Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat zwei Angeklagte wegen versuchten
Mordes in vier Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem Herbeiführen einer
Sprengstoffexplosion sowie wegen der Verabredung eines Mordes und des
Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit der Vorbereitung
eines Explosionsverbrechens zu Freiheitsstrafen von dreizehn und neun
Jahren verurteilt.
Nach den Feststellungen bildeten sich im Frühjahr 1992 als Folge der
Deeskalationserklärung der “Rote Armee Fraktion” (RAF) vom 10. April 1992
Gruppen, aus denen schließlich die “Antiimperialistische Zelle” (AIZ)
hervorging. Von Anfang an gehörten die Angeklagten dieser Gruppierung an,
später bestand sie nur noch aus ihnen. Die AIZ hielt die traditionelle
“RAF-Strategie” des bewaffneten Kampfes aufrecht. Nach verschiedenen
kleineren politisch motivierten Straftaten kam es unter Beteiligung der
Angeklagten zu sechs, davon in fünf Fällen mit bedingtem Tötungsvorsatz
ausgeführten Sprengstoffanschlägen sowie zur Verabredung eines weiteren
Sprengstoffanschlags, dessen Durchführung durch die Festnahme der
Angeklagten verhindert werden konnte. Hinsichtlich des Sprengstoffanschlags
auf die CDU-Kreisgeschäftsstelle im Juni 1994 in Düsseldorf und des
versuchten Sprengstoffanschlags auf das FDP-Parteibüro im September 1994 in
Bremen ist das Verfahren gemäß § 154 StPO vorläufig eingestellt worden. Der
Verurteilung liegt die Beteiligung der Angeklagten an den im Jahre 1995
begangenen Anschlägen auf die Wohnhäuser des Parlamentarischen
Staatssekretärs a.D. Dr. Köhler in Wolfsburg, des MdB Prof. Dr. Blank in
Erkrath, des MdB Breuer in Siegen, an dem Anschlag auf das peruanische
Honorarkonsulat in Düsseldorf im Dezember 1995 sowie der Verabredung und
Vorbereitung eines Anschlags auf das Wohnhaus des MdB Duve in Hamburg
zugrunde. Die Angeklagten handelten jeweils aufgrund einer feindseligen und
haßerfüllten Einstellung gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat und
seiner Repräsentanten.
Einer der Angeklagten wendet sich mit verfahrensrechtlichen Beanstandungen
und der Sachrüge gegen seine Verurteilung.
Bei Fahrten mit den von ihnen für die Vorbereitung und Durchführung der
Anschläge genutzten Kraftfahrzeugen gelang es den Angeklagten regelmäßig,
sich der visuellen Observation durch Kräfte des Verfassungsschutzes und des
Bundeskriminalamtes zu entziehen. Unter Benutzung von Scannern und
Hochfrequenzdetektoren entdeckten sie zwei in ein Fahrzeug eingebaute
Peilsender und machten diese funktionsunfähig. Auf Anordnung des
Generalbundesanwalts wurde deshalb im Dezember 1995 ein Empfänger des
satellitengestützten, funkgesteuerten Navigationssystems “Global
Positioning System” (GPS) in den Pkw des Mitangeklagten eingebaut, durch
den im Minutentakt das Datum, die Uhrzeit, die geographischen Breiten- und
Längenkoordinaten sowie die Momentangeschwindigkeit des Pkw aufgezeichnet
wurden. Durch die Auswertung der bis auf 50 Meter genauen Positionsdaten
konnten die Fahrbewegungen, Standorte und Standzeiten des Pkw im einzelnen
und lückenlos nachvollzogen und die Angeklagten überführt werden.
Der für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat hat entschieden,
daß die Beweisgewinnung unter Verwendung des GPS nach § 100 c Abs. 1 Nr. 1
Buchst. b StPO rechtmäßig war. Der unantastbare Kernbereich des durch Art.
1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleisteten Schutzes der
Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sei durch
die GPS-Überwachung nicht berührt. Angesichts des erheblichen,
verfassungsrechtlich anerkannten Interesses an der Aufklärung und
Verfolgung schwerwiegender Straftaten handle es sich um eine vom
Gesetzesvorbehalt gedeckte und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung
tragende Grundrechtsbeschränkung.
Auch die Kumulation der durchgeführten Observierungen (GPS-Überwachung,
visuelle und videotechnische Überwachung, Ausschreibung zur Beobachtung,
Telephonüberwachung) sei rechtlich unbedenklich. Die einzelnen Maßnahmen
seien von den jeweils einschlägigen Ermächtigungsnormen der
Strafprozeßordnung gedeckt gewesen. Eine gesonderte “übergreifende”
richterliche Zuständigkeit allein auf Grund der Kumulation bestehe nicht.
Der Senat hat ausgeführt, daß das Zusammentreffen des Einsatzes des GPS mit
anderen je für sich zulässigen Eingriffsmaßnahmen gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verstoßen könne, wenn dies zu einer umfassenden
Überwachung der Person führe. Bei der insoweit erforderlichen Abwägung
komme dem Gewicht der aufzuklärenden Straftat besondere Bedeutung zu. Im
vorliegenden Fall habe keine derart intensive “Totalüberwachung” der
Angeklagten stattgefunden, die angesichts der schwerwiegenden Straftaten
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der durchgeführten Maßnahmen aufkommen lassen
könnte. Würden für längerfristige Observationen technische Mittel im Sinne
des § 100 c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StPO verwendet, so seien zusätzlich die
Anordnungsvoraussetzungen des § 163 f StPO zu beachten. Bis zum
Inkrafttreten dieser Vorschrift (1.11.2000) habe keine richterliche
Anordnungskompetenz bestanden.
§ 100 c Abs. 1 Nr. 1 b StPO lautet wie folgt:
Ohne Wissen des Betroffenen
1. dürfen
a) ……..
b) sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel
zur Erforschung des Sachverhaltes oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes
des Täters verwendet werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat
von erheblicher Bedeutung ist, und wenn die Erforschung des Sachverhaltes
oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise
weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre.
Urteil vom 24. Januar 2001 – 3 StR 324/00
Karlsruhe, 24. Januar 2001