Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten Glaubenshaltung fließen, sind
nicht ohne weiteres jenen Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für ein solches Verhalten
bei Fehlen einer religiösen Motivation vorsieht. Die Pflicht aller öffentlichen Gewalt, die
ernste Glaubensüberzeugung zu respektieren, muss jedenfalls dann zu einem Zurückweichen
des Strafrechts führen, wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen
bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine seelische
Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die Bestrafung als eine übermäßige, seine Menschenwürde
verletzende soziale Reaktion darstellen würde. Der bewusste Verstoß gegen Strafnormen
ist jedoch nur als letzter Ausweg aus einem ansonsten unauflöslichen Konflikt zwischen
staatlichen und religiösen Verhaltensanforderungen hinzunehmen.
2. Die Festsetzung einer Sanktion gegen die Beschwerdeführer ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
Die allgemeine Schulpflicht dient dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags.
Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die
Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung
verantwortlicher Staatsbürger, die verantwortungsbewusst an den demokratischen
Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Die Offenheit für ein breites Spektrum
von Meinungen und Auffassungen ist konstitutive Voraussetzung einer öffentlichen
Schule in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen
Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt eine Missachtung des Gebots staatlicher Neutralität
und Toleranz in Fragen der Erziehung nicht erkennen. Mit der Vermittlung von Kenntnissen
über geschlechtlich übertragbare Krankheiten und über Methoden der Empfängnisverhütung
im Rahmen des Sexualkundeunterrichts hat die Schule das ihr obliegende Neutralitätsgebot
nicht verletzt. Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass nach den Lehrplänen die Evolutionstheorie
im Rahmen des Biologieunterrichts vermittelt und die Behandlung der Schöpfungsgeschichte
auf den Religionsunterricht beschränkt bleibt.
Die Beschwerdeführer können nicht beanspruchen, dass ihre Kinder vollständig von fremden
Glaubensbekundungen oder Ansichten verschont bleiben; in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen
Glaubensüberzeugungen Raum gibt, gewährt die Verfassung ein solches Recht
nicht. Zudem haben die Beschwerdeführer nahe liegende Möglichkeiten ungenutzt gelassen,
den von ihnen empfundenen Konflikt zwischen Glaubens- und Rechtsgeboten aufzulösen. Sie
haben es unterlassen, an Elternabenden teilzunehmen oder sonst ihre Besorgnis um die Erziehung
ihrer Kinder in der Schule vorzutragen. Hinzu kommt, dass das vollständige Fernhalten
ihrer Töchter vom Schulunterricht unverhältnismäßig war. Die Beschwerdeführer haben nicht
dargelegt, weshalb nicht ein Fernbleiben ihrer Kinder nur von bestimmten Unterrichtseinheiten
als milderes Mittel zur Sicherung ihres elterlichen Erziehungsrechts ausgereicht hätte.
Auch sonst ist nicht erkennbar, weshalb es Glaubensgründe erfordert haben, ihre Kinder von
weltanschaulich neutralen Unterrichtsfächern wie etwa Mathematik und Fremdsprachen abzumelden.
Nr. 53/2006 vom 20. Juni 2006
Beschluss vom 31. Mai 2006
2 BvR 1693/04