BVerfG: Erfolgreiche Vb gegen Versagung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen eine Klage auf höheren Kindesunterhalt

Der Beschwerdeführer ist Vater einer 17-jährigen Tochter, die im
Haushalt ihrer Mutter lebt. Er hat zudem einen einjährigen Sohn, mit dem
und mit dessen Mutter er zusammenlebt. Der Beschwerdeführer ist
gelernter Koch, in diesem Beruf jedoch aufgrund einer Behinderung
berufsunfähig. Nach mehrjähriger Arbeitslosigkeit konnte er Mitte 2005
eine Arbeitsstelle als Lagerist annehmen, etwa 40 Kilometer von seinem
Wohnort entfernt. Der Beschwerdeführer arbeitet vollschichtig, zudem
leistet er samstags Überstunden. Er wohnt im eigenen Haus, wobei er
einen Kredit zu tilgen hat, dessen Kosten nach dem Vorbringen des
Beschwerdeführers unterhalb von Mietkosten für vergleichbaren Wohnraum
liegen. Seiner Tochter zahlt der Beschwerdeführer einen monatlichen
Unterhalt von 153 Euro. Als seine Tochter ihn auf höheren
Kindesunterhalt mit Wirkung ab September 2005 verklagte, beantragte der
Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe und machte geltend, dass er
finanziell nicht in der Lage sei, einen höheren Unterhalt zu zahlen. Das
Amtsgericht wies den Prozesskostenhilfeantrag zurück. Der
Beschwerdeführer müsse auch nach Annahme einer vollschichtigen Tätigkeit
nebst Überstunden noch weitere Erwerbsbemühungen entfalten, um eine
andere Arbeitsstelle mit höherer Entlohnung zu finden. Dabei sei er
verpflichtet, sich bundesweit oder gar europaweit zu bewerben. Die
Beschwerde wies das Oberlandesgericht zurück.

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 1.
Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die
angegriffenen Entscheidungen auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 3 GG) verletzten. Die Gerichte hätten die Anforderungen an
die Erfolgsaussicht der beabsichtigen Rechtsverfolgung überspannt und
dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den
weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, verfehlt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die pauschalierenden Feststellungen der Gerichte werden weder dem
Charakter des Prozesskostenhilfeverfahrens als einem summarischen
Verfahren, welches das Hauptsacheverfahren nicht ersetzen soll, noch den
besonderen Umständen des Einzelfalls gerecht. Das
Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass auch unter
Berücksichtigung von § 10 SGB II, wonach von einem Erwerbslosen
grundsätzlich eine Arbeitssuche im gesamten Bundesgebiet verlangt wird,
die Familiengerichte verpflichtet sind, jedenfalls im
Hauptsacheverfahren zu prüfen, ob eine bundesweite Arbeitsaufnahme dem
Unterhaltsverpflichteten unter Berücksichtigung seiner persönlichen
Bindungen, insbesondere seines Umgangsrechts mit seinen Kindern, sowie
der Kosten der Ausübung dieses Umgangsrechts und der Umzugskosten
zumutbar ist. Diese Anforderungen gelten nicht nur bei der Anrechnung
fiktiver Einkünfte bei Erwerbslosen, sondern erst recht bei einem
vollschichtig Erwerbstätigen, welcher zudem zur Erzielung seines
Einkommens ungünstige Arbeitszeiten, einen weiten Anfahrtsweg und
Überstunden an Samstagen in Kauf nimmt.

Auf die Problematik der Trennung des Beschwerdeführers von seiner
Lebensgefährtin und seinem einjährigen Sohn gehen die angegriffenen
Entscheidungen nicht ein. Es wird auch nicht angemessen gewürdigt, dass
der Beschwerdeführer über längere Jahre hinweg arbeitslos gewesen ist
und sich erfolglos um eine Erwerbsstelle bemüht hat. Dass der
Beschwerdeführer eine besser dotierte Arbeitsstelle finden könnte,
bedarf besonderer Begründung. Bei einem Abstellen auf
Erwerbsmöglichkeiten im gesamten Bundesgebiet oder darüber hinaus wären
– unabhängig von der Frage, ob ein Umzug aufgrund der persönlichen
Bindungen zumutbar wäre – die dabei anfallenden Umzugskosten als ein die
Leistungsfähigkeit mindernder Umstand in Betracht zu ziehen gewesen. Im
Streit steht ein Unterhaltszeitraum von September 2005 bis zur
Volljährigkeit des Kindes im August 2007, also von 24 Monaten. Es
erscheint fraglich, ob dem Beschwerdeführer zugemutet werden kann, zur
Herstellung seiner vollständigen Leistungsfähigkeit für diesen Zeitraum
einen Umzug, die Trennung von seiner Familie und die mit der Annahme
einer neuen Arbeitsstelle verbunden Unsicherheiten in Kauf zu nehmen.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im eigenen Haus wohnt und nach
unwidersprochenem Vortrag mit Nebenkosten und Kreditraten in geringerem
Umfang belastet ist, als es bei einer Mietwohnung der Fall wäre.

Pressemitteilung Nr. 1/2007 vom 5. Januar 2007

Zum Beschluss vom 14. Dezember 2006 – 1 BvR 2236/06 –