 22, 429 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Betriebliche Ãbung).”
GRÃNDE Tatbestand:
Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers, am Frankfurter “Wäldchestag” 1991 sowie am Rosenmontag bzw. Faschingsdienstag 1992 einen halben Arbeitstag bezahlte Freizeit zu erhalten.
Der Kläger ist seit dem 1. April 1972 im Betrieb Frankfurt am Main der Beklagten beschäftigt. Sein monatlicher Verdienst belief sich zuletzt auf 6. 600, — DM brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die für die Beklagte maÃgebenden Tarifverträge, darunter insbesondere der Manteltarifvertrag Nr. 12 Bodenpersonal in seiner jeweils geltenden Fassung (MTV), kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Der Kläger ist seit 1983 freigestelltes Betriebsratsmitglied.
Bereits vor 1972 sowie durchgängig bis 1990 gewährte die Beklagte ihren Mitarbeitern in Frankfurt am Main, soweit betriebliche Belange es zulieÃen, wahlweise am Rosenmontag oder Fastnachtsdienstag einen halben Arbeitstag bezahlte Freizeit. Unter der gleichen Voraussetzung wurde den Frankfurter Mitarbeitern seit jeher auch ein halber Arbeitstag bezahlte Freizeit für den Besuch des Frankfurter Volksfestes “Wäldchestag” (Pfingstdienstag) zugestanden. Ãber diese Arbeitsbefreiung wurden die Mitarbeiter alljährlich mit im wesentlichen gleichlautenden Verlautbarungen (Aushänge bzw. Bekanntgabe in den einzelnen Abteilungen) unterrichtet. So lautete der Aushang vo m 2. Mai 1989 auszugsweise wie folgt:
“Arbeitsbefreiung am Wäldchestag (16. Mai 1989)
Zum Besuch des Frankfurter Volksfestes am Nachmittag/Abend des Pfingstdienstag kann – sofern die betrieblichen Belange dies zulassen – wie in den Vorjahren eine zweckgebundene Arbeitsbefreiung bis zu einem halben Arbeitst ag gewährt werden.
Es gelten weiterhin folgende Regelungen:
…..”
Die wegen der Karnevalstage 1990 aufgrund interner Dienstanweisung vom 17. Januar 1990 erfolgte Bekanntgabe in den einzelnen Dienststellen hatte im wesentlichen folgenden Inhalt:
“Arbeitszeitregelung/stundenweise Arbeitsbefreiung am Rosenmontag oder Fastnachtsdienstag (26.2. oder 27.2.1990), wahlweise jeweils vormittags oder nachmittags
Zum Besuch von Faschingsveranstaltungen ist, sofern die betrieblichen Belange dies zulassen, auch in diesem Jahr folgendes Verfahren vorgesehen:
Es kann eine Arbeitsbefreiung bis max. 3.85 Stunden (netto) erfolgen, die tägliche Grundarbeitszeit darf jedoch hierdurch nicht über die planmäÃige Brutto-Grundarbeitszeit hinausgehen (bei gleitender Arbeitszeit max. 8.45Std.). Zusätzlich hierzu kann eine Pausenzuschreibung erfolgen, soweit diese nicht während der Arbeitszeit genommen wird.
Der bis zu zweimal im Monat mögliche Eingriff in die Kernarbeitszeit gem. der Rahmenbetriebsvereinbarung “Gleitende Arbeitszeit” bleibt unberührt.
Soweit Ãberstunden und/oder Plusstunden für Freizeitausgleich im laufenden Monat zur Verfügung stehen, bestehen – sofern wiederum mit dem betrieblichen Ablauf vereinbar – keine Bedenken gegen eine Verbindung von Abfeiern mit der halbtägigen Arbeitsbefreiung.
Es muà jedoch sichergestellt werden, daà an beiden Tagen die notwendige Mindestbesetzung der jeweiligen Arbeitsgruppe ganztägig gewährleistet ist.
……”
Im Jahre 1991 wurde die Arbeitsbefreiung für Rosenmontag/ Faschingsdienstag seitens der Beklagten wegen des Golfkrieges nicht gewährt. Der Betriebsrat hatte dem bezogen auf das laufende Kalenderjahr zugestimmt. Als die Be klagte im Frühjahr 1991 – aufgrund ihrer ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung – erklärte, in Zukunft solle Arbeitsbefreiung zur Karnevalszeit und aus Anlaà des Frankfurter Wäldchestages nicht mehr gewährt werden, wide rsprach der Betriebsrat und berief sich auf ein Mitbestimmungsrecht im Sinne des § 87 Abs. 1 BetrVG.
