Der Beschwerdeführer (Bf), gegen den die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts des Betruges
ermittelt, hatte sich mit seiner Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen die gerichtliche Anordnung
eines strafprozessualen Arrests (§§ 111 b Abs. 2 und 5, 111 d Strafprozessordnung) in sein Vermögen
in Höhe von rund 7 Mio. Euro gewandt. Der Arrest sollte der Sicherung der Ansprüche
der Geschädigten dienen, die ihr aus der Straftat erwachsen sind („Rückgewinnungshilfe„). Die
Vb war erfolgreich. Die 3. Kammer des Zweiten Senats hob die angegriffenen Beschlüsse des
Amtsgerichts (AG) und Landgerichts (LG) auf, da sie den Bf in seinem Eigentumsgrundrecht
(Art. 14 Abs. 1 GG) verletzen.
Das Bundesverfassungsgericht hebt hervor, dass das möglicherweise strafrechtlich erlangte Vermögen
zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht und noch
nicht über die Strafbarkeit entschieden worden ist. Das Eigentumsgrundrecht verlangt in diesen
Fällen eine Abwägung des Sicherstellungsinteresses des Staates mit der Eigentumsposition des
von der Maßnahme Betroffenen. Da derzeit nach dem Ergebnis der bislang vor den insoweit
sachnäheren Sozialgerichten geführten Verfahren eine Vollstreckungsmöglichkeit zugunsten der
Geschädigten nicht besteht, diese jahrelang Vollstreckungsmöglichkeiten nicht wahrgenommen
hat und eine den Honoraranspruch betreffende Hauptsacheentscheidung wegen des Ruhens des
Verfahrens nicht absehbar ist, dürfe diese Abwägung hier nicht einseitig zu Lasten des von der
Maßnahme Betroffenen gehen. Die Sache wurde an das LG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Sachverhalt:
Dem Bf , einem Arzt, wird vorgeworfen, von 1994 bis 1997 seine ärztliche Tätigkeit als Selbstständiger
abgerechnet zu haben, obwohl er faktisch Angestellter des anderweitig Verfolgten Dr.
R. gewesen sei. Die von der Geschädigten, einer kassenärztlichen Vereinigung, ausbezahlten Honorare
in Höhe von rund 7 Mio. Euro seien vollständig an ihn geflossen. Das AG erließ im Jahr
2002 zur Sicherung der aus der Straftat erwachsenen Ansprüche der kassenärztlichen Vereinigung
gegen den Bf einen dinglichen Arrest in Höhe von rund 7 Mio. Euro. In seiner hiergegen
erhobenen Beschwerde machte der Bf. u.a. geltend, dass auch bei unterstellter Scheinselbständigkeit die abgerechneten ärztlichen Leistungen im abgerechneten Umfang erbracht worden seien
und daher kein Schaden in Höhe des Arrestbetrags entstanden sei. Die Beschwerde verwarf das
LG zwei Jahre später als unbegründet.
Die im Zusammenhang mit der Honorarrückforderung stehenden Fragen waren und sind Gegenstand
weiterer, vorwiegend sozialgerichtlicher Streitigkeiten zwischen dem Bf. und der kassenärztlichen
Vereinigung. Im Hinblick auf die zu klärenden Rechtsfragen durch das Bundessozia lgericht
beziehungsweise Bundesverfassungsgericht in entsprechenden Parallelverfahren wurde
von den Sozialgerichten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. In einem der Verfahren ordneten
die Sozialgerichte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage des Bf. gegen
einen Rückforderungs- und Widerspruchsbescheid an und verpflichteten die Geschädigte zur
Auszahlung einbehaltener Honorare. Im Hinblick auf die schwierigen Rechtsfragen sowie wegen
des Umstandes, dass der Beschwerdeführer die Honoraransprüche an seinen Vertragspartner abgetreten
bzw. die Honorare nicht persönlich erhalten habe, ordnete das Landessozialgericht an,
dass “Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf Grund dieser Bescheide nicht mehr ergehen dürfen”.
Die Vb gegen die Arrestbeschlüsse von AG und LG hatte Erfolg.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Die Fachgerichte haben nicht nachvollziehbar begründet, warum von einem das Eigentumsrecht
des Bf überwiegenden und für die Maßnahmen erforderlichen Sicherstellungsbedürfnis der
Geschädigten auszugehen ist.
Das AG hätte vor allem würdigen müssen, dass die Geschädigte trotz frühzeitiger Kenntnis sämtlicher
für die nunmehr gesicherten Honorarrückforderungsansprüche erheblichen Umstände lange
Zeit untätig geblieben war. Die Geschädigte erließ zwar zeitnah zur Tatsachenkenntnis einen
Rückforderungsbescheid für die Honorarzahlungen. Sie machte jedoch über Jahre hinweg keinen
Gebrauch von der ihr eröffneten Möglichkeit, den Rückforderungsbescheid im Wege der
Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Erst knapp fünf Jahre später schuf sie sich eine Grundlage
für die Zwangsvollstreckung. Da das AG diese Umstände nicht berücksichtigt hat, konnte es zu
keinem grundrechtskonformen Abwägungsergebnis kommen.
Das LG hat die Grundrechtsverletzung des Bf vertieft. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des LG
stand fest, dass eine Durchsetzung des von der Geschädigten behaupteten Anspruchs zumindest
auf absehbare Zeit nicht zu erwarten war – und zwar aus Gründen, die unter anderem die Geschädigte
zu verantworten hatte. Im Rahmen der sozialgerichtlichen Klage des Bf gegen den Rückforderungsbescheid hat die Geschädigte durch den Antrag auf Ruhen des Verfahrens zu erkennen
gegeben, dass ihr bis auf Weiteres nicht daran gelegen war, einen durchsetzbaren Titel zu
erlangen. Das LG hätte daher neben dem langen Zeitablauf auch das sozialgerichtliche Prozessverhalten
der Geschädigten, welches eine Klärung der Anspruchsberechtigung auf absehbare Zeit
verhindert, berücksichtigen müssen.
2. Darüber hinaus fehlen hinreichende Erwägungen, ob der Bf das gesamte Honorar in Höhe des
Arrestbetrags von rund 7 Mio. Euro erlangt hat. Der strafrechtliche Vorwurf beruht auf der Annahme,
dass der Bf im Rahmen eines „Strohmannverhältnisses„ die abgerechneten Tätigkeiten
faktisch wie ein Angestellter des anderweitig Verfolgten Dr. R. erbracht habe. Diese Konstruktion
hätte Anlass zu Zweifeln an einer umfänglichen wirtschaftlichen Verfügungsgewalt des Bf
über die ausbezahlten Honorare geben müssen.
Beschluss vom 7. Juni 2005 – 2 BvR 1822/04 –
Karlsruhe, den 24. Juni 2005