BVerfG: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Versorgungsausgleich unter Anwendung der alten Barwert-Verordnung

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde der 1994 geschiedenen Beschwerdeführerin ist die
Durchführung des Versorgungsausgleichs unter Anwendung der alten Fassung der Tabellen der
Barwert-Verordnung (Fassung vom 22. Mai 1984). Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die angegriffene Entscheidung
auf, da die Anwendung der alten Fassung der Tabellen der Barwert-Verordnung dazu geführt
habe, dass das in der Verfassung verankerte Ziel einer gleichen Aufteilung des Erworbenen
zwischen den Eheleuten verfehlt worden sei.

Sachverhalt:

Die 1970 geschlossene Ehe der Beschwerdeführerin wurde im Jahr 1994 geschieden. Die Beschwerdeführerin
arbeitete als verbeamtete Lehrerin. Sie wurde noch während der Ehezeit wegen
Dienstunfähigkeit in den Vorruhestand versetzt und bezieht seitdem Ruhegehaltsbezüge, zuletzt
in Höhe von monatlich 2.949, 53 DM. Ihr – zwischenzeitlich verstorbener – geschiedener Ehemann
arbeitete als Angestellter. Er wurde nach der Ehezeit wegen Erwerbsunfähigkeit verrentet
und erhielt eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 2.978, 19 DM sowie eine betriebliche
Invalidenrente in Höhe von monatlich 2.341 DM. Das Amtsgericht regelte im Scheidungsverfahren
den Versorgungsausgleich dahingehend, dass es zu Lasten der Versorgungsansprüche
der Beschwerdeführerin Anwartschaften auf dem Rentenkonto des Ehemannes in Höhe
von 449, 21 DM begründete. Dabei ging das Gericht unter Anwendung der alten Fassung der
Tabellen der Barwert-Verordnung davon aus, dass die Beschwerdeführerin Anwartschaften in
Höhe von 2.949, 53 DM und der Ehemann solche im Wert von 1.609, 79 DM erworben habe.
Diese Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht bestätigt. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde
war erfolgreich.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Aus Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG folgt der Grundsatz der gleichen Berechtigung
am in der Ehe erworbenen Vermögen. Daher hat eine gerichtliche Entscheidung über
den Versorgungsausgleich die ehezeitbezogenen Versorgungswerte so gleichmäßig zwischen den
Eheleuten aufzuteilen, dass jeder Ehegatte die Hälfte der in der Ehezeit erworbenen Vermögenswerte
erhält. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 33 Abs. 5 GG, da sie über
diesen Halbteilungsgrundsatz hinaus auf die Anrechte der Beschwerdeführerin aus der Beamtenversorgung
zugreifen.

Die Anwendung der alten Fassung der Tabellen der Barwert-Verordnung führte dazu, dass das
Ziel einer gleichen Aufteilung des Erworbenen verfehlt wurde. In der Literatur wurde kritisiert,
dass der Barwert-Verordnung unzutreffende Daten über die Sterbewahrscheinlichkeit zu Grunde
liegen, so dass von einer geringeren Lebenserwartung als der tatsächlich gegebenen Leistungsdauer
ausgegangen wird. Dies habe zur Folge, dass der sich nach der Umwertung rechnerisch
ergebende Betrag, der das für die Finanzierung des Anrechts notwendige Kapital darstellen soll,
zu niedrig sei. Der Bundesgerichtshof ist in seiner Entscheidung vom 5. September 2001 dieser
Kritik gefolgt und hat die Anwendung der Barwert-Verordnung im Kern nur noch für eine Übergangszeit
für hinnehmbar erachtet. Der Normgeber hat hierauf reagiert und die Tabellen der Barwert-
Verordnung anhand der neuesten biometrischen Daten aktualisiert (Zweite Verordnung zur
Änderung der Barwert-Verordnung vom 26. März 2003). Einer weiteren Überprüfung des Befundes,
dass die alten Tabellenwerte der Barwert-Verordnung unzutreffend waren und ihre Anwendung
zu einer Unterbewertung des Anrechts führte, bedarf es angesichts des Umstandes, dass der
Verordnungsgeber auf die geäußerte Kritik hin die Barwerte novelliert hat, sich dabei auf im Jahre
1998 erstellte Rechnungsgrundlagen gestützt hat und hierdurch zu wesentlich höheren Multiplikatoren
in den Tabellen zur Barwert-Verordnung gelangt ist, nicht.

Nr. 48/2006 vom 8. Juni 2006

Beschluss vom 2. Mai 2006

1 BvR 1351/95