Zur Speicherung des “genetischen Fingerabdrucks” Verurteilter

BVerfG: Zur Speicherung des “genetischen Fingerabdrucks” verurteilter
Personen

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat sich in einem
Beschluss
grundsätzlich zur Verfassungsmäßigkeit der Speicherung des
“genetischen
Fingerabdrucks” bei verurteilten Straftätern geäußert.

Die zu Grunde liegenden Verfassungsbeschwerden (Vb) von drei
Beschwerdeführern (Bf) richteten sich gegen Gerichtsentscheidungen,
wonach ihnen Zellproben entnommen werden dürfen, das
DNA-Identifizierungsmuster molekulargenetisch bestimmt und in einer
Datenbank gespeichert werden darf. Grundlage der Gerichtsbeschlüsse
sind
die §§ 81g StPO und 2 DNA-Identitätsfest-stellungsgesetz (DNA-IFG),
die
in der Anlage abgedruckt sind.

Die Kammer hat die Gerichtsentscheidungen hinsichtlich des Bf zu 1.
aufgehoben, die Vb der Bf zu 2. und 3. hingegen nicht zur
Entscheidung
angenommen. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus:

1. Die Regelungen des DNA-IFG in Verbindung mit § 81g StPO sind
formell
und materiell verfassungsgemäß. Dem Bund steht die
Gesetzgebungskompetenz für das DNA-IFG aus der konkurrierenden
Gesetzgebungszuständigkeit für das gerichtliche Verfahren in
Strafsachen
zu. Die Frage der Gesetzgebungskompetenz ist dabei anhand des Ziels
und
der Rechtsfolge der Maßnahmen zu beantworten. Die Speicherung des
“genetischen Fingerabdrucks” dient dazu, die Beweisführung in einem
künftigen Strafverfahren zu erleichtern. Ihr Zweck ist hingegen nicht
die Verhinderung neuer Straftaten durch die untersuchten Personen,
also
nicht die Gefahrenabwehr, für die die Gesetzgebungskompetenz bei den
Ländern liegt.

2. Die Regelungen sind auch inhaltlich mit dem Grundgesetz vereinbar.
Der absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeit, in den auch
auf
Grund eines Gesetzes nicht eingegriffen werden dürfte, ist nicht
betroffen. Dies gilt jedenfalls, solange lediglich der nicht –
codierende Teil der DNA erfasst und ausschließlich die Feststellung
des
DNA-Identifizierungsmusters zum Zweck der Identitätsfeststellung in
künftigen Strafverfahren vorgenommen sowie das Genmaterial
anschließend
vernichtet wird. Insoweit kann der “genetische Fingerabdruck” mit dem
herkömmlichen Fingerabdruck und anderen Identifikationsmethoden
verglichen werden, auch wenn sein Beweiswert ungleich höher ist.
Entscheidend ist, dass durch die Feststellung des
DNA-Identifizierungsmusters Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante
Merkmale wie Erbanlagen, Charaktereigenschaften oder Krankheiten des
Betroffenen, nicht ermöglicht werden und ein “Persönlichkeitsprofil”
nicht erstellt wird.
Soweit die Feststellung, Speicherung und künftige Verwendung des
“genetischen Fingerabdrucks” in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung eingreifen, hält sich dies innerhalb der durch den
Schrankenvorbehalt für solche Grundrechtseingriffe gezogenen Grenzen.
Der Eingriff dient einem Gemeinwohlbelang von hohem Rang, nämlich
der an
rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Strafrechtspflege. Die
gesetzliche Regelung genügt auch den Erfordernissen der Normklarheit
und
der Nachprüfbarkeit der auf dieser Grundlage ergangenen
Entscheidungen.
Insbesondere der Begriff “Straftaten von erheblicher Bedeutung”, die
Anlass für die Maßnahme sind, kann durch die herkömmlichen
juristischen
Auslegungsmethoden hinreichend klar definiert werden. Nach
überwiegender Auffassung muss eine Straftat von erheblicher Bedeutung
mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein,
den
Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl
der
Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
Die vorsorgliche Beweisbeschaffung durch Feststellung und Speicherung
des DNA-Identifi-zierungsmusters verstößt auch nicht gegen das
Übermaßverbot. Sie knüpft an eine Verurteilung wegen einer Straftat
von
erheblicher Bedeutung an und setzt zusätzlich die auf bestimmte
Tatsachen gestützte Prognose voraus, dass gegen den Betroffenen
künftig
weitere Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu
führen sein werden. Damit wird die Maßnahme auf besondere Fälle
beschränkt. Das Interesse des Betroffenen an effektivem
Grundrechtsschutz wird durch einen Richtervorbehalt für die Anordnung
der Maßnahme berücksichtigt, der die zuständigen Gerichte auch zur
Einzelfallprüfung zwingt. Ein Missbrauch der gewonnenen Daten wird
durch
die strenge Zweckbindung der molekulargenetischen Untersuchung der
Zellproben und das Gebot der Vernichtung des gesamten entnommenen
Zellmaterials nach der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters
verhindert.

