Ein Kind hat einen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass seine
Eltern Sorge für es tragen und der mit ihrem Elternrecht untrennbar
verbundenen Pflicht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes nachkommen.
Allerdings dient ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln
gegen seinen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden kann, in
der Regel nicht dem Kindeswohl. Daher ist in solchen Fällen die
Zwangsmittelvorschrift des § 33 FGG verfassungskonform dahingehend
auszulegen, dass eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht zu
unterbleiben hat. Anders liegt es, wenn es im Einzelfall hinreichende
Anhaltpunkte gibt, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener
Umgang dem Kindeswohl dienen wird. Dann kann der Umgang auch mit
Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Dies entschied der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts.
Damit war die Verfassungsbeschwerde eines umgangsunwilligen Vaters, der
durch Androhung eines Zwangsgeldes zum Umgang mit seinem Kind gezwungen
werden sollte, erfolgreich. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung
an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
(Zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 89 vom 7. September 2007)
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
§ I. Die Androhung des Zwangsgeldes zur Durchsetzung der Pflicht des
§§§§ Beschwerdeführers, mit seinem Kind gegen seinen Willen Umgang zu
§§§§ pflegen, greift in sein Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit
§§§§ ein. Entgegen seiner eigenen Einstellung wird er gezwungen, seinem
§§§§ Kind zu begegnen. Dies nimmt Einfluss auf sein persönliches
§§§§ Verhältnis zum Kind und setzt ihn unter Druck, sich seinem Kind
§§§§ gegenüber so zu verhalten, wie er es selbst nicht will.
§§§§ Gesetzliche Grundlage für die Zwangsgeldandrohung ist § 33 FGG. In
§§§§ die Prüfung, ob der durch die Androhung von Zwangsgeld erfolgte
§§§§ Grundrechtseingriff zu rechtfertigen ist, ist § 1684 Abs. 1 BGB,
§§§§ der die Eltern zum Umgang mit ihrem Kind verpflichtet, mit
§§§§ einzubeziehen.
§II. Mit der Möglichkeit der Zwangsgeldandrohung gegenüber einem
§§§§ umgangsunwilligen Elternteil verfolgt der Gesetzgeber einen
§§§§ legitimen Zweck.
§§§§ 1. Die in § 1684 BGB gesetzlich statuierte Pflicht eines
§§§§§§§ Elternteils zum Umgang mit seinem Kind ist eine zulässige
§§§§§§§ Konkretisierung der den Eltern grundrechtlich zugewiesenen
§§§§§§§ Verantwortung für ihr Kind. Art. 6 Abs. 2 GG garantiert den
§§§§§§§ Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes, macht
§§§§§§§ diese Aufgabe aber zugleich auch zu einer ihnen zuvörderst
§§§§§§§ obliegenden Pflicht. Die Pflicht der Eltern zur Pflege und
§§§§§§§ Erziehung ihres Kindes besteht nicht allein gegenüber dem
§§§§§§§ Staat, sondern auch ihrem Kind gegenüber. Mit dieser
§§§§§§§ elterlichen Pflicht korrespondiert das Recht des Kindes auf
§§§§§§§ Pflege und Erziehung durch seine Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG.
§§§§§§§ Recht und Pflicht sind vom Gesetzgeber näher auszugestalten. Da
§§§§§§§ ein Umgang zwischen Eltern und Kind dem Wohl des Kindes und
§§§§§§§ seiner Entwicklung grundsätzlich zugute kommt, hat der
§§§§§§§ Gesetzgeber in § 1684 BGB die Eltern zum Umgang mit ihrem Kind
§§§§§§§ verpflichtet und damit angemahnt, dass sie ihrer Verantwortung
§§§§§§§ gegenüber dem Kind nachkommen.
