Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die den Veterinärbehörden im Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von
BSE-Tests an Rindern in einem Schlachthof obliegenden Amtspflichten grundsätzlich keine drittgerichtete Schutzwirkung zugunsten der Unternehmen entfalten, die vom Schlachthof
– oder einem “Zwischenlieferanten” – Schlachtprodukte kaufen, um diese weiter zu veräußern oder zu verarbeiten. Soweit die Veterinärbehörde allerdings einen Abnehmer
über das Ergebnis ihrer Untersuchung unterrichtet und die bereits bei diesem befindliche, bis zum Vorliegen des Untersuchungsergebnisses sichergestellte Ware freigibt,
schafft sie dadurch einen unmittelbaren Vertrauenstatbestand für die ordnungsgemäße Durchführung der BSE-Tests und haftet dem Abnehmer auf Ersatz seines
Vertrauensschaden.
Die Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 betreibt eine Fettschmelze. Dazu bezieht sie Schlachtfette von einem Schlachthof und verarbeitet diese weiter. Im Schlachthof
unterhält das Veterinäramt eine Fleischhygienestelle, die unter anderem BSE-Tests durchführt. Solche waren ab 1. Januar 2009 für im Inland geborene und gehaltene Rinder
vorgeschrieben, soweit diese älter als 48 Monate waren. In der Zeit vom 12. bis 21. Januar 2009 wurden im Schlachthof unter anderem sieben Rinder geschlachtet, die
altersgemäß auf BSE hätten untersucht werden müssen, versehentlich aber nicht untersucht wurden. Das aus den Schlachtungen der jeweiligen Tage stammende Rohfett
lieferte der Schlachthof an die Klägerin auf Sicherungsschein, d.h. zur Verwahrung bis zur Aufhebung der Beschlagnahme. Zwischen dem 12./13. und 21./22. Januar 2009
erstellten das Veterinäramt im Rahmen sogenannter Begleitscheine fünf Ergebnismitteilungen, wonach die durchgeführten Untersuchungen auf BSE negativ verlaufen seien
und die Beschlagnahme der bereits an die Klägerin ausgelieferten Rohware aufgehoben werde. Hierüber informierte das Veterinäramt auch die Klägerin. Die Klägerin
verarbeitete das Rohfett und verkaufte es teilweise weiter, so unter anderem an die Klägerin im Verfahren III ZR 293/11. Nachdem der Fehler festgestellt worden war, mussten
die Fettprodukte vernichtet werden.Â
Die Klagen auf Schadensersatz – die Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 hat neben eigenen Schäden auch Schäden anderer Abnehmer aus abgetretenem Recht geltend gemacht –
haben in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Der III. Zivilsenat hat die Berufung der Klägerin im Verfahren III ZR 293/11 zurückgewiesen. Im Verfahren III ZR 151/12 hat
der III. Zivilsenat unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Berufungsurteil, soweit die dortige Klägerin eigene Schäden geltend gemacht hat, aufgehoben und
die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen:Â
Zur Begründung hat der III. Zivilsenat ausgeführt, dass Amtshaftungsansprüche nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB*, Art. 34 Satz 1 GG** die Verletzung einer gerade einem Dritten
gegenüber obliegenden Amtspflicht voraussetzen. Die rechtlichen Bestimmungen über die Durchführung von BSE-Tests dienen aber dem Gesundheitsschutz; ihnen lässt sich kein
Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die hier betroffenen wirtschaftlichen Interessen der Klägerinnen geschützt werden sollen.
Zwar sind nach der Rechtsprechung des Senats die bei der Durchführung einer BSE-Untersuchung bestehenden Amtspflichten im Verhältnis zum betroffenen Schlachtbetrieb
drittbezogen und kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, wenn ein Schlachthofbetreiber durch Fehler der zuständigen Behörden unmittelbar an der (gewinnbringenden)
Verwertung seines Eigentums gehindert wird.
Im vorliegenden Fall ist Streitgegenstand aber der Schaden von in der weiteren Abnehmer- und Verarbeitungskette stehenden Unternehmen. Insoweit besteht grundsätzlich keine
Drittwirkung; die einschlägigen Amtspflichten schützen nicht die individuellen Vermögensinteressen dieser Gruppe am Absatz von Tierprodukten zum Zwecke der
Gewinnerzielung.
Die Haftung des Staates würde ansonsten – obwohl drittbezogen nur Amtspflichten sind, bei denen in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige
Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist – konturlos und wäre letztlich nur noch eine Frage der Kausalität. Allein der Umstand, dass
jemand durch eine Amtspflichtverletzung kausal geschädigt wird, genügt aber nicht, um ihn als Dritten anzusehen. Insbesondere bei denjenigen, die in ihren eigenen Interessen
erst als Folge ihrer schuldrechtlichen Beziehungen zu den unmittelbar von der Ausübung der Amtspflicht betroffenen Personen und Unternehmen berührt werden, kann
regelmäßig keine Drittwirkung zuerkannt werden; denn grundsätzlich hat es der geschützte Dritte nicht in der Hand, durch den Abschluss von Verträgen den
Schutzbereich der ihm gegenüber obliegenden Amtspflichten auf den Vertragspartner zu erstrecken. Auch wären vorliegend die potentiellen Schäden und die damit verbundenen
Haftungsrisiken kaum absehbar und ausufernd, da die Verarbeitung selbst geringer Mengen von verkehrsunfähigen Fleischbestandteilen oder Nebenprodukten dazu führen kann, dass
große Mengen der mit Hilfe dieser Stoffe hergestellten End- oder Fertigprodukte unbrauchbar werden.
Die Freigabe des Schlachtfleisches stellt nicht generell eine geschützte Verlässlichkeitsgrundlage für wirtschaftliche Dispositionen dar. Insoweit stellt sich die Situation
allerdings bei der Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 anders dar. Die Auslegung der in den Begleitscheinen enthaltenen Ergebnismitteilungen ergibt, dass die hiervon
erfassten Rohfettlieferungen von Rindern stammen, bei deren Schlachtung die Vorgaben der BSE-Verordnung eingehalten worden sind. Die Klägerin, bei der sich zum Zeitpunkt der
Mitteilungen die fraglichen Rohfette tatsächlich befunden haben und aufgrund der ausgesprochenen vorläufigen Sicherstellungen auch nur befinden durften, konnte als Adressat
dieser Mitteilungen auf deren Richtigkeit vertrauen und entsprechend wirtschaftlich disponieren; insoweit ist sie auch als geschützte Dritte im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1
BGB anzusehen.
Urteile vom 8. November 2012 – III ZR 293/11 und III ZR 151/12
LG Mosbach - Urteile vom 18. März 2011 – 1 O 211/10 und vom 19. August 2011 – 1 O 15/11
OLG Karlsruhe – Urteile vom 15. November 2011 – 12 U 85/11 und vom 3. Mai 2012 – 12 U 149/11
*§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB
Haftung bei Amtspflichtverletzung
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu
ersetzen.
** Art. 34 Satz 1 GG
Haftung bei Amtspflichtverletzung
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit
grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.