Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die verhängten Maßnahmen mit
einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er machte geltend, die
Mitgefangenen nicht beraten, sondern lediglich die von diesen
vorbereiteten Schreiben durchgesehen und in ordentliches Deutsch
übertragen zu haben. Dafür habe er weder eine Gegenleistung erhalten
noch eine solche verlangt.
Das Landgericht wies den Antrag als unbegründet zurück. Der
Antragsteller habe Rechtsberatung in einem weiteren Sinne betrieben. Es
gebe auch nicht den mindesten Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer
entgegen seiner Behauptung dies gegen Entgelt in welcher Form auch immer
getan habe und nicht etwa aus reiner Menschenfreundlichkeit. Diese
Erkenntnis schöpfe das Gericht aus seiner jahrelangen Erfahrung im
Strafvollzug, weswegen es keiner weiteren Ermittlungen bedürfe. Wer
daran glaube, der Antragsteller hätte seine Dienste umsonst und
uneigennützig erbracht, verkenne die Realitäten des Strafvollzugs.
In der Akte des landgerichtlichen Verfahrens finden sich von der
Justizvollzugsanstalt gefertigte Niederschriften von Aussagen mehrerer
Mitgefangener. Diese hatten nicht in Abrede gestellt, dem Beschwerdeführer gelegentlich Gefälligkeiten – wie etwa das Abgeben von
Tabak – erwiesen zu haben. Alle Befragten hatten jedoch bestritten, dass
dies in einem direkten Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer
geleisteten Hilfestellungen gestanden habe.
Die gegen die Entscheidung des Landgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten Senats
des Bundesverfassungsgerichts hob den Beschluss des Landgerichts auf. Er
verletze den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4
GG, weil er auf unzureichender Aufklärung des Sachverhalts beruhe.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Es ist schon unklar, welche konkreten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers das Gericht als erwiesen angesehen hat. Während die
Vollzugsanstalt dem Beschwerdeführer vorwarf, er habe Rechtsberatung
betrieben, indem er für Mitgefangene Schriftsätze verfasst habe, hat die
Kammer hierzu nur festgestellt, er habe „Rechtsberatung in einem
weiteren Sinne„ betrieben. Welche konkreten Tätigkeiten der
Beschwerdeführer für Dritte entfaltet haben soll, wurde nicht geklärt.
Nähere Feststellungen waren jedoch erforderlich; denn die Verhängung der
Disziplinarmaßnahme konnte als rechtmäßig nur auf der Grundlage von
Tatsachenfeststellungen bestätigt werden, die eine Subsumtion unter den
Begriff der Rechtsberatung im Sinne des Rechtsberatungsgesetzes und
unter die dort aufgestellten Kriterien für deren Zulässigkeit erlaubten.
An der Feststellung der für diese Subsumtion erforderlichen Tatsachen
fehlte es hier.
Das Landgericht konnte auch nicht davon ausgehen, auf eine Prüfung der
Vereinbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers mit den Bestimmungen
des Rechtsberatungsgesetzes komme es nicht an, weil jede mit konkret
vereinbarten Gegenleistungen verbundene Hilfstätigkeit für Mitgefangene
grundsätzlich schon im Hinblick auf die damit verbundene Gefahr
subkultureller Abhängigkeiten einen disziplinarisch zu ahndenden
Pflichtverstoß darstelle. Das Gericht durfte die Rechtmäßigkeit der
verhängten Disziplinarmaßnahme nicht unter Auswechslung der von der
Anstalt angeführten Gründe bestätigen, sondern hatte die Maßnahme auf
der Grundlage des von der Anstalt erhobenen Vorwurfs der unerlaubten
Rechtsberatung zu prüfen.
Auch insoweit wären im Übrigen die gerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen unzureichend gewesen. Die Annahme, dass im
Strafvollzug Hilfsdienste für Mitgefangene typischerweise nicht ohne
Gegenleistung erbracht werden, entspricht einer in Fachkreisen
verbreiteten Einschätzung. Auch wenn entsprechende in der Praxis
gewonnene Erkenntnisse in die Würdigung konkreter Sachverhalte
einfließen mögen, erübrigen sie nicht die Auseinandersetzung mit
konkreten Einwänden gegen die Richtigkeit der anstaltlichen
Sachverhaltsdarstellung. Im vorliegenden Fall fehlt bereits jede nähere
Darstellung und Würdigung der konkreten Einlassungen der von der Anstalt
befragten Mitgefangenen. Aus der Akte ist nicht ersichtlich, dass diese
dem Beschwerdeführer überhaupt zur Kenntnis gegeben wurden. Es fehlt
auch jede nähere Feststellung zu der Frage, welcher Art das behauptete
Gegenleistungsverhältnis war – ob es sich etwa um die Erbringung oder
konkrete Zusicherung konkret bestimmter Gegenleistungen für konkret
bestimmte Hilfsdienste handelte oder nur um ein allgemeines Verhältnis
wechselseitiger Bereitschaft zu gelegentlich auch tatsächlich erbrachten
Gefälligkeiten. Weiter fehlt jede nähere Auseinandersetzung mit der
Frage, inwiefern nach dem konkreten Charakter dieses Verhältnisses die
Gegenseitigkeitsbeziehung tatsächlich ordnungsstörende Abhängigkeitsverhältnisse begründete. Da Gefangenen nicht jede
Gegenseitigkeitsbeziehung und damit jede Form des normalen menschlichen
Miteinander als ordnungsstörend verboten sein kann, war eine Abgrenzung
hier nicht entbehrlich.
Pressemitteilung Nr. 113/2006 vom 17. November 2006
Zum Beschluss vom 24. Oktober 2006 – 2 BvR 30/06 –