BAG: Ausdrücklicher Freiwilligkeitsvorbehalt bei Gratifikationen

BAG, AZ 10 AZR 198/95, Urteil vom 06.12.95

LEITSATZ “Wird in allgemeinen Arbeitsbedingungen unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit der Leistung eine Weihnachtsgratifikation für Arbeitnehmer in Aussicht
gestellt, deren “Arbeitsverhältnis während des ganzen Jahres bestanden hat und im Auszahlungszeitpunkt nicht gekündigt ist”, so hindert diese normierte
Anspruchsvoraussetzung den Arbeitgeber nicht, künftig den Personenkreis auch anders zu bestimmen und etwa Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis ruht, von der Leistung
auszunehmen.”

GRÜNDE

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1993.

Die Klägerin ist seit dem 5. September 1990 bei der Beklagten in der Niederlassung H beschäftigt. Sie arbeitet als Sekretärin des Niederlassungsleiters. Ihr Monatsgehalt
betrug im Jahr 1993 4. 342, 48 DM brutto.

Die Klägerin hat am 23. Dezember 1992 ein Kind geboren; sie ist nach Ablauf der Mutterschutzfrist in Erziehungsurlaub gegangen, bis das Kind des dritte Lebensjahr
vollendet.

Nach dem Anstellungsvertrag vom 12. September 1990 sind die “Allgemeinen Bedingungen 1984 zum Anstellungs-/Arbeitsvertrag”, die die Beklagte für die Mitarbeiter ihres
Betriebes herausgegeben hat, wesentlicher Bestandteil des Arbeitsvertrages. Darin ist die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation wie folgt geregelt:

“9. Weihnachtsgratifikation

Wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Kalenderjahres bei der Firma beschäftigt war und der Anstellungs- bzw. Arbeitsvertrag bis zum Ende des Jahres von beiden Seiten
nicht gekündigt wurde, erhält der Arbeitnehmer eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von mindestens 50 % seines monatlichen Grundeinkommens (für Angestellte Grundgehalt, für
gewerbliche Arbeitnehmer Stundenlohn x 173).

Die Zahlung der Weihnachtsgratifikation erfolgt freiwillig ohne Anerkennung einer Rechtspflicht von der Firma.”

Die Beklagte entscheidet jeweils im November eines Jahres, ob sie ihren Mitarbeitern eine Weihnachtsgratifikation zahlt und in welcher Höhe. Die Überweisungsaufträge werden
sodann Ende November zur Bank gegeben, so daß da s Weihnachtsgeld Anfang Dezember auf den Konten der Mitarbeiter ist. Im Jahr 1993 hat die Beklagte ihren Mitarbeitern eine
Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehalts gezahlt; dabei hat sie diejenigen Mitarbeiter ausgenommen, die sich in Erziehungsurlaub befanden.

Auch die Klägerin erhielt im Jahr 1993 kein Weihnachtsgeld. Zur Begründung der Nichtzahlung hat die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 2. Dezember 1993 mitgeteilt, daß
der Anspruch für die Zeiten des Ruhens des Arbei tsverhältnisses, wozu auch der Erziehungsurlaub gehöre, zu kürzen sei.

Die Klägerin verlangt die Zahlung des Weihnachtsgeldes für das Jahr 1993. Sie ist der Ansicht, ihr stehe ein Anspruch auf die Gratifikationen aus Ziffer 9 der Allgemeinen
Bedingungen 1984 zu. Eine Regelung, daß die Sonder zahlung bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses nicht gewährt werde, fehle. Die vorbehaltene Freiwilligkeit der Zahlung
berühre die Verpflichtung der Beklagten nicht.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 4. 342, 28 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 16. März 1994 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie meint, der Klägerin stehe ein Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1993 nicht zu. Nach Ziffer 9 der
Allgemeinen Bedingungen 1984 handele es sich um ei ne freiwillige Leistung des Arbeitgebers ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, so daß die Zahlung in ihrem Ermessen stehe.
Für das Jahr 1993 habe sie entschieden, daß die Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis u. a. wegen E rziehungsurlaubs ruhe, keine Gratifikation erhalten sollten. Ein Anspruch
folge auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Sie habe alle Mitarbeiter von der Weihnachtsgeldzahlung ausgenommen, die im Erziehungsurlaub o der sonst in einem
ruhenden Arbeitsverhältnis gestanden hätten. Eine solche Differenzierung sei weder willkürlich noch sachwidrig.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision
verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantr ag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes für das Jahr 1993.

