BGH: Zur Strafbarkeit von Ausländern wegen unerlaubten Aufenthalts in der Bundesrepublik

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die bisher zwischen den
Strafgerichten, den Verwaltungsgerichten und in der ausländerrechtlichen
Literatur streitige Frage zu entscheiden, ob der einem Ausländer nach
verwaltungsrechtlichen Grundsätzen wirksam erteilten Aufenthaltsgenehmigung
für die Straftatbestände der §§ 92, 92 a AuslG sowie der §§ 95, 96 AufenthG
Tatbestandswirkung zukommt mit der Folge, daß für die Strafbarkeit eines
Ausländers allein maßgeblich ist, ob eine formell wirksame Einreise- oder
Aufenthaltsgenehmigung vorgelegen hat oder fehlte. Der Senat hat diese Frage
im letztgenannten Sinne bejaht.

Dem Verfahren lag ein Urteil des Landgerichts Darmstadt zugrunde, das einen
Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs
Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Schußwaffen und Munition zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt hat. Nach
den Feststellungen des Landgerichts unterstützte der Angeklagte in sechs
Fällen Ausländerinnen aus Rußland, Litauen und der Ukraine, indem er ihnen
Zimmer vermietete, ihnen zum Teil bei der Aufnahme einer Tätigkeit oder
gegen entsprechende Bezahlung auch bei der Verlängerung der Visa behilflich
war. Dabei handelte es sich vorwiegend um Personen, die – wie er wußte –
allein mit dem Zweck eingereist waren, in Deutschland einer
Erwerbstätigkeit, u.a. der Prostitution, nachzugehen. Daß der Angeklagte
den Frauen seine Unterstützung bereits vor Beantragung der Visa bzw. vor der
Einreise zugesagt hatte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Die
Frauen aus Rußland und der Ukraine verfügten nur über die für die Einreise
und den Aufenthalt erforderlichen Touristenvisa, die ihnen aufgrund ihrer
unvollständigen Angaben erteilt worden waren. Diese gestatteten die
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht. Das Landgericht hat die Einreise und
den Aufenthalt der Frauen trotz der vorliegenden Touristenvisa als
unerlaubt angesehen, weil sie nicht über die für ihren tatsächlich
beabsichtigten Aufenthaltszweck erforderliche Aufenthaltsgenehmigung
verfügten. Es ist damit der überwiegenden Rechtsprechung der Verwaltungs-
und Oberwaltungsgerichte und Teilen der ausländerrechtlichen
Kommentarliteratur gefolgt und der Auffassung des 3. Strafsenats des
Bundesgerichtshofs (Urteil vom 11. Februar 2000 3 StR 308/99)
entgegengetreten, der – in nicht tragenden Erwägungen die Ansicht
vertreten hatte, daß eine unerlaubte Einreise nur dann vorliege, wenn der
Ausländer ohne jegliches Visum einreise. Für eine der Frauen, die aus
Litauen stammende K., die ohne Visum einreisen aber nicht arbeiten durfte,
hat das Landgericht einen unerlaubten Aufenthalt bejaht, zu dem der
Angeklagte Hilfe geleistet und damit den Tatbestand des Einschleusens
erfüllt habe.

Der 2. Strafsenat ist der Meinung des 3. Strafsenats beigetreten und hat das
Urteil teilweise aufgehoben. Nach Ansicht des 2. Strafsenats, der bei seiner
Entscheidung das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz,
durch das das Ausländergesetz aufgehoben und durch das Aufenthaltsgesetz
ersetzt worden ist (BGBl 2004 I 1950 ff.), berücksichtigen mußte, sind
Einreise und Aufenthalt eines mit einem Touristenvisum eingereisten
Ausländers auch dann nicht „unerlaubt„, wenn es nicht dem tatsächlichen von
dem Einreisenden von vornherein angestrebten Aufenthaltszweck entspricht.
Auf die materiellrechtliche Richtigkeit der Aufenthaltsgenehmigung kommt
es nicht zwingend an. Bei der Auslegung von Straftatbeständen ist mit
Rücksicht auf das Bestimmtheitsgebot ein eindeutiger, objektiver
Auslegungsmaßstab erforderlich, der nicht von der zufälligen
Nachweisbarkeit der Tatumstände im Einzelfall abhängen darf. Deshalb muß
eine nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften wirksam erteilte
Aufenthaltsgenehmigung im ausländerrechtlichen Strafrecht als wirksam
zugrunde gelegt werden, selbst wenn sie rechtsmißbräuchlich erlangt worden
ist. Etwas anders kann nur dort gelten, wo der Gesetzgeber den durch
Täuschung erschlichenen oder durch Drohung oder Bestechung erlangten
Erlaubnissen durch gesetzliche Regeln die Wirksamkeit abspricht. Diesen Weg
ist der Gesetzgeber im Ausländerrecht bisher nicht gegangen. Diese formale
Betrachtung wird zudem durch die Gesetzesmaterialien des Aufenthaltsgesetzes
bestätigt. In der Begründung zu den Gesetzesentwürfen heißt es dazu, daß
sich die Erforderlichkeit des Aufenthaltstitels nach objektiven Kriterien
und nicht nach dem beabsichtigten Zweck bemißt.

