BVerfG: Trotz Nichtannahme erfolgreiche Verfassungsbeschwerden – Verpflichtung der Fachgerichte zur Belehrung über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung

Die Beschwerdeführer sind Strafgefangene. Ihre getrennt voneinander
eingelegten Verfassungsbeschwerden wurden zu gemeinsamer Entscheidung
verbunden. Im fachgerichtlichen Verfahren hatten sie jeweils eine
Rechtsbeschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die
für die Aufnahme zuständigen Rechtspfleger hatten die Niederschriften
mit einer beigefügten privatschriftlichen Begründung des jeweiligen
Beschwerdeführers an das jeweils zuständige Oberlandesgericht
weitergeleitet. Die Oberlandesgerichte verwarfen die Rechtsbeschwerden
als unzulässig, weil der Rechtspfleger gestaltend an der Abfassung der
Rechtsmittelschrift mitwirken und für deren Inhalt selbst die
Verantwortung übernehmen müsse. Ein in der Niederschrift enthaltener
Hinweis auf die dem Protokoll als Anlage beigefügte privatschriftliche
Begründung des Beschwerdeführers reiche dafür nicht aus. Eine
Wiedereinsetzung von Amts wegen komme nicht in Betracht.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten die Beschwerdeführer eine
Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren. Eine fehlerhafte
Aufnahme ihrer Rechtsbeschwerde durch den Rechtspfleger dürfe nicht
ihnen zur Last gelegt werden. Die 1. Kammer des Zweiten Senats nahm die
Verfassungsbeschwerden zwar nicht zur Entscheidung an. Aus der
Begründung der Nichtannahmeentscheidung ergibt sich jedoch, dass die
Gerichte in Fällen wie den vorliegenden einem Rechtsuchenden den Weg
weisen müssen, auf dem vermieden werden kann, dass er wegen eines auf
Seiten der Justiz unterlaufenen Fehlers einen Rechtsverlust erleidet:

Die Verfassungsbeschwerde sei nicht zur Entscheidung anzunehmen, da der
Rechtsweg noch nicht erschöpft sei. Da eine durch Fehler der
aufnehmenden Justizbediensteten bedingte Unzulässigkeit der
Rechtsbeschwerde nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers,
sondern auf einem Fehler der Justiz beruhe, hätten die Beschwerdeführer
die Möglichkeit, zunächst bei den Fachgerichten Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zu beantragen. Eine Wiedereinsetzung scheide hier nicht
wegen Fristablaufs aus. Jedenfalls dann, wenn der Wiedereinsetzungsgrund, wie hier, in einem den Gerichten zuzurechnenden
Fehler liege, fordere der Grundsatz fairer Verfahrensführung eine
ausdrückliche Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit der
Wiedereinsetzung. Ohne eine solche Belehrung, die hier bislang
unterblieben sei, beginne die Wiedereinsetzungsfrist nicht zu laufen.
Daher könnten die Beschwerdeführer innerhalb einer Woche ab Zustellung
des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts durch eine von einem
Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der
Geschäftsstelle bei dem jeweils zuständigen Landgericht erneut
Rechtsbeschwerde einlegen, indem sie gleichzeitig Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand beantragen.

Beschluss vom 27. September 2005 – 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 BvR
907/04 –

Karlsruhe, den 12. Oktober 2005