Die Beschwerdeführerin nahm im November 2001 im Zusammenhang mit einem Castor-Transport mit
rund 200 Personen an einer Straßensitzblockade teil. Als sie einem Platzverweis nicht nachkam, nahm
die Polizei sie von 10.20 Uhr bis 8.23 Uhr des darauf folgenden Tages in Gewahrsam, ohne dass sich
während dieser Zeit ein Richter mit der Sache befasst hatte. Ihre hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde
hatte Erfolg. Die 2. Kammer des Zweiten Senats stellte fest, dass die angegriffenen Beschlüsse
des Amtsgerichts und des Landgerichts, die die nachträglichen Anträge der Beschwerdeführerin auf
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung sowie der Art und Weise ihrer Durchführung
zurückgewiesen hatten, die Beschwerdeführerin in ihrem Freiheitsgrundrecht sowie ihrem Recht auf effektiven
Rechtsschutz verletzten. Die Gerichte hätten den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht
hinreichend aufgeklärt. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Eine Freiheitsentziehung erfordert grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche
richterliche Entscheidung genügt nur in Ausnahmefällen. In einem solchen Fall ist die richterliche Entscheidung
unverzüglich nachzuholen. Das Gebot der Unverzüglichkeit verpflichtet zum einen die Polizei,
eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. Zum anderen muss auch die weitere Sachbehandlung
durch den Richter dem Gebot der Unverzüglichkeit entsprechen. Darüber hinaus ist es unverzichtbare
Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen
Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen.
Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht. Zum einen haben die Gerichte
den zeitlichen Ablauf des polizeilichen Vorgehens im Rahmen der Gewahrsamsnahme nicht analysiert.
Hierzu hätte Veranlassung bestanden, weil Zeiträume von mehreren Stunden im Ablauf der Gewahrsamnahme
ungeklärt sind. Die Beschwerdeführerin wurde um 10.20 Uhr in Gewahrsam genommen, um
13.19 Uhr traf das Transportfahrzeug in der Gefangenensammelstelle ein. Ein – erst um 21:01 Uhr erstellter
– Datenerfassungsbogen nennt als Aufnahmezeit hinsichtlich der Beschwerdeführerin 16:25 Uhr.
Der Antrag der Bezirksregierung auf richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der freiheitsbeschränkenden
Maßnahme datiert zwar noch vom selben Tag. Aus einer Mitteilung des Amtsgerichts
ergibt sich aber, dass dieser erst am nächsten Tag bei Gericht eingegangen ist, ohne dass die genaue
Uhrzeit ermittelt werden konnte. Die Ausführungen der Fachgerichte zu diesem zeitlichen Ablauf innerhalb
der Gefangenensammelstelle beschränken sich auf allgemeine blankettartige Begründungen, die nicht
auf den konkreten Fall eingehen. Um der hohen Bedeutung des Richtervorbehalts als Sicherung gegen
unberechtigte Freiheitsentziehungen gerecht zu werden, hätte das Amtsgericht die konkreten Umstände
der eingetretenen Verzögerungen, die das unverzügliche Anhängigmachen des Antrags auf Zulässigkeit
und Fortdauer der Gewahrsamnahme verhindert haben, aufklären müssen.
Ferner gibt die Art und Weise der Durchführung des richterlichen Bereitschaftsdienstes Anlass zu verfassungsrechtlichen
Beanstandungen. Der richterliche Bereitschaftsdienst konnte sich nicht auf die Tageszeit
beschränken, sondern musste auch eine Regelung für die Nachtzeit beinhalten, da aufgrund der zu erwartenden
Massendemonstrationen mit einer Vielzahl von Ingewahrsamnahmen gerechnet werden musste,
die nicht sämtlich zur Tageszeit sachgerecht bewältigt werden konnten.
2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin ferner in ihrem Recht auf effektiven
Rechtsschutz. Die Beschwerdeführerin hat gerügt, dass die Art und Weise des Vollzuges des Gewahrsams
einer Ersatzbestrafung gleich gekommen sei. Diesem Vorbringen ist immanent, dass bessere
Bedingungen des Vollzugs durch eine sachgerechte Planung, eine bessere Organisation und Koordinierung
wie auch durch eine anderweitige Unterbringung möglich gewesen seien. Den damit von der Beschwerdeführerin
in tatsächlicher Hinsicht aufgeworfenen Fragen sind die Gerichte nicht nachgegangen.
Ihnen hätte es oblegen, die Gründe für die Auswahl des Standorts der Gefangenensammelstelle, ihre
Kapazitätsgestaltung und die Frage einer zureichenden Ausstattung zu ermitteln und unter Berücksichtigung
der behördlicherseits geltend gemachten Belange sowie behördlicher Prognose- und Ermessensspielräume
zu würdigen.
Nr. 2/2006 vom 5. Januar 2006
Beschluss vom 13. Dezember 2005
2 BvR 447/05