Mit Schreiben vom 21. Mai 1991 beanspruchte der Kläger bezahlte Freistellung für den Besuch des Wäldchestages 1991. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 27. Mai 1991 ab. Als der Kläger daraufhin am Wäldchestag 1991 seine n Dienst um 12. 10 Uhr beendete, weigerte sich die Beklagte, die Arbeitszeit am Nachmittag jenes Tages im Umfange von 3, 50 Stunden zu bezahlen. Dienstliche Belange standen an jenem Tage einer Arbeitsbefreiung des Klägersnicht entgegen.
Mit seiner am 24. Juni 1991 zugestellten Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe auch in Zukunft Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung für Rosenmontag/Faschingsdienstag sowie für den Wäldchestag. Rechtsgrundlage hi erfür bilde eine seit Jahrzehnten bestehende betriebliche Ãbung, die sich durch das stets wiederholte Verhalten der Beklagten gebildet habe. Einen Widerruf der freiwilligen Leistung habe sich die Beklagte nicht vorbehalte n. Die alljährlichen Aushänge der Beklagten hätten nur darauf beruht, daà es sich bei den jeweiligen Freistellungen um variable, d. h. kalendermäÃig nicht für alle Jahre festliegende Tage gehandelt habe. Es sei mithin dar auf angekommen, die jeweiligen Tage in die Schichtpläne einzubeziehen und auch neu eingestellte, mit den Betriebsübungen bzw. regionalen Gebräuchen nicht vertraute Arbeitnehmer hierauf hinzuweisen.
Darüber hinaus hält der Kläger die Ankündigung, die bezahlte Arbeitsbefreiung in Zukunft zu verweigern, für unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat nicht gemäà § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beteiligt habe.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Zeitgutschrift über sieben Stunden zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat eine betriebliche Ãbung bestritten. Eine solche habe nicht wirksam entstehen können, weil sie schon durch ihre alljährlichen Aushänge zu erkennen gegeben habe, daÃsie sich die Freiwilligkeit ihrer Leistung vorbehalten wolle. Ãberdies habe sie die Arbeitsbefreiungen in den zurückliegenden Jahren jeweils zweckgebunden sowie mit dem ausdrücklichen Hinweis gewährt, daà betriebliche Be lange dies zulieÃen. Aus diesem tatsächlichen Verhalten, mit welchem sie Jahr für Jahr die Möglichkeit der Gewährung jener Arbeitsbefreiungen angekündigt habe, könne gerade nicht auf einen entsprechenden Verpflichtungswil len für die Zukunft geschlossen werden. Der Zweck ihrer Aushänge habe sich auch nicht in der Bedeutung einer bloÃen Erinnerungshilfe hinsichtlich der Arbeitsbefreiungen erschöpft, denn die konkreten Daten der anschlieÃend en Karnevalstage bzw. des traditionellen Brauchtumsfestes am Wäldchestag seien den einzelnen Mitarbeitern bekannt gewesen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bestehe nicht, da s ich die Arbeitsbefreiungen als einseitiger freiwilliger Verzicht auf die Arbeitsleistung im Einzelfalle, und zwar ereignisgebunden sowie ohne Nachgewährungsanspruch darstellten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht die verlangte Zeitgutschrift nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daà dem Kläger ein Anspruch auf bezahlte Freistellung nur aus Vertrag entstanden sein könnte.
1. Die Vertragsbeziehungen der Parteien könnten sich nur aufgrund betrieblicher Ãbung zum Anspruch auf bezahlte teilweise Freistellung am Rosenmontag/Fastnachtsdienstag sowie am Wäldchestag ausgestaltet haben. Unter einerbetrieblichen Ãbung versteht man die regelmäÃige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schlieÃen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingerä umt werden. Aus diesem als Willenserklärung, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommenen wird (§ 151 BGB), zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leis tungen (vgl. nur BAGE 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost; aus neuester Zeit BAGE 59, 73, 84 f.. = AP Nr. 33 zu § 242 BGB Betriebliche Ãbung, zu II 3 a der Gründe, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Bei derAnspruchsentstehung ist nicht entscheidend ein Verpflichtungswille des Arbeitgebers, sondern nur die Frage, wie die Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen durften (BAGE 23, 213, 220 = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Ãbung, zu I 2 b der Gründe).
