BVerfG: Zur Frage eines Beweisverwertungsverbotes wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt bei Anordnung einer Blutentnahme

Die Anordnung einer Blutentnahme zur Feststellung der
Blutalkoholkonzentration steht gemäß § 81a Abs. 2 StPO dem Richter zu
(Richtervorbehalt) und darf nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges
durch Verzögerung (Gefahr im Verzug) von der Staatsanwaltschaft oder den
ermittelnden Polizeibeamten getroffen werden.

Die Beschwerdeführer in den zwei miteinander verbundenen Verfahren sind
wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die
Verurteilung stützte sich jeweils auf das Ergebnis der durch die
ermittelnden Polizeibeamten vor Ort angeordneten Blutentnahme und
–untersuchung, die eine Blutalkoholkonzentration im Bereich der
absoluten Fahruntüchtigkeit auswies. Im ersten Verfahren hatte der
Polizeibeamte des Funkstreifenwagens an einem Sonntagnachmittag den
Diensthabenden auf der Wache zuvor ersucht, einen richterlichen
Beschluss zu erwirken. Als ihm von dort mitgeteilt wurde, dass ein
Richter telefonisch nicht habe erreicht werden können, ordnete der
Polizeibeamte vor Ort selbst die Blutentnahme an. Ob tatsächlich
versucht worden war, einen Richter zu erreichen, konnte nicht geklärt
werden, da der Vorgang nicht in den Akten dokumentiert war. Im zweiten
Verfahren hatte die Polizei an einem Sonntag gegen 4.30 Uhr nach
erfolglosem Versuch, den staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienst zu
erreichen, die Blutentnahme angeordnet. Nach den gerichtlichen
Feststellungen existierte kein nächtlicher richterlicher Eildienst bei
dem zuständigen Amtsgericht.

Mit den gegen ihre Verurteilung gerichteten Verfassungsbeschwerden rügen
die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte auf effektiven
Rechtsschutz und auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren sowie
auf körperliche Unversehrtheit. Die Entnahme einer Blutprobe ohne
richterliche Anordnung habe in ihrem Fall zu einem
Beweisverwertungsverbot geführt, d. h. das Ergebnis der Blutuntersuchung
hätte der Verurteilung nicht als Beweismittel zugrunde gelegt werden
dürfen.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, weil die
Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen, die Beschwerdeführer
insbesondere nicht in ihren Grundrechten verletzt sind.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Die Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots durch die Fachgerichte
verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem Recht auf einen effektiven
Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Nach gefestigter und willkürfreier
Rechtsprechung der Strafgerichte ist dem Strafverfahrensrecht ein
allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen
Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach
sich zieht, fremd. Vielmehr gilt der Grundsatz, dass das Gericht die
Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf
alle hierfür bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat.
Ein Beweisverwertungsverbot ist daher als Ausnahme nur nach
ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen
Gründen nach Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall
anzuerkennen, insbesondere bei willkürlicher Annahme von Gefahr im
Verzug oder dem Vorliegen eines besonders schweren Verfahrensfehlers.

Vor diesem Hintergrund ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
dass nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung eine fehlende
Dokumentation allein nicht zu einem Verwertungsverbot führt. Gleiches
gilt für das Fehlen eines nächtlichen richterlichen
Bereitschaftsdienstes. In einem solchen Fall können die Strafgerichte
darauf verweisen, dass die handelnden Polizeibeamten den
Richtervorbehalt nicht willkürlich oder zielgerichtet umgehen. Auch die
Nichterreichbarkeit des staatsanwaltschaftlichen Bereitschaftsdienstes
führt nicht zu einem verfassungsrechtlich gebotenen
Beweisverwertungsverbot. Da nach § 81a StPO sowohl die
Staatsanwaltschaft als auch die ermittelnden Polizeibeamten bei Gefahr
im Verzug die Befugnis zur Anordnung einer Blutentnahme haben, ist deren
Ergebnis unabhängig von der einfachrechtlichen Frage verwertbar, ob und
gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Eilkompetenz vorrangig
durch die Staatsanwaltschaft wahrzunehmen ist.

2. Die Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots verstößt auch nicht
gegen das Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Ein
solcher Verstoß liegt erst vor, wenn eine Gesamtschau auf das
Verfahrensrecht ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht
gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben
wurde. Der einfachrechtliche Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO
beruht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, nicht auf einer
zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe. Er gehört nicht zum Bereich
des rechtsstaatlich Unverzichtbaren und stellt keinen so schwerwiegenden
Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2
Abs. 2 Satz 1 GG dar, dass von Verfassungs wegen ein Richtervorbehalt zu
verlangen wäre. Daher kann ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt im
nachfolgenden Strafverfahren nur im Einzelfall eine
verfassungsrechtliche Bedeutung erlangen, wenn eine willkürliche, den
Fairnessgrundsatz ignorierende Auslegung und Anwendung der maßgeblichen
strafprozessualen Vorschriften vorliegt. Hierfür sind in den
vorliegenden Verfahren keine Anhaltspunkte gegeben.

Pressemitteilung zum Beschluss 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10 vom 24. Februar 2011