BVerfG: Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit erlittener Untersuchungshaft erfolgreich

Die Verfassungsbeschwerde eines Beschwerdeführers, der sich gegen die teilweise Zurückweisung seines
Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit erlittener Untersuchungshaft wandte, war erfolgreich.
Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass sich das Rechtsschutzbedürfnis
auch auf die Feststellung bezieht, dass die erlittene Untersuchungshaft von Anfang an
rechtswidrig war.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer befand sich auf Grund eines Haftbefehls, in dem ihm die Bildung einer kriminellen
Vereinigung vorgeworfen wurde, seit Herbst 2003 in Untersuchungshaft. Seine im Februar 2004 gegen
den Haftbefehl eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht als unbegründet. Auf seine weitere Beschwerde
hin hob das Bayerische Oberste Landesgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Haftbefehl
auf; es habe kein dringender Tatverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen
Vereinigung bestanden. Der Beschwerdeführer wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.
Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer beim Bayerischen Obersten Landesgericht die Feststellung,
dass der Haftbefehl bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen sei. Das Gericht stellte
jedoch lediglich fest, dass der Haftbefehl im Zeitpunkt der Einlegung der Haftbeschwerde rechtswidrig
war. Im Übrigen verwarf es den Antrag als unzulässig, da Gegenstand der gerichtlichen Prüfung der
Haftbefehl im Zeitpunkt der Haftbeschwerde sei und nicht die lückenlose Kontrolle der Haftbefehlsvor-
aussetzungen seit dessen Erlass. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das
Bundesverfassungsgericht hob den angegriffenen Beschluss auf und verwies die Sache an das Bayerische
Oberste Landesgericht zurück.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Das Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Haftbefehls
ist nicht dadurch entfallen, dass der Haftbefehl aufgehoben wurde. Ein Feststellungsinteresse kann vor
allem bei schwerwiegenden, tatsächlich aber nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffen fortbestehen.
Solche kommen vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz vorbeugend dem
Richter vorbehalten hat, so dass ein Feststellungsinteresse wegen des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht
auch bei der unter Beachtung der Unschuldsvermutung vollzogenen Untersuchungshaft zu bejahen ist.
Die Beschwerde darf in solchen Fällen nicht wegen prozessualer Überholung als unzulässig verworfen
werden. Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der zwischenzeitlich erledigten Maßnahme zu prüfen und gegebenenfalls
deren Rechtswidrigkeit festzustellen.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat zwar die Anforderungen an die Gewährung eines effektiven
Rechtsschutzes dem Grunde nach erkannt, indem es ein Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers
an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des mittlerweile aufgehobenen Haftbefehls als gegeben ansah.
Es hat jedoch insoweit den effektiven Rechtsschutz des Beschwerdeführers nicht ausreichend gewahrt,
als es den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersuchungshaft für den Zeitraum vor Einlegung
der Haftbeschwerde als unzulässig verworfen hat. Besteht bei Freiheitsentziehungen durch Haft
ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit auch dann, wenn sie erledigt sind,
so müssen die Fachgerichte dies bei der Frage nach einem Rechtsschutzinteresse beachten. Insoweit
kann dem Rehabilitierungsinteresse des Beschwerdeführers ein “subsidiärer” Charakter des Feststellungsbegehrens
nicht entgegengehalten werden. Die Haftaufhebung ist das “wesensgleiche” Plus zur
Feststellung, dass die Inhaftierung rechtswidrig ist; mit ihr wird die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit praktisch
umgesetzt. Daher bezieht sich das Rechtsschutzbedürfnis auch auf die Feststellung, dass die erlittene
Untersuchungshaft bereits im Zeitpunkt des Haftbefehlserlasses rechtswidrig war. Die gegenteilige
Auffassung verkennt Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts.

Nr. 116/2005 vom 24. November 2005

Beschluss vom 31. Oktober 2005

2 BvR 2233/04