Dem Beschwerdeführer liegt sexuelle Nötigung und Vergewaltigung zur
Last. Wegen Fluchtgefahr erließ das Landgericht gegen ihn im Juni 2006
einen Haftbefehl, der drei Monate später gegen Meldeauflagen und Abgabe
sämtlicher Reisedokumente außer Vollzug gesetzt wurde. Im Mai 2007
verurteilte das Landgericht den Beschwerdeführer zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Das Urteil ist noch
nicht rechtskräftig, da der Verteidiger des Beschwerdeführers Revision
eingelegt hat. Außerdem hob das Gericht die
Haftverschonungsentscheidung auf und setzte den Haftbefehl wieder in
Vollzug. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das
Oberlandesgericht mit der Begründung, dass durch die Verurteilung neue
Umstände hervorgetreten seien, die die erneute Verhaftung des
Beschwerdeführers erforderlich machten.
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Die 3. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die Entscheidung des
Oberlandesgerichts auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem
Freiheitsgrundrecht verletze. Der Umstand allein, dass nach der
Haftverschonung ein (noch nicht rechtskräftiges) Urteil ergangen sei,
könne den Widerruf der Haftverschonungsentscheidung bei im Übrigen
unveränderten Umständen nicht rechtfertigen. Die Sache wurde zur
erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Liegen
die Voraussetzungen für einen Widerruf der gewährten Haftverschonung
nicht vor, wovon nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auszugehen ist,
muss der Haftbefehl erneut außer Vollzug gesetzt und der
Beschwerdeführer unverzüglich aus der Untersuchungshaft entlassen
werden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Nach § 116 Abs. 4 Nr. 3 Strafprozessordnung darf die Aussetzung des
Vollzugs eines Haftbefehls nur dann widerrufen werden, wenn sich die
Umstände im Vergleich zu der Beurteilungsgrundlage seit der Gewährung
der Haftverschonung geändert haben. Ein nach der Haftverschonung
ergangenes (nicht rechtskräftiges) Urteil kann im Einzelfall zwar
geeignet sein, den Widerruf einer Haftverschonung zu rechtfertigen.
Dies setzt jedoch voraus, dass die später vom Tatrichter verhängte oder
die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe von der Prognose des
Haftrichters erheblich zum Nachteil des Beschuldigten abweicht und sich
die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht. War dagegen zum
Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit der später
ausgesprochenen – auch höheren – Strafe zu rechnen und hat der
Beschuldigte die ihm erteilten Auflagen gleichwohl korrekt befolgt,
darf die Haftverschonung nicht widerrufen werden. Insoweit setzt sich
der vom Angeklagten auf der Grundlage des Verschonungsbeschlusses
gesetzte Vertrauenstatbestand als Ausprägung der wertsetzenden
Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit im Rahmen der
vorzunehmenden Abwägung durch.
Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen des
Landgerichts und des Oberlandesgerichts nicht gerecht. Beide haben
einseitig auf die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren
und sechs Monaten abgestellt, ohne darzulegen, warum der Strafausspruch
zum Nachteil des Beschwerdeführers erheblich von der bisherigen
Straferwartung abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz
wesentlich erhöht hat. Weder das Landgericht noch das Oberlandesgericht
haben berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer durch das strikte
Befolgen der ihm erteilten Auflagen über einen längeren Zeitraum hinweg
einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und hierin grundsätzlich
schutzwürdig ist.