2. Will der Arbeitgeber verhindern, daà aus der Stetigkeit seines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muà er einen entsprechenden Vorbehalt erklären. In welcher Form dies geschieht, etwa durch Aushan g oder Rundschreiben oder durch Erklärung gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer, ist nicht entscheidend. Erforderlich ist nur, daà der Vorbehalt klar und unmiÃverständlich kundgetan wird (BAGE 23, 213, 221 = AP Nr. 10 zu §242 BGB Betriebliche Ãbung, zu I 2 c der Gründe). Allerdings darf der Arbeitgeber, der sich den Widerruf oder die Kürzung freiwilliger Leistungen vorbehalten hat, diese Gestaltungsrechte nur nach billigem Ermessen gemäà § 315 Abs. 1 BGB ausüben (BAG Urteil vom 30. August 1972 – 5 AZR 140/72 – AP Nr. 6 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, zu 3 der Gründe; BAGE 25, 194, 200 ff. = AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unterstützungskassen, zu B II 2 der Gründe). Dies muà entsprechend gelten, wenn die Leistung durch betriebliche Ãbung Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden ist.
II. 1. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist durch die seitens der Beklagten jahrelang gewährte Vergünstigung eine betriebliche Ãbung und damit ein vertraglicher Anspruch der Mitarbeiter der Beklagten auf tei lweise Freistellung am Rosenmontag/ Fastnachtsdienstag sowie am Wäldchestag nicht entstanden. Vielmehr hat die Beklagte die betreffenden Vergünstigungen nur von Jahr zu Jahr für die jeweiligen Tage angekündigt und gewährt . Das Landesarbeitsgericht hat den Wortlaut der von ihm festgestellten Aushänge bzw. Bekanntmachungen der Beklagten über die jeweilige Arbeitsbefreiung nicht ausreichend berücksichtigt und ist dadurch bei der ihm als Tats acheninstanz obliegenden Würdigung des Gesamtverhaltens der Beklagten zu einem unzutreffenden Auslegungsergebnis gelangt (Verletzung der §§ 133, 157 BGB).
Schon die Tatsache, daà die Beklagte jedes Jahr von neuem durch Aushang oder Bekanntgabe die Arbeitsbefreiung als solche eingehend regelte und dabei klarstellte, daà die Vergünstigung “wie in den Vorjahren” bzw. “auch in diesem Jahr” gewährt werden solle – soweit die betrieblichen Belange dies zulieÃen – spricht erkennbar dafür, daà die Freistellungen nicht ohne jede Einschränkung auf Dauer gewährt werden sollten. Die Arbeitnehmer der Bek lagten konnten aus diesen immer von neuem getroffenen, sehr differenzierten Verlautbarungen nicht entnehmen, daà sie unterschiedslos und für alle Zukunft mit einer Arbeitsbefreiung an den Karnevalstagen und am Wäldchestagrechnen durften. Konnte sich daher ein rechtlich geschütztes Vertrauen auf die Fortsetzung des bisherigen Verhaltens des Arbeitgebers nicht bilden, so ist auch die Entstehung einer betrieblichen Ãbung und eines entsprechenden vertraglichen Anspruchs auf Arbeitsbefreiung zu verneinen. Hinzu kommt, daà die Arbeitsfreistellung sich jeweils nur auf wenige Stunden erstreckte und letztlich nur eine Annehmlichkeit bedeutete, jedoch nicht als materiell ins Gewicht fallende Leistung anzusehen war (vgl. insoweit auch BAGE 22, 429, 435 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Betriebliche Ãbung, zu 2 b der Gründe).
2. Selbst wenn man mit dem Landesarbeitsgericht annehmen würde, eine betriebliche Ãbung sei vorliegend zu bejahen, so könnte die Klage gleichwohl keinen Erfolg haben. Denn aus dem Gesamtverhalten der Beklagten müÃte ein Vorbehalt zum Widerruf der bislang gewährten Vergünstigungen entnommen werden. Die Beklagte hat durch ihre Erklärung im Frühjahr 1991 den Widerruf ausgesprochen. Dieser müÃte auch – weil sachlich gerechtfertigt und damit gemäà § 315 Abs. 1 BGB billigem Ermessen entsprechend – im Hinblick auf die vom Landesarbeitsgericht als unstreitig festgestellte Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Beklagten als wirksam anerkannt werden. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäà § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG für den Widerruf ist zu verneinen. Die Beklagte will lediglich die Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit erreichen. Es geht nicht um eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit, und die Arbeitsentgelte bleiben in jedem Fall unverändert.