BVerfG: Regelung im Transsexuellengesetz über Verlust des geänderten Vornamens bei Eheschließung ist verfassungswidrig

Solange einem homosexuell orientierten Transsexuellen ohne Geschlechtsumwandlung eine rechtlich gesicherte
Partnerschaft nicht ohne Verlust des geänderten, seinem Geschlecht entsprechenden Vornamens
eröffnet ist, ist der durch § 7 Abs. 1 Nr. 3 Transsexuellengesetz (TSG) bewirkte Verlust des Vornamens
bei Eheschließung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und die Norm bis zu einer gesetzlichen Neuregelung
nicht anwendbar. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

Transsexualität beschreibt den Zustand eines Menschen, der ein körperliches Geschlecht besitzt, das
nicht seinem seelisch-psychischen Zustand entspricht. Er wird z.B. als Junge geboren, fühlt sich aber als
Frau. Das Transsexuellengesetz wurde im Jahr 1981 erlassen, um der besonderen Situation transsexueller
Menschen Rechnung zu tragen. Danach haben Transsexuelle zwei Möglichkeiten: Sie können, nachdem
zwei gerichtlich bestellte Gutachter die Transsexualität bestätigt haben, ihren bisherigen Vornamen
in einen Vornamen des anderen Geschlechts ändern lassen. Eine Geschlechtsumwandlung ist hierfür nicht
erforderlich. Trotz der Vornamensänderung wird der Transsexuelle aber immer noch als seinem biologischen
Geschlecht zugehörig betrachtet („kleine Lösung„). Um rechtlich als dem anderen Geschlecht angehörig
angesehen zu werden, muss sich der Betroffene unter anderem einem geschlechtsverändernden
operativen Eingriff unterzogen haben. Erst dann kann die rechtliche Zuordnung zum anderen Geschlecht
erfolgen („große Lösung„).

Wissenschaftliche Studien belegen, dass Transsexuelle auch homosexuell veranlagt sein können. Einem
homosexuellen Transsexuellen ohne Geschlechtsumwandlung steht, da sich durch die bloße Vornamensänderung sein Personenstand nicht ändert, zur rechtlichen Absicherung seiner Beziehung keine andere
Möglichkeit als die Ehe offen. Dadurch verliert er jedoch gem. § 7 Absatz 1 Nr. 3 TSG seinen geänderten
Vornamen, da der Gesetzgeber davon ausging, der Transsexuelle würde sich in einem solchen Fall
wieder seinem ursprünglichem Geschlecht zugehörig fühlen. Die Eingehung einer Lebenspartnerschaft ist
ihm verschlossen, da sie den Vertragsschluss zweier gleichgeschlechtlicher Personen voraussetzt.
Der Antragsteller gehört dem männlichen Geschlecht an. Sein Vorname wurde nach dem Transsexuellengesetz
in einen weiblichen Vornamen geändert. Eine geschlechtsumwandelnde Operation ließ er nicht
durchführen. Nachdem er im April 2002 die Frau geheiratet hatte, zu der er – aus seiner Sicht – eine
gleichgeschlechtliche Beziehung führt, vermerkte der Standesbeamte im Geburtenbuch, dass der Antragsteller
gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG nunmehr wieder seinen männlichen Vornamen führe. Die Klage
des Antragstellers auf Berichtigung des Geburtenbuchs wurde vom Amtsgericht zurückgewiesen. Auf
seine sofortige Beschwerde hin setzte das Landgericht das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht
die Frage zur Entscheidung vor, ob § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG mit dem Grundgesetz vereinbar
ist.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

