Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat eine
Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen eine strafrechtliche
Verurteilung nicht zur Entscheidung angenommen.
1. Die Beschwerdeführerin (Bf) war 1998 vom
Oberlandesgericht (OLG)
Frankfurt am Main wegen ihrer Beteiligung an der
Entführung der
Lufthansa-Maschine “Landshut” nach Mogadischu im Oktober
1977 verurteilt
worden. Das OLG sah es als erwiesen an, dass die Bf die
bei der
Entführung eingesetzten Waffen von Algier nach Palma de
Mallorca
transportiert hatte, wo sie dem Entführungskommando
übergeben wurden.
Das OLG stützte seine Überzeugung von der Tatbeteiligung
der Bf im
Wesentlichen auf die Aussagen des in Beirut inhaftierten
Mitbeteiligten
S., der in der Hauptverhandlung gegen die Bf nicht
vernommen werden
konnte, weil die libanesischen Behörden eine Überstellung
zum Zwecke
der Vernehmung ablehnten. S. hatte jedoch in Beirut
aufgrund eines
Rechtshilfeersuchens gegenüber der libanesischen Polizei
ausführliche
Angaben als Beschuldigter gemacht. Bei diesen Vernehmungen
waren zwei
BKA-Beamte zugegen, die dem OLG in der Hauptverhandlung
als Zeugen über
Aussageentstehung und -inhalt berichteten.
Das OLG hielt die so eingeführten Aussagen des S. für
glaubhaft, da sie
durch schwerwiegende andere Beweismittel bestätigt würden.
Hierzu zählte
die Aussage des Zeugen P., Leitender Regierungsdirektor
beim Bundesamt
für Verfassungsschutz (BfV), der bekundete, ihm lägen
Unterlagen vor,
die den Flug der Bf von Algier nach Palma de Mallorca
bestätigten. Aus
Gründen des Quellenschutzes könne er jedoch weder die
Personen nennen,
von denen das BfV die Unterlagen er-halten habe, noch
diese Unterlagen
selbst offen legen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass
der Beschaffer enttarnt werde.
Auch der Zeuge G., ehemals Leitender Kriminaldirektor beim
BKA,
bekundete in der Hauptverhandlung, aus zuverlässiger
“Quelle”
Unterlagen erhalten zu haben, die die Identität der Bf als
diejenige
Person, die Waffen nach Mallorca gebracht habe,
bestätigten. Auch er
könne jedoch weder die Unterlagen vorlegen noch seine
“Quellen”
benennen.
Bemühungen des OLG, für beide so genannte “Zeugen vom
Hörensagen” beim
Bundesministerium des Innern jeweils eine Erweiterung der
Aussagegenehmigungen zu erreichen, blieben erfolglos.
Neben weiteren Umständen und Beweismitteln stützte das OLG
seine
Überzeugung von der Tatbeteiligung der Bf auch auf die
Aussage des in
der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen und ehemaligen
RAF-Mitgliedes
B., der angab, die Bf während der
Entführungsvorbereitungen in Bagdad
gesehen zu haben. Damit werde die Einlassung der Bf, Aden
nicht
verlassen zu haben, zusätzlich widerlegt und zugleich die
Einlassung des
Tatbeteiligten S. weiter bestätigt.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision der Bf
verworfen.
Mit der Vb rügt die Bf Verstöße gegen das Gebot eines
fairen
Strafverfahrens und das Willkürverbot. Ihre Verurteilung
stehe nicht
mit Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK in Einklang, da sie zentral
auf die
Bekundungen von Zeugen vom Hörensagen und die Ergebnisse
kriminalpolizeilicher und geheimdienstlicher
Quellenabschöpfungsprozesse gestützt worden sei. Die
Verurteilung beruhe
damit maßgeblich auf anonym gebliebenen Quellen. Die
Überzeugung des
OLG, durch diese Beweismittel werde das aus der
Vernehmungssituation
des S. folgende Defizit des Beweiswerts seiner Angaben
kompensiert,
verkenne die von Verfassungs wegen zu beachtenden
Vorgaben. Ein
Kumulationseffekt mehrerer – von den
Verfahrensbeteiligten in ihren
Entstehungsvoraussetzungen nicht eigenständig zu
beurteilender –
Zeugnisse vom Hörensagen sei mit der Rechtsprechung des
BVerfG
schlechterdings nicht zu vereinbaren.
