BVerfG: Erfolgreiche Vb gegen Versagung einer Entschädigung für mehrmonatige Untersuchungshaft trotz Freispruchs

Gegen den Beschwerdeführer war vor dem Landgericht Deggendorf ein
Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Tötung seiner vier Monate alten
Tochter anhängig. Das Verfahren endete mit einem Freispruch, nachdem
sich die Hypothese, der Beschwerdeführer habe seine Tochter erstickt,
als nicht haltbar erwiesen hatte. Ein weiteres Gutachten zur
Todesursache war zu der Annahme eines plötzlichen Kindstodes gelangt.
Das Landgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Beschwerdeführer für
die erlittene mehrmonatige Untersuchungshaft zu entschädigen ist.

Gegen die Entscheidung über die Entschädigung legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein unter Hinweis auf § 5 Abs. 2 des
Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, wonach
die Entschädigung ausgeschlossen ist, wenn der Beschuldigte die
Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht
hat. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätten die widersprüchlichen
Angaben des Beschwerdeführers zur Auffindesituation seiner toten Tochter
die Strafverfolgungsmaßnahme wesentlich mitverursacht. Das Oberlandesgericht folgte dieser Argumentation und entschied, dass der
Beschwerdeführer nur für den Tag des Vollzugs der vorläufigen Festnahme,
nicht aber für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen sei. Zur
Begründung führte das Gericht aus, dass sich der Beschwerdeführer durch
sein Aussageverhalten in der Situation des ersten Zugriffs dringend
tatverdächtig gemacht habe.

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Die 1.
Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die
Entscheidung des Oberlandesgerichts auf, da sie den Beschwerdeführer in
seinem aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör
verletzt. Die Sache wurde an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts lässt nicht erkennen, dass sich
das Gericht mit dem bereits in das Zwischenverfahren eingeführten und im
Verfahren über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom Beschwerdeführer in den wesentlichen Teilen nochmals wörtlich
wiedergegebenen Gutachten zum Verhalten von Eltern nach einem
plötzlichen Kindstod auseinandergesetzt hat. Die Entscheidung stellt nur
dar, dass die Aussagen des Beschwerdeführers – was zutrifft –
widersprüchlich waren. Dass diese Widersprüchlichkeit jedoch, wie das
Gutachten nahe legt, in der durch den plötzlichen Tod seiner Tochter
hervorgerufenen Extremsituation des Beschwerdeführers ihre Ursache haben
könnte, lässt das Gericht unerörtert. Dabei war – nicht zuletzt
angesichts der rechtskräftig festgestellten Unschuld des Beschwerdeführers – eine Auseinandersetzung mit der These des Gutachtens
veranlasst, wonach es kein Standardverhalten nach dem plötzlichen Tod
eines Säuglings gebe, aber immer sehr belastende, ganz überwiegend zu
Unrecht gehegte Selbstzuweisungen, mehr oder weniger mitschuldig am Tod
des eigenen Kindes zu sein. Das Gutachten, das sich der Beschwerdeführer
im Beschwerdeverfahren nochmals zu eigen gemacht hatte, war nach den
besonderen, auch durch die Verfahrensgeschichte belegten Umständen des
Falles erkennbar von zentraler Bedeutung. Das Oberlandesgericht durfte
ihn daher nicht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs mit dem
pauschalen Hinweis abtun, der entsprechende Schriftsatz habe vorgelegen.
Es hätte ihn vielmehr in den Gründen seiner Entscheidung verarbeiten
müssen.

Pressemitteilung Nr. 122/2006 vom 22. Dezember 2006

Zum Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 BvR 722/06 –