I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Klägerin habe nach Ziffer 9 der Allgemeinen Bedingungen 1984 einen Anspruch auf die
Zahlung der Weihnachtsgratifikation 1993 in Höhe einesMonatsgehalts. Die Klägerin erfülle die Bedingungen dadurch, daß sie während des gesamten Jahres 1993 zu der Beklagten
in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Der Anspruch sei auch nicht deshalb ntfallen, weil sich die Klägerin im Jahr 1993 im Erziehungsurlaub
befunden habe und die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis somit geruht hätten. Mit ihrem Schreiben vom 2. Dezember 1993 habe die Beklagte ihre Zahlung sverpflichtung
für das Jahr 1993 nicht wirksam widerrufen. Zwar habe sich die Beklagte in den Allgemeinen Bedingungen 1984 durch den Freiwilligkeitsvorbehalt ein Widerrufsrecht
vorbehalten, der Widerruf wirke jedoch nur f ür die Zukunft und schließe einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers nur für spätere Jahre aus. Der Anspruch der Klägerin sei in
den Monaten Januar bis November 1993 zugewachsen und zum 30. November 1993 fällig geworden. Mi t dem Widerrufsschreiben vom 2. Dezember 1993 habe die Beklagte den Anspruch
der Klägerin auf die Weihnachtsgratifikation 1993 nicht beseitigen können, allenfalls den Anspruch für das Jahr 1994.

Diese Begründung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft.

II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Weihnachtsgratifikation 1993. Ein solcher Anspruch folgt weder aus dem Anstellungsvertrag in Verb. mit Ziffer 9 der
Allgemeinen Bedingungen 1984 noch aus dem Gleichbeha ndlungsgrundsatz.

1. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Weihnachtsgratifikation 1993 ergibt sich nicht aus ihrem Anstellungsvertrag in Verb. mit Ziffer 9 der Allgemeinen Bedingungen
1984. Danach ist die Zahlung ausdrücklich als “fre iwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht… ” zugesagt. Bei einem solchen Freiwilligkeitsvorbehalt entsteht ein
Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation für ein bestimmtes Jahr entweder mit einer vorbehaltlosen Zu sage, auch in diesem Jahr eine Weihnachtsgratifikation zahlen zu
wollen, oder erst mit der tatsächlichen Zahlung der Gratifikation. Bis zu diesem Zeitpunkt entsteht entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts auch keinim Laufe des
Jahres anwachsender Anspruch auf eine ggf. anteilige Gratifikation. Der erklärte Freiwilligkeitsvorbehalt hindert vielmehr das Entstehen eines solchen Anspruches und läßt
dem Arbeitgeber die Freiheit, in jed em Jahr neu zu entscheiden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen auch in diesem Jahr eine Weihnachtsgratifikation gezahlt werden
soll. Erst mit der Verlautbarung dieser Entscheidung gegenüber den Arbeitnehmern kann e in Anspruch auf die Gratifikation entstehen.

Die Beklagte hat vor der Zahlung der Weihnachtsgratifikation für das Jahr 1993 nicht allgemein bekannt gemacht, daß sie wie in den Vorjahren allen Arbeitnehmern eine
Weihnachtsgratifikation zahlen werde. Sie hat vielmehr ihren zunächst intern gebliebenen Beschluß nur dadurch umgesetzt, daß sie die Gratifikation tatsächlich gezahlt hat.
Der Klägerin ist eine Gratifikation nicht gezahlt worden. Sie hat daher keinen vertraglichen Anspruch au f diese Leistung.

2. Ein Anspruch der Klägerin folgt auch nicht daraus, daß die Beklagte anderen Arbeitnehmern eine Weihnachtsgratifikation gezahlt hat.

a) Die Klägerin versteht Ziffer 9 der Allgemeinen Bedingungen dahin, daß der Freiwilligkeitsvorbehalt die Beklagte lediglich berechtigte, jedes Jahr neu darüber zu
entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe sie eine Weihnac htsgratifikation zahle. Entscheide sie sich für eine Zahlung, dann müsse sie diese nach Ziffer 9 der Allgemeinen
Bedingungen allen Arbeitnehmern zahlen, die während des ganzen Kalenderjahres bei der Firma beschäftigt ware n und deren Arbeitsverhältnis nicht gekündigt sei. Dieser
Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen.

Wird eine Gratifikation gezahlt oder in Aussicht gestellt unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß die Zahlung freiwillig erfolge, daß es sich um eine freiwillige Leistung
handele, daß kein Rechtsanspruch auf diese Leistun g bestehe oder in ähnlicher Weise, so hat ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt regelmäßig zum Inhalt, daß der Arbeitgeber
sich für die Zukunft die Entscheidung darüber vorbehält, nicht nur ob er eine Gratifikation und ggf . in welcher Höhe zahlen will, sondern auch darüber, unter welchen näher
bestimmten Voraussetzungen und an welche Arbeitnehmer künftig eine Gratifikation gezahlt werden soll. Der Arbeitgeber, der eine Gratifikation zahlenwill, dafür aber Mittel
im bisherigen Umfang nicht mehr aufwenden kann, hat in einem solchen Falle nicht nur ein Interesse daran, die bisherige Leistung an die Arbeitnehmer anteilig zu kürzen. Sein
berechtigtes Interessegeht vielmehr auch dahin, die begrenzten Mittel nach anderen Kriterien, wie etwa Einkommen, Leistung oder Familienstand der Arbeitnehmer, zu
verteilen.