§§§§ 2. Der mit der Verpflichtung eines Elternteils zum Umgang mit
§§§§§§§ seinem Kind verbundene Eingriff in das Grundrecht auf Schutz
§§§§§§§ der Persönlichkeit ist wegen der den Eltern durch Art. 6 Abs. 2
§§§§§§§ GG auferlegten Verantwortung für ihr Kind und dessen Recht auf
§§§§§§§ Pflege und Erziehung durch seine Eltern gerechtfertigt. Wägt
§§§§§§§ man das Interesse des Kindes an einem gedeihlichen Umgang mit
§§§§§§§ seinen beiden Elternteilen mit dem Interesse eines Elternteils
§§§§§§§ ab, mit dem Kind nicht in persönlichen Kontakt treten zu
§§§§§§§ wollen, dann ist dem kindlichen Anliegen gegenüber dem
§§§§§§§ elterlichen Wunsch ein erheblich größeres Gewicht beizumessen.
§§§§§§§ Denn als gewichtige Basis für den Aufbau und Erhalt einer
§§§§§§§ persönlichen familiären Beziehung ebenso wie für das Empfangen
§§§§§§§ elterlicher Unterstützung und Erziehung ist der Umgang eines
§§§§§§§ Kindes mit seinen Eltern für seine Persönlichkeitsentwicklung
§§§§§§§ von maßgeblicher Bedeutung und trägt grundsätzlich zu seinem
§§§§§§§ Wohle bei. Es ist einem Elternteil deshalb zumutbar, zum Umgang
§§§§§§§ mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem
§§§§§§§ Kindeswohl dient.
III. Die Androhung der zwangsweisen Durchsetzung der Umgangspflicht
§§§§ eines Elternteils gegen dessen erklärten Willen ist jedoch
§§§§ regelmäßig nicht geeignet, den mit ihr verfolgten Zweck zu
§§§§ erreichen. Ein Umgang mit dem Kind, der nur mit Zwangsmitteln
§§§§ gegen seinen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzt werden
§§§§ kann, dient in der Regel nicht dem Kindeswohl. Insoweit ist der
§§§§ mit der gerichtlichen Zwangsmittelandrohung erfolgende Eingriff in
§§§§ das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit des Elternteils nicht
§§§§ gerechtfertigt, es sei denn, es gibt im Einzelfall hinreichende
§§§§ Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass ein erzwungener
§§§§ Umgang dem Kindeswohl dienen wird.
§§§§ 1. Die zwangsweise Durchsetzung des Umgangs, bei der von dem
§§§§§§§ Elternteil nicht nur bloße Anwesenheit, sondern eine emotionale
§§§§§§§ Zuwendung zum Kind erwartet wird, widerstrebt seinen Gefühlen,
§§§§§§§ die er gegenüber dem Kind hegt. Ein solcher an den Tag gelegter
§§§§§§§ Widerwille, verbunden mit einer ablehnenden Haltung zum Kind,
§§§§§§§ kann bei einem erzwungenen Umgang mit dem Kind nicht ohne
§§§§§§§ Auswirkungen auf das Kind bleiben. Das Kind gerät in eine
§§§§§§§ Situation, in der es nicht die mit dem Umgang bezweckte
§§§§§§§ elterliche Zuwendung erfährt, sondern spüren muss, wie es als
§§§§§§§ Person abgelehnt wird, und dies nicht von irgendjemandem,
§§§§§§§ sondern gerade von seinem Elternteil. Dies birgt die große
§§§§§§§ Gefahr, dass das Selbstwertgefühl des Kindes Schaden nimmt.
§§§§§§
§§§§ 2. Bei der Eignung des Einsatzes von Zwangsmitteln gegen einen
§§§§§§§ Elternteil zur Durchsetzung eines von diesem nicht gewollten
§§§§§§§ Umgangs mit seinem Kind kommt es nicht darauf an, ob ein
§§§§§§§ solcher Umgang das Kindeswohl gefährden könnte, sondern ob ein
§§§§§§§ solcher Umgang dem Kindeswohl dient. Der Gesetzgeber ist davon
§§§§§§§ ausgegangen, dass der Umgang des Kindes mit seinen Eltern für
§§§§§§§ seine Entwicklung von herausragender Bedeutung ist und seinem
§§§§§§§ Wohl dient. Dies rechtfertigt den mit der Inpflichtnahme der
§§§§§§§ Eltern bewirkten Eingriff in ihr Grundrecht auf Schutz der
§§§§§§§ Persönlichkeit. Allerdings gilt das nur soweit und solange, wie
§§§§§§§ der Umgang dem Kindeswohl auch tatsächlich dienlich sein kann.
