BVerfG: Keine Schadensersatzpflicht der BRD gegenüber Geschädigten des SS-Massakers in Distomo

Die Verfassungsbeschwerde der vier Beschwerdeführer betrifft die Frage der Schadensersatz- und Entschädigungspflicht
der Bundesrepublik Deutschland für während der Besetzung Griechenlands im Zweiten
Weltkrieg von Angehörigen der deutschen Streitkräfte verübte „Vergeltungsmaßnahmen„. Die
1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nahm die Verfassungsbeschwerde, die
sich gegen die eine Ersatzpflicht ablehnenden gerichtlichen Entscheidungen wandte, nicht zur Entscheidung
an.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer sind griechische Staatsangehörige. Ihre Eltern wurden am 10. Juni 1944 im Zuge
einer an den Einwohnern der griechischen Ortschaft Distomo verübten „Vergeltungsaktion„ von Angehörigen
einer in die deutschen Besatzungstruppen eingegliederten SS-Einheit erschossen, nachdem es zuvor
zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Partisanen gekommen war. Insgesamt töteten die Soldaten
zwischen 200 und 300 der – an den Partisanenkämpfen unbeteiligten – Dorfbewohner, darunter vor
allem alte Menschen, Frauen und Kinder. Das Dorf wurde niedergebrannt. Die damals minderjährigen
Beschwerdeführer erlitten in Folge des Verlustes ihrer Eltern – von materiellen Schäden abgesehen –
psychische Schäden sowie Nachteile in ihrer beruflichen Ausbildung und ihrem Fortkommen. Eine gegen
die Bundesrepublik Deutschland im September 1995 eingereichte Klage der Beschwerdeführer auf
Schadensersatz blieb vor dem Landgericht, dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof erfolglos.
Demgegenüber hatte in einem in Griechenland geführten Parallelverfahren, an dem unter anderem die Beschwerdeführer beteiligt waren, das zuständige Landgericht Livadeia im Oktober 1997 entschieden,
dass die wegen desselben Sachverhalts geltend gemachten Schadensersatzansprüche begründet seien.

Dem Nichtannahmebeschluss liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Der Bundesgerichtshof hat eine Bindung an das Urteil des griechischen Landgerichts Livadeia zu
Recht abgelehnt. Nach geltendem Völkerrecht kann ein Staat Befreiung von der Gerichtsbarkeit eines
anderen Staates beanspruchen, soweit es – wie hier – um die Beurteilung seines hoheitlichen
Verhaltens geht.

2. Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie) ist nicht verletzt. Die Beschwerdeführer haben weder völkerrechtliche
noch amtshaftungs- oder aufopferungsrechtliche Ersatz- und Entschädigungsansprüche.
Art. 3 des IV. Haager Abkommens, wonach eine Kriegspartei im Falle eines Verstoßes gegen die
Haager Landkriegsordnung grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet ist, begründet keinen individuellen
Entschädigungsanspruch. Er regelt einen sekundären Schadensersatzanspruch, der nur in
dem Völkerrechtsverhältnis zwischen den betroffenen Staaten besteht.
Den Beschwerdeführern steht auch kein Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung zu. Im
vorliegenden Fall gelangt der Haftungsausschluss in § 7 RBHG a. F. zur Anwendung, wonach Angehörigen
eines ausländischen Staates ein Amtshaftungsanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland
nur dann zustand, wenn durch Gesetzgebung des ausländischen Staates oder durch Staatsvertrag
die Gegenseitigkeit verbürgt war. Eine solche Verbürgung seitens Griechenlands gegenüber
Deutschland lag im Zeitpunkt des Geschehens aber nicht vor. Der Haftungsausschluss ist anwendbar,
weil das Geschehen in Distomo als formell dem Kriegsvölkerrecht unterliegender Sachverhalt zu
qualifizieren ist, dem kein spezifisch nationalsozialistisches Unrecht eigen und der deshalb nicht dem
getrennt geregelten Bereich der Wiedergutmachung von NS-Unrecht zuzuordnen ist.
Die Ablehnung von Entschädigungsansprüchen aus enteignungsgleichem Eingriff und Aufopferung ist
ebenfalls verfassungsrechtlich unbedenklich. Diese Anspruchsgrundlage, die für Sachverhalte des all-
täglichen Verwaltungshandelns entwickelt wurde, kann nach der maßgeblichen deutschen Rechtsordnung
auf Kriegsschäden nicht angewendet werden.

3. Auch der allgemeine Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot ist nicht verletzt. Dem
Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, zwischen einem allgemeinen, wenn auch harten und mit Verstößen
gegen das Völkerrecht einhergehenden Kriegsschicksal einerseits und Opfern von in besonderer
Weise ideologisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes
andererseits zu unterscheiden. Des weiteren hat sich die Bundesrepublik Deutschland durch Reparationsleistungen
und Entschädigungszahlungen auf der Grundlage bilateraler Abkommen ihrer völkerrechtlichen
Verantwortung gestellt. Bei aller prinzipiellen Unzulänglichkeit der Wiedergutmachung
menschlichen Leids durch finanzielle Mittel ist dadurch – und mittels der internationalen und europäischen
Zusammenarbeit – versucht worden, einen Zustand näher am Völkerrecht herzustellen.

Nr. 14/2006 vom 3. März 2006

Beschluss vom 15. Februar 2006

2 BvR 1476/03