BVerfG: Bürgenhaftung des Hauptunternehmers nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden

Nach § 1 a Arbeitnehmer-Entsendegesetz haftet ein Unternehmer, der einen
Nachunternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt, für die
tariflichen Mindestlohnansprüche der bei dem Nachunternehmer
beschäftigten Arbeitnehmer wie ein Bürge, der auf die Einrede der
Vorausklage verzichtet hat. Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß. Der
hierdurch bewirkte Eingriff in die durch Art. 12 Grundgesetz geschützte
unternehmerische Betätigungsfreiheit der Bauunternehmer ist durch
überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und entspricht
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies entschied die 2. Kammer des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Damit war die
Verfassungsbeschwerde eines Hauptunternehmers, der von den
Arbeitsgerichten zur Zahlung des tariflichen Mindestlohns an einen
Arbeitnehmer des von ihm beauftragten portugiesischen Nachunternehmers
verurteilt worden war, erfolglos.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Der Gesetzgeber verfolgt mit der Regelung verfassungsrechtlich legitime
Ziele. Indem die betroffenen Arbeitnehmer mit dem Hauptunternehmer einen
weiteren Schuldner erhalten, soll sichergestellt werden, dass sie den
rechtlich garantierten Mindestlohnanspruch tatsächlich durchsetzen
können. Die Erstreckung der tariflichen Mindestlöhne auf Außenseiter
soll einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten entgegenwirken,
dem insbesondere kleine und mittlere Betriebe nicht standhalten können.
Diese Maßnahme soll zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Bausektor
beitragen. Sie dient damit auch der Erhaltung als wünschenswert
angesehener sozialer Standards und der Entlastung der bei hoher
Arbeitslosigkeit oder bei niedrigen Löhnen verstärkt in Anspruch
genommenen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit ist in Verbindung mit der Sicherung sozialer
Mindeststandards ein besonders wichtiges Ziel, bei dessen Verwirklichung
dem Gesetzgeber gerade unter den gegebenen schwierigen
arbeitsmarktpolitischen Bedingungen ein relativ großer
Entscheidungsspielraum zugestanden werden muss. Dieser Gemeinwohlbelang,
dem auch die Bürgenhaftung Rechnung zu tragen versucht, besitzt eine
überragende Bedeutung.

Die Bürgenhaftung erscheint auch nicht deshalb als unangemessen, weil
dem Hauptunternehmer keine Möglichkeiten zur Verfügung stünden, um sich
vor der Inanspruchnahme durch die Arbeitnehmer zu schützen. Nach der
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Vorstellung des
Gesetzgebers soll sich der Hauptunternehmer gerade darum bemühen, nur
Nachunternehmer zu beauftragen, die eine größtmögliche Gewähr für die
Erfüllung der Mindestlohnansprüche der Arbeitnehmer bieten. Eine
Unzumutbarkeit der Bürgenhaftung folgt auch nicht daraus, dass sie dem
Hauptunternehmer verschuldensunabhängig ohne hinreichende
Verantwortungsbeziehung zu dem die Haftung auslösenden Sachverhalt
auferlegt würde. Erfüllt der vom Hauptunternehmer beauftragte
Nachunternehmer die Mindestlohnansprüche seiner Arbeitnehmer nicht,
verwirklicht sich genau das zusätzliche Risiko, das der Hauptunternehmer
geschaffen hat, indem er sich des Nachunternehmers zur Ausführung der
von ihm geschuldeten, aber nicht durch eigene Arbeitnehmer erbrachten
Bauleistungen bedient hat.

Pressemitteilung Nr. 42/2007 vom 5. April 2007

Zum Beschluss vom 20. März 2007 – 1 BvR 1047/05 –