§ 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG entzieht dem Namensträger im Falle einer Eheschließung den erworbenen Vornamen
und erlegt ihm auf, wieder seinen früheren Vornamen zu führen, der im Widerspruch zur empfundenen
Geschlechtlichkeit steht. Diese Regelung verletzt das Recht des Transsexuellen auf Wahrung seiner
Intimsphäre und auf Wahrung seiner eigenen, im Vornamen sich ausdrückenden Geschlechtsidentität.
Die Entziehung des Vornamens durch § 7 Abs.1 Nr. 3 TSG verfolgt das legitime Gemeinwohlziel, den
Eindruck zu vermeiden, dass auch gleichgeschlechtliche Partner eine Ehe eingehen können. Der hiermit
verbundene Eingriff in die Rechte des Transsexuellen ist im Zusammenwirken der Regelungen des Transsexuellengesetzes
mit dem Personenstandrecht und den eherechtlichen Regelungen sowie denen des
Lebenspartnerschaftsgesetzes den Betroffenen jedoch nicht zumutbar. Die dem Transsexuellengesetz
zugrunde liegenden Annahmen über die Transsexualität haben sich inzwischen in wesentlichen Punkten
als wissenschaftlich nicht mehr haltbar erwiesen. Bei der Regelung zur „großen Lösung„ und zur „kleinen
Lösung„ ging der Gesetzgeber davon aus, dass die „kleine Lösung„ für einen Transsexuellen nur ein Durchgangsstadium zur „großen Lösung„ sei. Dem lag die Annahme zu Grunde, ein Transsexueller strebe
mit allen Mitteln danach, seine Geschlechtsmerkmale zu verändern. Vor seiner operativen Geschlechtsumwandlung
befinde sich der Betroffene daher in einer noch nicht manifesten Phase seiner
Transsexualität. Davon ist nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht mehr auszugehen. Die Fachwelt
erachtet es mittlerweile auch bei einer weitgehend sicheren Diagnose „Transsexualität„ nicht mehr
als richtig, daraus stets die Indikation für geschlechtsumwandelnde Maßnahmen abzuleiten. Vielmehr
müsse individuell im Rahmen einer Verlaufsdiagnostik bei jedem einzelnen Betroffenen festgestellt werden,
ob eine Geschlechtsumwandlung indiziert sei.

Die vom Gesetzgeber aus dem inzwischen überholten wissenschaftlichen Erkenntnisstand gezogenen
rechtlichen Konsequenzen hinsichtlich des Personenstandes von Transsexuellen und ihrer Möglichkeit,
eine rechtlich abgesicherte Partnerschaft einzugehen, sind auf der Basis der gewonnenen neuen Erkenntnisse
daher nicht mehr gerechtfertigt. Denn sie zwingen in ihrem Zusammenspiel einen homosexuell orientierten
Transsexuellen in unzumutbarer Weise dazu, bei Eingehen einer rechtlich abgesicherten Partnerschaft
auf einen Vornamen zu verzichten, der seine empfundene Geschlechtszugehörigkeit zum Ausdruck
bringt. Solange das Recht einem Transsexuellen ohne Geschlechtsumwandlung mit homosexueller Orientierung
nicht die Möglichkeit eröffnet, ohne Verlust seines Vornamens, der seiner empfundenen Geschlechtszugehörigkeit
entspricht, eine rechtlich gesicherte Partnerschaft einzugehen, ist der durch § 7
Abs. 1 Nr. 3 TSG bewirkte Verlust des Vornamens bei Eheschließung damit verfassungswidrig und die
Norm bis zu einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar.
Dem Gesetzgeber stehen für die insoweit gebotene Neuregelung mehrere Möglichkeiten zur Verfügung.
Er kann § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG ersatzlos streichen. Er könnte aber auch das Personenstandsrecht dahingehend
ändern, dass ein nach gerichtlicher Prüfung anerkannter Transsexueller ohne Geschlechtsumwandlung
rechtlich dem von ihm empfundenen Geschlecht zugeordnet wird, so dass er bei gleichgeschlechtlicher
Orientierung eine Lebenspartnerschaft eingehen kann. Schließlich bliebe die Möglichkeit,
homosexuell orientierten Transsexuellen durch entsprechende Ergänzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes
das Eingehen einer Lebenspartnerschaft zu eröffnen.

Pressemitteilung Nr. 127/2005 vom 20. Dezember 2005

Beschluss vom 6. Dezember 2005

1 BvL 3/03