3. Die Anwendung dieser Maßstäbe auf die einzelnen Fälle ergibt, dass
nur im Fall des Bf zu 1. die Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1
DNA-IFG i.V.m. § 81g StPO verfassungsrechtlich zu beanstanden ist.
Die
Kammer führt aus, dass es insoweit bereits an einer tragfähig
begründeten Entscheidung des Amtsgerichts fehlt. Eine solche setzt
voraus, dass das Gericht zuvor Sachaufklärung betreibt. Hierzu gehört
insbesondere die Beiziehung der verfügbaren Straf- und
Vollstreckungsakten, des Bewährungshefts und zeitnaher Auskünfte aus
dem
Bundeszentralregister. Auf dieser Grundlage ist eine auf den
Einzelfall
bezogene abwägende Entscheidung zu fällen. Dabei ist das Gericht zwar
nicht an eine von einem anderen Gericht ausgesprochene Sozialprognose
gebunden. Es bedarf aber eines erhöhten Begründungsaufwands, will das
erkennende Gericht von einer solchen Sozialprognose abweichen. Die
Annahme, dass gegen den Betroffenen künftig erneut Strafverfahren
wegen
Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind, muss auf
schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar
dokumentierten Tatsachen beruhen. Wie die Kammer ausführt, ist all
dies
im Fall des Bf zu 1. nicht geschehen. Dieser war im Laufe von
10 Jahren zu drei Freiheitsstrafen jeweils mit Strafaussetzung zur
Bewährung wegen einer positiven Sozialprognose und zwei Geldstrafen
verurteilt worden. Die ihn betreffende Anordnung der Entnahme von
Körperzellen hatte das Amtsgericht lediglich mit einer Wiederholung
des
Gesetzestextes und einer Aufzählung seiner Verurteilungen begründet.
Insoweit fehlte es bereits an einer Begründung dafür, dass es sich
bei
den Anlasstaten dieses Bf um Straftaten von erheblicher Bedeutung
gehandelt hatte. Hierfür ist wiederum eine Einzelfallprüfung
erforderlich. Vor allem hat das Amtsgericht die Negativprognose nicht
tragfähig begründet. Die Aufzählung allein des Inhalts des
Bundeszentralregisters lässt vermuten, dass eine weiter gehende
Sachaufklärung, die schon wegen der günstigen Sozialprognosen in den
Bewährungsentscheidungen angezeigt war, unterblieben ist.
Die Vb der Bf zu 2. und 3., die wegen versuchten Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten (Bf zu 2.) bzw.
Vergewaltigung in fünf Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in
Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von sieben
Jahren und anschließender Sicherungsverwahrung (Bf. zu 3.) verurteilt
worden waren, blieben hingegen erfolglos. Die erhebliche Bedeutung
ihrer
Straftaten lag auf der Hand. Die Gefahr künftiger weiterer Straftaten
von erheblicher Bedeutung war in diesen Fällen von den Gerichten
tragfähig begründet worden.

Beschluss vom 14. Dezember 2000 – 2 BvR 1741/99, 2 BvR 276/00, 2 BvR
2061/00 –
Karlsruhe, den 18. Januar 2001

Hinweis: Die Entscheidungen des BVerfG werden in der Regel noch am
Tag
der Bekanntgabe in das Internet eingestellt und sind unter der
Adresse:
http://www.bundesverfassungsgericht.de
abrufbar.
Wir würden uns freuen, wenn die Bürgerinnen und Bürger auf diese
Möglichkeit hingewiesen werden.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 8/2001 vom 18. Januar 2001

§ 81g StPO
(1) Zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren
dürfen dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher
Bedeutung,
insbesondere eines Verbrechens, eines Vergehens gegen die sexuelle
Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines
Diebstahls
in besonders schwerem Fall oder einer Erpressung verdächtig ist,
Körperzellen entnommen und zur Feststellung des
DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden,
wenn
wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des
Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme
besteht,
dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer der
vorgenannten Straftaten zu führen sind.
(2) Die entnommenen Körperzellen dürfen nur für die in Absatz 1
genannte
molekulargenetische Untersuchung verwendet werden; sie sind
unverzüglich
zu vernichten, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind. Bei
der
Untersuchung dürfen andere Feststellungen als diejenigen, die zur
Ermittlung des DNA-Identifizierungsmusters erforderlich sind, nicht
getroffen werden; hierauf gerichtete Untersuchungen sind unzulässig.
(3) § 81a Abs. 2 und § 81f gelten entsprechend.

§ 2 DNA-IFG
(1) Maßnahmen, die nach § 81g der Strafprozessordnung zulässig sind,
dürfen auch durchgeführt werden, wenn der Betroffene wegen einer der
in
§ 81g Abs. 1 der Strafprozessordnung genannten Straftaten
rechtskräftig
verurteilt oder nur wegen erwiesener oder nicht auszuschließender
Schuldunfähigkeit, auf Geisteskrankheit beruhender
Verhandlungsunfähigkeit oder fehlender oder nicht ausschließbar
fehlender Verantwortlichkeit (§ 3 des Jugendgerichtsgesetzes) nicht
verurteilt worden ist und die entsprechende Eintragung im
Bundeszentralregister oder Erziehungsregister noch nicht getilgt ist.
(2) Für Maßnahmen nach Absatz 1 gelten § 81a Abs. 2, §§ 81f und 162
Abs. 1 der Strafprozessordnung entsprechend.