§§§§§§§ Wird dieser Zweck durch das gesetzliche Mittel, das ihn
§§§§§§§ erreichen soll, verfehlt, ist es nicht geeignet, den Eingriff
§§§§§§§ in das Persönlichkeitsrecht des Elternteils zu rechtfertigen.
§§§§§§§ Dies gilt auch für die gesetzlich eröffnete Möglichkeit, die
§§§§§§§ Umgangspflicht mittels Androhung von Zwangsmitteln
§§§§§§§ durchzusetzen. Dem steht nicht entgegen, dass § 1684 Abs. 4 BGB
§§§§§§§ die Einschränkung und den Ausschluss des Umgangsrechts nur
§§§§§§§ zulässt, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre.
§§§§§§§ Diese Regelung hat die Grenzen des elterlichen Umgangsrechts
§§§§§§§ zum Gegenstand, nicht die Durchsetzung der Umgangspflicht.
§§§§ 3. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es Fälle gibt, in
§§§§§§§ denen eine reale Chance besteht, dass das Kind in der Lage ist,
§§§§§§§ durch sein Verhalten den Widerstand des den Kontakt zu ihm
§§§§§§§ meidenden Elternteils aufzulösen, so dass ein zunächst
§§§§§§§ erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen kann. Dies ist
§§§§§§§ gegebenenfalls mithilfe von Sachverständigen zu klären. Je
§§§§§§§ älter und je gefestigter ein Kind in seiner
§§§§§§§ Persönlichkeitsentwicklung ist, umso eher wird davon auszugehen
§§§§§§§ sein, dass auch eine zwangsweise Durchsetzung seines eigenen,
§§§§§§§ nachdrücklich geäußerten Wunsches, Kontakt mit seinem
§§§§§§§ Elternteil zu erhalten, seinem Wohl dienlich ist. In einem
§§§§§§§ solchen Fall ist es einem Elternteil zumutbar, zu einem Umgang
§§§§§§§ mit seinem Kind notfalls auch mit Zwangsmitteln angehalten zu
§§§§§§§ werden.
§IV. § 33 FGG ist daher verfassungsgemäß dahingehend auszulegen, dass
§§§§ eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht eines den Umgang
§§§§ mit seinem Kind verweigernden Elternteils zu unterbleiben hat, es
§§§§ sei denn, es gibt im konkreten Einzelfall hinreichende
§§§§ Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass dies dem
§§§§ Kindeswohl dienen wird.
§ V. Bei erneuter Verhandlung und Entscheidung der Sache hat das
§§§§ Gericht auch den Anspruch des Kindes auf rechtliches Gehör zu
§§§§ beachten und zu prüfen, ob dem Kind in dem streitigen
§§§§ Umgangsverfahren ein Verfahrenspfleger zur Seite zu stellen ist.
§§§§ Der Fall gibt Anlass für Zweifel, ob der von der Mutter des
§§§§ betroffenen Kindes für dieses gestellte Antrag, den
§§§§ Beschwerdeführer auch gegen seinen deutlich erkennbaren Willen zum
§§§§ Umgang mit dem Kind zu verpflichten und dies notfalls auch mit
§§§§ Zwangsmitteln durchzusetzen, wirklich den Interessen des Kindes
§§§§ entspricht oder nicht eher zuwiderläuft.
§§§
Die Entscheidung ist zu III-IV mit 7:1 Stimmen, im Übrigen einstimmig
ergangen.
Pressemitteilung Nr. 44/2008 vom 1. April 2008
Urteil vom 1. April 2008 – 1 BvR 1620/04 –