1. Zum Sachverhalt:
Der zunächst für den 9. Dezember 2002 vorgesehene Strafantritt durch den
Bf wurde antragsgemäß von der Staatsanwaltschaft um knapp vier Monate
aufgeschoben. Auf ein Gnadengesuch des Bf stellte die Staatsanwaltschaft
die Vollstreckung vorläufig ein. Bis zur Entscheidung über das Gesuch
werde von der Anwendung von Zwang abgesehen. Das Gnadengesuch wurde
abgelehnt. Am Abend des 3. Juni 2003 erhielt der Bf den ablehnenden
Bescheid und wurde auf Grund des Vollstreckungshaftbefehls der
Staatsanwaltschaft vom selben Tage festgenommen. Auf Betreiben seines
Verteidigers wurde er wieder freigelassen. Absprachegemäß begab er sich
am nächsten Morgen zur Staatsanwaltschaft. Diese vollstreckte den
Haftbefehl, und der Bf verbüßt seitdem die Freiheitsstrafe. Der Bf
beantragte festzustellen, dass Erlass und Vollzug des Haftbefehls
rechtswidrig gewesen seien und dass er im Vollzug wie ein Selbststeller
zu behandeln sein. Das OLG hat beide Anträge als unzulässig verworfen.
Dem Bf fehle mangels Feststellungsinteresses das Rechtsschutzinteresse.
Hiergegen richtet sich die Vb. Der Bf sieht sich in seinen Grundrechten
aus Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 1 Abs. 1 und Art. 19 Abs.
4 GG verletzt.
2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:
a) Mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist es vereinbar, dass
das für die Gewährung von gerichtlichem Rechtsschutz erforderliche
Rechtsschutzinteresse eine gegenwärtige Beschwer, eine
Wiederholungsgefahr oder eine fortwirkende Beeinträchtigung voraussetzt.
Darüber hinaus sind Anordnungen einer Wohnungsdurchsuchung und einer
Freiheitsentziehung einer gerichtlichen und verfassungsgerichtlichen
Überprüfung auch dann zugänglich, wenn die angeordnete Maßnahme
inzwischen durchgeführt und beendet ist. Insoweit handelt es sich um
schwerwiegende Grundrechtseingriffe, bei denen der Betroffene regelmäßig
die gerichtliche Entscheidung in dem von der maßgeblichen Prozessordnung
vorgesehenen Verfahren kaum erlangen kann, solange die direkte Belastung
andauert. Wegen der sachlichen Nähe zum Freiheitsrecht ist eine
nachträgliche gerichtliche Überprüfung möglich, wenn der Betroffene ein
am Maßstab einfachen Rechts so eklatant fehlerhaftes Vorgehen eines
Hoheitsträgers geltend machen kann, dass objektive Willkür nahe liegt.
Indem das OLG den Feststellungsantrag des Bf als unzulässig verworfen
hat, hat es das Grundrecht des Bf auf effektiven Rechtsschutz verletzt.
Zwar hat das OLG im Ergebnis zu Recht eine Verletzung des
Freiheitsrechts des Bf (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs.1 und 2
GG) verneint. Die Freiheitsentziehung hat in dem zu vollstreckenden
Strafausspruch eine ausreichende Grundlage. Auch das Gebot der Achtung
der Menschenwürde ist nicht verletzt. Zum bloßen Objekt der
Verbrechensbekämpfung unter Verletzung des verfassungsrechtlich
geschützten Wert- und Achtungsanspruchs wird ein Verurteilter nicht
schon dann, wenn ihm die Möglichkeit des Selbststellens genommen wird.
Das OLG hätte aber prüfen müssen, ob das Vorgehen der Staatsanwaltschaft
in einem Maße unverhältnismäßig und damit rechtsstaatswidrig gewesen
sein könnte, dass das Willkürverbot verletzt wäre. Auch wenn für den
Eingriff in ein Grundrecht eine verfassungsrechtlich zureichende
Grundlage besteht, ist bei deren Anwendung und Durchsetzung dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Einen angemessenen
Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse, die Vollstreckung der
verhängten Freiheitsstrafe sicherzustellen, und dem Interesse des
Verurteilten stellen die Bestimmungen der Strafprozessordnung und der
Strafvollstreckungsordnung her. Ein Vollstreckungshaftbefehl darf danach
erst ergehen, wenn der Verurteilte der Ladung zum Strafantritt ohne
ausreichende Entschuldigung nicht folgt oder Fluchtverdacht besteht. Der
Bf hatte bisher eine wirksame Fristsetzung oder Terminbestimmung nicht
missachtet. Es bestand auch kein Fluchtverdacht. Deshalb war es grob
unverhältnismäßig, Zwangsmaßnahmen vorzunehmen, ohne ihm zuvor die
Gelegenheit zu geben, sich dem Strafantritt freiwillig zu stellen. Er
durfte bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Gnadengesuchs auf die
vorläufige Einstellung der Vollstreckung vertrauen. Das rechtsstaatliche
Gebot der Vorausschaubarkeit und Abwendbarkeit von Zwangsmaßnahmen hätte
eine erneute Ladung und Fristsetzung zum Strafantritt erfordert.
b. Soweit das OLG den weiteren Feststellungsantrag des Bf, dass er im
Strafvollzug wie ein Selbststeller zu behandeln sei, als unzulässig
verworfen hat, liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Vb zur
Entscheidung nicht vor. Der Bf hat nicht dargelegt, welche Nachteile er
derzeit hinzunehmen hätte, weil er aufgrund des Haftbefehls der
Justizvollzugsanstalt zugeführt wurde. Sollte es zukünftig etwa bei der
Entscheidung über Vollzugslockerungen darauf ankommen, dass er aufgrund
eines nicht erforderlichen Vollstreckungshaftbefehls der
Justizvollzugsanstalt zugeführt wurde, kann er etwaige nachteilige
Entscheidungen der Vollzugsbehörden und Vollstreckungsgerichte
fachgerichtlich überprüfen lassen.
Beschluss vom 8. April 2004 – 2 BvR 1811/03 –
Karlsruhe, den 4. Mai 2004