Das Bundesverfassungsgericht hat sich erstmals zur Zulässigkeit der sog. Organisationshaft geäußert.
Das Strafgesetzbuch ordnet in § 67 StGB an, dass in den Fällen, in denen die Unterbringung im
Maßregelvollzug neben einer Freiheitsstrafe angeordnet wird, grundsätzlich die Maßregel vor der
Strafe vollzogen wird. Organisationshaft liegt vor, wenn ein Verurteilter, für den nicht sofort ein
Unterbringungsplatz im Maßregelvollzug zur Verfügung steht, die Zwischenzeit in der “normalen”
Strafhaft verbringt.
Der Beschwerdeführer wurde wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren verurteilt; zugleich wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Da
ein Unterbringungsplatz in einer Entziehungsanstalt nicht gleich zur Verfügung stand, verblieb
der Beschwerdeführer nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils zunächst in der Justizvollzugsanstalt.
Drei Monate später wurde er schließlich in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Rechtsmittel
des Beschwerdeführers gegen die Dauer der “Organisationshaft” blieben vor dem Landgericht
und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt er, die
Fortdauer der “Organisationshaft” verletze ihn wegen des Fehlens einer darauf bezogenen gesetzlichen
Regelung in seinen Grundrechten: Während des Wartens auf das Freiwerden eines Platzes
im Maßregelvollzug dürfe er nicht in Haft gehalten werden.
Auf seine Verfassungsbeschwerde hin stellte die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
fest, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem
Recht auf Freiheit der Person verletzen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
ist die “Organisationshaft” zwar nicht grundsätzlich verfassungswidrig. Die Gerichte hätten hier
jedoch – in der irrigen Annahme einer festen Zeitspanne von drei Monaten für die Organisation
der Unterbringung – nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Vollstreckungsbehörde unverzüglich
die Überstellung des Beschwerdeführers in den Maßregelvollzug hätte herbeiführen müssen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Freiheitsstrafe und die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verfolgen
unterschiedliche Zwecke. Anders als die Freiheitsstrafe ist die Maßregel der Unterbringung auf
eine Therapie hin ausgerichtet. Beide Maßnahmen können deshalb auch nebeneinander angeordnet
werden. Das Grundrecht auf Freiheit der Person erfordert es aber, sie einander so zuzuordnen,
dass die Zwecke beider möglichst weitgehend erreicht werden.
Nach der gesetzlichen Regelung ist die Maßregel grundsätzlich vor der Strafe zu vollziehen, um
die “therapeutisch fruchtbare Zeit” zu nutzen. Die “Organisationshaft” dient der Vorbereitung der
Maßregel. Sie führt aber dann zu einer gesetzeswidrigen und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechenden
Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge, wenn die Vollstreckungsbehörde
nicht unverzüglich die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug einleitet und herbeiführt.
Denn in der Justizvollzugsanstalt kann die durch die Maßregelanordnung bezweckte Behandlung
des Verurteilten nicht gewährt werden.
Die von Verfassungs wegen noch vertretbare Organisationsfrist kann nicht allgemein, sondern
nur im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Bemühungen der Strafvollstreckungsbehörde
um eine beschleunigte Unterbringung des Verurteilten im Maßregelvollzug bestimmt werden.
Im Hinblick auf das Freiheitsgrundrecht ist es verfassungsrechtlich geboten, dass die Vollstreckungsbehörden
auf den konkreten, von der Rechtskraft des jeweiligen Urteils abhängigen
Behandlungsbedarf unverzüglich reagieren und die Überstellung des Verurteilten in eine geeignete
Einrichtung beschleunigt herbeiführen.
Diesen Anforderungen haben die angegriffenen Entscheidunge n nicht Rechnung getragen. Auf
der Grundlage der Annahme einer festen Zeitspanne von drei Monaten für die Organisation der
Unterbringung haben die Gerichte im Ergebnis lediglich deren Einhaltung, nicht aber die Umstände
für das Zustandekommen einer nahezu dreimonatigen Organisationsfrist geprüft. Die fachgerichtliche
Behauptung, die Vollstreckungsbehörde habe sich in der gebotenen Zeit und mit der
gebotenen Intensität um einen Unterbringungsplatz gekümmert, wird in den Beschlussgründen
nicht erläutert und deckt sich nicht mit dem tatsächlichen Ablauf der Organisation der Unterbringung
des Beschwerdeführers.
Da der Beschwerdeführer trotz zwischenzeitlicher Überstellung in eine Entziehungsanstalt ein
schutzwürdiges Interesse an der Feststellung hat, ob die ge gen ihn vollzogene “Organisationshaft”
grundrechtswidrig war, wird die Sache zu erneuter Entscheidung an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen.
Beschluss vom 26. September 2005 – 2 BvR 1019/01 –
Karlsruhe, den 28. Oktober 2005