Dieses Interesse kommt in einem unbeschränkten Freiwilligkeitsvorbehalt auch genügend zum Ausdruck. Der Arbeitnehmer, der weiß, daß der Arbeitgeber noch darüber entscheiden
muß, ob er überhaupt eine Gratifikation zahlen w ill, muß auch damit rechnen, daß der Arbeitgeber, wenn er überhaupt eine Gratifikation zahlt, diese Zahlung von anderen
Voraussetzungen und Bedingungen abhängig machen kann.

Daraus, daß in Ziffer 9 der Allgemeinen Bedingungen schon Anspruchsvoraussetzungen für eine Weihnachtsgratifikation normiert sind, nämlich die ganzjährige Beschäftigung des
Arbeitnehmers bei der Firma und ein ungekündigte s Arbeitsverhältnis bis zum Ende des Jahres, folgt nichts anderes. Damit wird lediglich schon vorab klargestellt, daß auch
dann, wenn eine Gratifikation gezahlt wird, diejenigen Arbeitnehmer darauf keinen Anspruch haben s ollen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen.

b) Die Entscheidung der Beklagten, an Mitarbeiter im Erziehungsurlaub bzw. in einem ruhenden Arbeitsverhältnis 1993 keine Weihnachtsgratifikation zu zahlen, verstößt auch
nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Be klagte hat mit dieser Entscheidung eine weitere Anspruchsvoraussetzung für die Weihnachtsgeldzahlung 1993 aufgestellt,
indem sie die Arbeitnehmer, die sich im Erziehungsurlaub bzw. sonst in einem ruhenden Arbeitsverhältni s befanden, von der Zahlung ausgenommen hat. Diese Regelung ist
wirksam.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeber, der in seinem Betrieb nach von ihm gesetzten allgemeinen Regeln freiwillige Leistungen
gewährt, an den arbeitsrechtlichen Grundsatz der Glei chbehandlung gebunden (BAG Urteil vom 25. April 1991 – 6 AZR 532/89 – BAGE 68, 32 = AP Nr. 137 zu § 611 BGB
Gratifikation). Danach ist es ihm verwehrt, in seinem Betrieb einzelne oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachli chen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen
auszunehmen oder sie schlechter zu stellen. Bei freiwilligen Leistungen muß der Arbeitgeber die Voraussetzungen so abgrenzen, daß nicht sachwidrig oder willkürlich ein Te il
der Arbeitnehmer von den Vergünstigungen ausgeschlossen bleibt. Diese Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz wird auch durch einen in den Vorjahren regelmäßig erklärten
Freiwilligkeitsvorbehalt für das Jahr der Zahl ung nicht ausgeschlossen (BAG Urteil vom 27. Oktober 1978 – 5 AZR 273/77 – AP Nr. 97 zu § 611 BGB Gratifikation).

Eine Differenzierung zwischen einem Arbeitsverhältnis, das tatsächlich unter Erfüllung der beiderseitigen Hauptpflichten vollzogen wird, und einem Arbeitsverhältnis, dessen
Hauptpflichten ruhen, ist jedoch nicht sachwidri g oder willkürlich (BAGE 33, 57; 45, 76 = AP Nr. 44 und 67 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Das Ruhen des
Arbeitsverhältnisses während des Erziehungsurlaubs mit der Folge der Aussetzung von Arbeitspflicht und Lohnzahlungsp flicht ist von solchem Gewicht, daß eine allgemeine
Gleichstellung der betroffenen Arbeitnehmer mit Arbeitnehmern in einem nicht ruhenden Arbeitsverhältnis nicht gefordert werden kann.

c) Die Regelung der Beklagten, solche Arbeitnehmer vom Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation auszunehmen, die sich im Erziehungsurlaub befinden, verstößt auch nicht gegen
höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen d as Diskriminierungsverbot des Art. 119 EWG-Vertrag. Das hat der Senat wiederholt entschieden (z.B. Urteil vom 24. November
1993 – 10 AZR 704/92 – AP Nr. 158 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 28. September 1994 – 10 A ZR 697/93 – AP Nr. 165 zu § 611 BGB Gratifikation). Er hält auch für den
vorliegenden Fall daran fest.

d) Ein Anspruch der Klägerin folgt schließlich auch nicht aus einer betrieblichen Übung. Ein Anspruch der Klägerin auf die Weihnachtsgratifikation in Folge dreimaliger
vorbehaltloser Zahlung ist gerade nicht entstanden, da nach Ziffer 9 der Allgemeinen Bedingungen 1984 die Zahlung der Weihnachtsgratifikation jeweils freiwillig und ohne
Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgte. Damit konnte eine entsprechende betriebliche Übung nicht entstehen (BAG Urteil vom 23. Juni 1988 – 6 AZR 137/86 – BAGE 59, 73 = AP
Nr. 33 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Urteil vom 25. April 1991 – 6 AZR 532/89 -, aaO).

Nach allem war die Klage unter Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen abzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.