BVerfG: Vb eines Untersuchungsgefangenen gegen Verhängung von Disziplinarmaßnahmen wegen verweigerter Urinprobe

Der Beschwerdeführer befindet sich wegen des Verdachts des Verstoßes
gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft. Auf Antrag der
Justizvollzugsanstalt genehmigte das Amtsgericht die Anordnung der
Abgabe einer Urinprobe durch den Beschwerdeführer. Als der
Beschwerdeführer, dem zu diesem Zeitpunkt der Beschluss des
Amtsgerichts noch nicht bekanntgegeben worden war, zur Abgabe einer
Urinprobe aufgefordert wurde, verweigerte er diese unter Hinweis auf
das Fehlen einer richterlichen Anordnung. Daraufhin wurden gegen den
Beschwerdeführer Disziplinarmaßnahmen in Form einer Einkaufssperre und
eines Arrestes verhängt. Seine Verfassungsbeschwerde richtete sich
sowohl gegen die Anordnung der Urinprobe als auch gegen die Anordnung
der Disziplinarmaßnahmen. Sie war nur teilweise erfolgreich.

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte
fest, die Anordnung der Urinkontrolle sei verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden: Die Gerichte haben die Notwendigkeit von Urinkontrollen im
Vollzug von Untersuchungshaft nachvollziehbar mit den schwerwiegenden
Gefahren begründet, die von dem Konsum von Betäubungsmitteln für die
Sicherheit und Ordnung der Anstalt ausgehen. Die Anordnung war auch
nicht auf bloße abstrakte Mißbrauchsmöglichkeiten gestützt, die nach
geltendem Recht nicht geeignet sind, um Beschränkungen im
Untersuchungshaftvollzug zu rechtfertigen. Der Beschwerdeführer hatte
im Rahmen seiner Vernehmungen regelmäßigen Betäubungsmittelkonsum
eingeräumt und war bei seiner Eingangsuntersuchung positiv auf Drogen
getestet worden. Damit lagen hinreichend konkrete Anhaltspunkte für
eine die Anordnung rechtfertigende Gefahr vor.

Jedoch verletzte die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen den
Beschwerdeführer in seinen verfassungsmäßigen Rechten. Zwar begegnet es
grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Weigerung
eines Untersuchungsgefangenen, der Anordnung zur Abgabe einer Urinprobe
zu folgen, disziplinarisch zu ahnden. Zum Zeitpunkt der
Vorführungsanordnung hatte der Gefangene aber keine Veranlassung, vom
Bestehen einer entsprechenden Verhaltenspflicht auszugehen. Zwar lag
die erforderliche richterliche Anordnung vor. Sie war jedoch weder dem
Beschwerdeführer noch seinem Bevollmächtigten in der gebotenen Weise
bekanntgegeben worden. Von einer schuldhaften Verletzung der
vollzuglichen Gehorsamspflicht konnte daher keine Rede sein.

Pressemitteilung Nr. 111/2007 vom 16. November 2007

Beschluss vom 6. November 2007 – 2 BvR 1136/07 –