Wer in der Fahrschule aufgepasst hat, weiß es noch: Unmittelbar vor dem Linksabbiegen muss man sich nochmals nach hinten vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet wird. Wer diese Regel verletzt, hat bei einem Unfall möglicher Weise zumindest einen Teil von eigenem und gegnerischem Schaden zu tragen.
Das verdeutlicht ein vom Landgericht Coburg entschiedener Fall. Das Gericht sah jeweils die Hälfte der Verantwortlichkeit bei einem nach links abbiegenden und einem gerade im Überholen begriffenen Unfallbeteiligten. Während der eine gegen die Pflichten zu besonderer Vorsicht beim Abbiegen in ein Grundstück und zur zweiten Rückschau verstoßen habe, habe der andere bei unklarer Verkehrslage überholt. Damit bekommt jeder nur 50 % seines Schadens von der gegnerischen Haftpflichtversicherung ersetzt.
Sachverhalt
Der Beklagte war außerorts mit seinem Pkw unterwegs und wollte nach links in ein Teichgrundstück abbiegen. Hinter einem weiteren Auto folgte das der Klägerin, gefahren von ihrer Tochter. Der ging es offensichtlich zu langsam. Jedenfalls setzte sie zum Überholen an, ohne die Absichten des Beklagten zu erkennen. Auch der bemerkte das Fahrzeug der Klägerin erst viel zu spät – nämlich als man auf der linken Fahrbahn kollidierte. Beide Pkw-Eigentümer hielten den jeweiligen Unfallgegner für den Verursacher und verlangten Schadensersatz.
Gerichtsentscheidung
Und das Landgericht sprach ihn auch beiden zu – wenn auch jeweils nur zu 50 %. Der Beklagte sei seiner zweiten Rückschaupflicht nicht oder nur unzureichend nachgekommen, hätte er doch sonst das andere Fahrzeug sehen müssen. Auch treffe ihn nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) die Pflicht, beim Abbiegen in ein Grundstück eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen – gegen die er ebenfalls verstoßen habe. Die Klägerin andererseits habe unzulässiger Weise bei unklarer Verkehrslage überholt. Also: Jeweils hälftige Schuld am geteilten Leid – und deshalb geteilte Haftung.
Fazit
Auch bei der Führerscheinausbildung lernt man demnach nicht für die (Fahr-)Schule, sondern für das (Verkehrs-)Leben.
(Landgericht Coburg, Urteil vom 7.3.2003, Az: 33 S 152/02; rechtskräftig)
Die maßgeblichen Vorschriften der StVO lauten:
§ 5 (Überholen):
(2) …
(3) …
(4) Das Überholen ist unzulässig:
1. bei unklarer Verkehrslage…
2. …
§ 9 (Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren):
(1) … Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen ist auf den nachfolgenden Verkehr zu achten; vor dem Abbiegen ist es dann nicht nötig, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist.
(2) …
(5) Beim Abbiegen in ein Grundstück … muss sich der Fahrzeugführer darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; …