2. Die Kammer hat die Vb nicht zur Entscheidung
angenommen. Zur
Begründung führt sie im Wesentlichen aus:
Aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt ein
Anspruch auf
materielle Beweisteilhabe, also auf Zugang zu den Quellen
der
Sachverhaltsfeststellung. Ein verfassungsrechtlich
erheblicher Verstoß
hiergegen ist nur dann anzunehmen, wenn sich bei einer
Gesamtschau aller
Umstände eindeutig ergibt, dass rechtstaatlich
unverzichtbare
Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind. Die angegriffenen
Urteile werden
jedoch dem Anspruch auf ein faires Verfahren auch in
Ansehung der – hier
als Auslegungshilfe verstandenen – Regelungsinhalte des
Art. 6 Abs. 1
Satz 1 und Abs. 3 EMRK und seiner Ausprägung durch die
Rechtsprechung
des EuGHMR und des BGH noch gerecht, wenn auch die der
Urteilsfindung
vorangegangene Handhabung des Verfahrensrechts durch das
Tatgericht im
Grenzbereich einer von Verfassungs wegen erlaubten
Verfahrensgestaltung
liegen mag.
Bekundungen, die auf in der Hauptverhandlung nicht
vernommene
Gewährsleute zurückgehen, genügen hinsichtlich ihres
Beweiswertes
regelmäßig nicht für die richterliche
Überzeugungsbildung, wenn sie
nicht durch andere wichtige Gesichtspunkte und
Beweisanzeichen bestätigt
werden. Gesteigerte Sorgfalt des Tatgerichts ist deshalb
geboten, wenn
– wie hier – polizeiliche oder nachrichtendienstliche
Gewährspersonen
nur deshalb nicht als Zeugen gehört werden können, weil
die zuständige
Behörde sich weigert, ihre Identität preis zu geben oder
eine
Aussagegenehmigung zu erteilen. Hier ist es die Exekutive,
die eine
erschöpfende Sachaufklärung verhindert und es den
Verfahrensbeteiligten
unmöglich macht, die persönliche Glaubwürdigkeit der im
Dunkeln
bleibenden Gewährsperson zu überprüfen.
Die Beweisgrundlage des angegriffenen tatrichterlichen
Urteils erschöpft
sich jedoch nicht in der Würdigung der Aussagen der
polizeilichen
“Zeugen vom Hörensagen”, der durch sie vermittelten
Angaben des
mitbeschuldigten S. und mehrerer im Ausland verdeckt
operierender
polizeilicher und nachrichtendienstlicher Gewährsleute,
Kontaktpersonen
und eines “Quellenführers”. Vielmehr stützt das OLG das
Beweisergebnis
neben der Einlassung der Bf selbst vor allem auf die
Aussage des
(unmittelbaren) Zeugen B. Dieser hat die Einlassung der
Bf, sie habe
sich zur Tatzeit nicht am Tatort, sondern ausschließlich
in Aden
aufgehalten, zur Überzeugung des Gerichts widerlegt.
Zugleich hat das
OLG darin eine weitere Bestätigung der durch die
BKA-Beamten
eingeführten Angaben des S. gesehen. Unter diesen
Umständen ist im
Rahmen der gebotenen Gesamtschau auch nicht zu
beanstanden, dass das OLG
seine Überzeugung von der Richtigkeit der Angaben des S.
und der im
Übrigen wiedergegebenen “Quellen” auf weitere Ermittlungen
der
beteiligten Ämter gestützt hat, die diese aufgrund und zur
Überprüfung
ihrer “Quellen”-Informationen durchgeführt haben.
War das Verfahren damit – als Ganzes betrachtet – nach dem
Maßstab des
GG noch fair, dann ist die Auffassung des BGH, ein Verstoß
gegen die
Fairnesskriterien des Art. 6 Abs. 1 EMRK liege im Ergebnis
nicht vor,
jedenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Beschluss vom 20. Dezember 2000 – Az. 2 BvR 591/00 –
Karlsruhe, den 22. Februar 2001