OLG Koblenz: Zur die gewöhnliche Betriebsgefahr übersteigenden Mitverantwortung an einem Unfall im Bahnhofsbereich

Die Deutsche Bahn AG trifft eine die gewöhnliche Betriebsgefahr übersteigende Mitverantwortung an einem Unfall im Bahnhofsbereich, wenn sie das ihr bekannte regelmäßige Betreten des Bahngeländes über einen unkontrollierten “wilden” Zugang (“Trampelpfad”) nicht unterbindet, obwohl ihr dies möglich und zumutbar ist.

Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat am 13. Januar 2003 ein Urteil des Landgerichts Koblenz bestätigt, mit dem dieses die Deutsche Bahn AG zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von rund 44.000 DM an die Unfallkasse Rheinland-Pfalz verpflichtet hatte.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein zum Unfallzeitpunkt 18-jähriger hatte im November 1996 das Gelände eines Bahnhofs nicht über den regulären Zugang, sondern einen sog. “Trampelpfad” betreten, um auf diese Weise den Weg zum Bahnsteig “abzukürzen”, was von etlichen weiteren Bahnkunden immer wieder praktiziert wurde und den Bahnbediensteten auch bekannt war. Der junge Mann wurde dabei von einem einfahrenden Zug erfasst und schwer verletzt. Die klagende Unfallkasse musste für die Heilbehandlung über 290.000 DM aufwenden. Sie verlangte von der beklagten Deutsche Bahn AG Erstattung der Hälfte. Das Landgericht sprach 15 % zu (rund 44.000 DM). Der Senat wies die hiergegen eingelegte Berufung der Bahn zurück. Er war mit dem Landgericht der Auffassung, dass die Beklagte eine 15 %-ige Haftung gemäß § 1 Haftpflichtgesetz treffe. Zwar sei von einem schwerwiegenden Mitverschulden des Verletzten 18-jährigen auszugehen, da ihm die Gefährlichkeit seines Betretens des Bahngeländes über den irregulären Zugang bewusst gewesen sei. Dieses ganz erhebliche Mitverschulden führe aber nicht zu einem vollständigen Zurücktreten hinter die von der Beklagten zu verantwortende Betriebsgefahr, weil diese durch einen von der Beklagten zu vertretenden Umstand erhöht sei. Die Beklagte müsse nämlich für ein Fehlverhalten einstehen, das darin zu sehen sei, dass sie das irreguläre und höchst gefahrvolle Betreten des Bahngeländes mittels des “Trampelpfades” nicht unterbunden habe. Zwar sei in der Eisenbahnbetriebsordnung eine Einzäunung des Bahngeländes grundsätzlich nicht vorgesehen und wäre auch unzumutbar.

Im Übrigen sei es ein feststehender Grundsatz der zur Verkehrssicherungspflicht ergangenen Rechtsprechung, dass der Verkehrssicherungspflichtige nicht mit unzulässigem und verbotenem Verhalten Dritter zu rechnen brauche. Jedoch könne dies nicht ausnahmslos gelten und insbesondere dann nicht, wenn es sich aufgrund der besonderen Umstände des Falles um ein nahe liegendes, voraussehbares Fehlverhalten Dritter handele.

Diese Voraussetzungen für die Bejahung eines Ausnahmefalles hielt der Senat vorliegend für gegeben. Bei dem “Trampelpfad” habe es sich offenbar um einen seit langem bestehenden, unter den Augen der Bediensteten gewissermaßen eingebürgerten Zugang zum Bahnhofsgelände, der nicht nur in seltenen und unvoraussehbaren Ausnahmefällen genutzt worden sei. Lautsprecherwarnungen und gelegentliche Ansprachen durch Bahnbedienstete seien offensichtlich nicht geeignet gewesen, dem bekannten und immer wieder leicht zu beobachtenden Missstand abzuhelfen. Die Beklagte habe daher ihr zumutbare Abhilfemaßnahmen ergreifen müssen. Eine solche Maßnahme sei beispielsweise die Anbringung eines 30 bis 50 m langen Zauns gewesen. Diese Maßnahme sei zumutbar gewesen.

Aktenzeichen: 12 U 461/02