Die Verfassungsbeschwerde eines Versicherungsnehmers, der im Jahr 1992 seine kapitalbildende Lebensversicherung
vorzeitig gekündigt hatte, war jedenfalls im Kern erfolgreich. Dieser hatte sich gegen
die im Wege der „Zillmerung„ erfolgte Berechnung des Rückkaufswertes seiner Lebensversicherung
gewandt. Lebensversicherungen mit „gezillmerter„ Prämie weisen die Grundstruktur auf, dass dem Versicherungsnehmer
die Vertragsabschlusskosten (insbesondere Vermittlungsprovision) nicht gesondert in
Rechnung gestellt werden, sondern mit der insgesamt zu zahlenden Prämie verrechnet werden. Die Prämienhöhe
wird so berechnet, dass sie über die Gesamtlaufzeit des Vertrags gleich bleibt und dass Prämienzahlungen
zunächst dazu verwendet werden, die Abschlusskosten zu decken. Dies führt dazu, dass
der Rückkaufswert des Lebensversicherungsvertrags in den ersten Jahren sehr niedrig ist oder sogar
entfällt. Die Rechtslage zur Zeit des hier streitgegenständlichen Vertragsschlusses war zudem dadurch
gekennzeichnet, dass die genaue Berechnung der Zillmerung in dem den Versicherungsnehmern nicht
bekannten von der Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsplan des Versicherungsunternehmens dargestellt
worden war. Für nach dem 28. Juli 1994 abgeschlossene Lebensversicherungsverträge gilt eine
veränderte Rechtslage. Allerdings hat die Neuregelung des Versicherungsrechts im Jahr 1994 die Anwendbarkeit
der vorliegend angegriffenen Berechnung des Rückkaufswertes nach der Methode Zillmer
nicht beseitigt.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass der verfassungsrechtliche
Schutzauftrag Vorkehrungen dafür erfordere, dass die Versicherungsnehmer einer kapitalbildenden
Lebensversicherung erkennen können, in welcher Höhe Abschlusskosten mit der Prämie verrechnet werden dürfen und dass sie bei einer vorzeitigen Beendigung des Lebensversicherungsverhältnisses eine
Rückvergütung erhalten, deren Wert auch unter Berücksichtigung in Rechnung gestellter Abschlusskosten
in einem angemessenen Verhältnis zu den bis zu diesem Zeitpunkt gezahlten Versicherungsprämien
steht. Die Kammer hat die Verfassungsbeschwerde gleichwohl nicht zur Entscheidung angenommen, da
ihr aufgrund der vorangegangenen Urteile des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli
2005 (Pressemitteilungen Nr. 66 und 67/2005 vom 26. Juli 2005) keine grundsätzliche Bedeutung mehr
zukomme.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen vom 26. Juli 2005 verfassungsrechtliche
Schutzdefizite im Recht der kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung festgestellt.
Entsprechende Schutzdefizite sind auch bei der Verrechnung von Abschlusskosten für den Fall
vorzeitiger Vertragsauslösung nach dem seinerzeit maßgeblichen Recht festzustellen:
Die in Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG enthaltenen objektivrechtlichen Schutzaufträge erfordern
Vorkehrungen dafür, dass die Versicherungsnehmer über effektive Möglichkeiten zur Durchsetzung
ihrer Interessen verfügen. Bleiben den Versicherungsnehmern Art und Höhe der zu verrechnenden
Abschlusskosten und der Verrechnungsmodus unbekannt, ist ihnen eine eigenbestimmte Entscheidung
darüber unmöglich, ob sie einen Vertrag zu den konkreten Konditionen abschließen wollen.
Darf – wie es der seinerzeitigen Rechtslage entsprach – für die Berechnung auf den den Versicherungsnehmern
nicht bekannten Geschäftsplan verwiesen werden, fehlt es auch insofern an der für
eine autonome Entscheidung unabdingbaren Transparenz.
Darüber hinaus muss gesichert werden, dass die Versicherungsnehmer bei einer vorzeitigen Beendigung
des Lebensversicherungsverhältnisses eine Rückvergütung erhalten, deren Wert auch unter Berücksichtigung
in Rechnung gestellter Abschlusskosten sowie des Risiko- und Verwaltungskostenanteils
in einem angemessenen Verhältnis zu den bis zu diesem Zeitpunkt gezahlten Versicherungsprämien
steht. Die mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrages verfolgte Zielsetzung der Vermögensbildung
darf nicht dadurch teilweise vereitelt werden, dass hohe Abschlusskosten, deren konkrete
Berechnung zudem den Versicherungsnehmern nicht bekannt ist und deren Höhe von ihnen
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auch nicht beeinflusst werden kann, in den ersten Jahren mit der Prämie so verrechnet werden können,
dass der Rückkaufswert in dieser Zeit unverhältnismäßig gering ist oder gar gegen Null tendiert.
Fehlen Möglichkeiten der Versicherungsnehmer, ihre Belange insoweit selbst effektiv zu verfolgen,
trifft den Gesetzgeber ein verfassungsrechtlicher Schutzauftrag. Diesem Auftrag ist er nicht in ausreichendem
Maße nachgekommen. Weder zivilrechtlich noch mit Hilfe des Aufsichtsrechts konnte der
Versicherungsnehmer nach dem für den Versicherungsvertrag des Beschwerdeführers maßgebenden
Recht eine angemessene Berücksichtigung seiner Belange erwirken. Die Zivilgerichte verwiesen auf
die öffentlichrechtliche Genehmigung des Geschäftsplans und nahmen insoweit eine eigene inhaltliche
Prüfung nicht vor. Eine Kompensation dieses Rechtsschutzdefizits durch das Versicherungsaufsichtsrecht
fand nicht statt. Die Aufsichtsbehörde beschränkte sich grundsätzlich auf eine – nicht auf das
einzelne Versicherungsvertragsverhältnis bezogene – Missbrauchsaufsicht.
2. Für die aktuell geltende Rechtslage hat sich allerdings dadurch eine Änderung ergeben, dass der
Bundesgerichtshof mit Urteil vom 12. Oktober 2005 im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung
Grenzen der Verrechung der Abschlusskosten bei vorzeitiger Vertragsauflösung festgelegt hat. Er hat
damit eine zivilrechtliche Lösung bereitgestellt, die auch Rechtsschutz im Rahmen der Zivilgerichtsbarkeit
ermöglicht. Nach dieser Rechtslage verbleibt es zwar grundsätzlich bei der Verrechnung der
geleisteten einmaligen Abschlusskosten nach dem Zillmerungsverfahren. Für den Fall der vorzeitigen
Beendigung der Beitragszahlung ist jedenfalls die versprochene Leistung geschuldet; der vereinbarte
Beitrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswertes darf aber einen vom Bundesgerichtshof
näher umschriebenen Mindestbetrag nicht unterschreiten.
Aufgrund dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie aufgrund der Urteile des Ersten Senats
des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 haben die in der Verfassungsbeschwerde
aufgeworfenen Rechtsfragen keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung mehr. Das Bundesverfassungsgericht
hatte dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2007 eine mit den
grundrechtlichen Vorgaben vereinbare Regelung des Rechts der Lebensversicherung zu treffen. Es
ist zu erwarten, dass die vom Gesetzgeber zu schaffende Lösung auch Sicherungen für größere
Transparenz enthalten und Auswirkungen auf die Be- und Verrechnung von Abschlusskosten haben
wird.
Nr. 16/2006 vom 7. März 2006
Beschluss vom 15. Februar 2006
1 BvR 1317/96