BVerfG: Erfolgreiche VB gegen die Versagung der Verlegung in eine heimatnähere Justizvollzugsanstalt

Der in der ehemaligen DDR aufgewachsene Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe
in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt. Der Zeitpunkt, zu dem eine Entlassung auf
Bewährung in Betracht kommt, wird Ende 2009 erreicht sein. Der Beschwerdeführer beantragte,
ihn in eine Vollzugsanstalt des Landes Sachsen zu verlegen, da sämtliche Bezugspersonen, mit
denen er regelmäßig Kontakt pflege – insbesondere seine Verlobte, seine Eltern, seine Geschwister
und deren Kinder – in den neuen Ländern lebten; in Bayern habe er keine sozialen Kontakte.
Nach seiner Haftentlassung wolle er seinen Lebensmittelpunkt zusammen mit seiner Verlobten in
der Nähe seiner in Sachsen wohnhaften Schwester suchen. Beide seien bereit, ihm – auch im
Rahmen von Vollzugslockerungen – bei der Wiedereingliederung zu helfen. Teils aus finanziellen
oder beruflichen und teils aus gesundheitlichen Gründen sei es seinen Verwandten nicht möglich,
ihn in der bayerischen Justizvollzugsanstalt zu besuchen. Die Verlobte verwies der Anstalt gegenüber
auf ärztliche Atteste, nach denen ihr lange Reisen ärztlich untersagt seien, die Schwester
auf einen Anfahrtsweg von 450 Kilometern und darauf, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit im
Gesundheitswesen an der Rufbereitschaft teilnehme.

Die Justizvollzugsanstalt lehnte den Verlegungsantrag des Beschwerdeführers ab. Hiergegen gerichtete
Rechtsmittel blieben vor den Fachgerichten ohne Erfolg. Als Grund für eine Verlegung
reiche es nicht aus, dass durch sie der Kontakt mit Angehörigen erleichtert würde; andernfalls
müsste aus Gründen der Gleichbehandlung einer solchen Vielzahl von Verlegungswünschen
Rechnung getragen werden, dass ein geordneter Vollzug nicht mehr möglich wäre. Ein Anstaltswechsel
komme nur bei besonderen, vom Durchschnittfall abweichenden Erschwerungen des
Kontakts zu den Angehörigen in Betracht. Auf seine Verfassungsbeschwerde hin hob die
2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung des Landge-
richts auf, da sie den in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Resozialisierungsanspruch
des Beschwerdeführers verletze. Die Sache wurde an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Für das Resozialisierungsziel, auf das der Strafvollzug von Verfassungs wegen auszurichten ist,
haben die familiären Beziehungen des Gefangenen wesentliche Bedeutung. Der Bestand und die
Stärkung dieser Beziehungen fördern regelmäßig die Chancen seiner Wiedereingliederung und
sind für freiheitserhebliche Entscheidungen (Vollzugslockerungen, Entlassung auf Bewährung)
von Belang. Das Strafvollzugsgesetz trägt dem Rechnung, indem es eine Verlegung des Gefangenen
ermöglicht, wenn hierdurch die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung
nach der Entlassung gefördert wird.

Die Erwägung, dass die Entscheidung über eine beantragte Verlegung nicht nach Grundsätzen
getroffen werden darf, die mit den Erfordernissen eines geordneten Strafvollzuges nicht vereinbar
wären, ist verfassungsrechtlich tragfähig. Zur rechtlich vorgesehenen Ordnung des Strafvollzuges
gehört aber auch, dass in der Vollstreckungsplanung und bei davon abweichenden Verlegungsentscheidungen
auf den Gesichtspunkt der Förderung des Kontakts zu Angehörigen die verfassungsrechtlich
gebotene Rücksicht genommen wird. Unter der Voraussetzung, dass die durchschnittlichen
Verhältnisse von einer Praxis geprägt sind, die diesen Anforderungen entspricht, sollten
Schwierigkeiten des beiderseits erwünschten Kontakts zu den Angehörigen, wie sie im Falle des
Beschwerdeführers bestehen, gerade nicht den Durchschnittsfall bilden. Die Feststellung des Landgerichts,
besondere, vom Durchschnittsfall abweichende Erschwernisse lägen im Fall des Beschwerdeführers
nicht vor, ist auf diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Die allgemeine
Erwägung, dass finanziell oder gesundheitlich bedingte Kontaktschwierigkeiten keine
überdurchschnittlichen, sondern typische Erschwernisse seien, ist offensichtlich unhaltbar. Sie
ersetzt die gebotene Würdigung der konkreten Umstände durch eine Pauschalbetrachtung, die bei
konsequenter Anwendung darauf hinausläuft, dass Gefangene auf eine Verlegung in die Nähe ihrer
Angehörigen prinzipiell keine Aussicht haben, wenn die Gründe dafür, dass ausreichende Kontakte
nur durch Verlegung ermöglicht werden können, finanzieller oder gesundheitlicher Art sind. Es liegt
auf der Hand, dass eine solche Handhabung nicht nur mit dem grundrechtlich geschützten
Resozialisierungsinteresse unvereinbar wäre, sondern auch mit dem Anspruch des Gefangenen,
nicht aufgrund der finanziellen oder gesundheitlichen Verhältnisse seiner Familienangehörigen
benachteiligt zu werden gegenüber insoweit besser gestellten Gefangenen.

Nr. 34/2006 vom 9. Mai 2006

Beschluss vom 19. April 2006

2 BvR 818/05