Da die den Ausländerinnen im vorliegenden Fall erteilten

Aufenthaltsgenehmigungen nach den Feststellungen nicht unwirksam waren und
sich die Ausländerinnen damit nicht wegen unerlaubter Einreise bzw.
unerlaubten Aufenthalts strafbar gemacht haben, hat der 2. Strafsenat die
Verurteilung des Angeklagten wegen Einschleusens von Ausländern in drei
Fällen und den Strafausspruch insgesamt aufgehoben und die Sache insoweit zu
neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. In
der neuen Hauptverhandlung wird die Strafkammer allerdings zu klären haben,
ob sich der Angeklagte durch Unterstützen beim Erschleichen der Visa wegen
Einschleusens von Ausländern strafbar gemacht hat. Die Verurteilung des
Angeklagten in drei weiteren Fällen hatte hingegen Bestand, da er in zwei
Fällen den Ausländerinnen bei der Verlängerung ihrer mit falschen Angaben
erlangten Visa bzw. der Litauerin, die nicht über die entsprechende
Erlaubnis verfügte, bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit behilflich war.

Urteil vom 27. April 2005 – 2 StR 457/04

LG Darmstadt – 360 Js 18.982/03 15 KLs

Karlsruhe, den 27. April 2005

Die einschlägigen Vorschriften haben folgenden Wortlaut:

Ausländergesetz:

§ 92 a Einschleusen von Ausländern

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird
bestraft, wer einen anderen zu einer der in § 92 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 6 oder
Abs. 2 bezeichneten Hand-lungen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet und

1. dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen läßt oder
2. wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahre wird bestraft,
wer in den Fällen des Absatzes 1

1. gewerbsmäßig oder

2. als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher
Taten ver-bunden hat, handelt.

(3) – (5) …

§ 92 Strafvorschriften

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe vor bestraft,
wer

1. entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im
Bundesgebiet aufhält und keine Duldung nach § 55 Abs. 1 besitzt,
…

6. entgegen § 58 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist oder
…

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird
bestraft, wer

1. …

2. unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich
oder einen anderen eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen,
oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr
gebraucht.

(2a) – (4) …

§ 3 Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet
einer Aufenthaltsgenehmigung. Das Bundesministerium des Innern sieht zur
Erleichterung des Aufenthalts von Ausländern durch Rechtsverordnung mit
Zustimmung des Bun-desrates Befreiungen vom Erfordernis der
Aufenthaltsgenehmigung vor.

(2) – (5) …

§ 58 Unerlaubte Einreise; Ausnahme-Visum

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er
1. eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht besitzt,
2. einen erforderlichen Paß nicht besitzt oder …

(2) …

Aufenthaltsgesetz:

§ 96 Einschleusen von Ausländern

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird
bestraft, wer einen anderen zu einer der in § 95 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 oder
Abs. 2 bezeichneten Hand-lungen anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet und

1. dafür einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen lässt oder
2. wiederholt oder zu Gunsten von mehreren Ausländern handelt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft,
wer in den Fällen des Absatzes 1

1. gewerbsmäßig handelt,

2. …

(3) – (5) …

§ 95 Strafvorschriften

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft,
wer

1. entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet
aufhält,

2. ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 1 sich im
Bundesgebiet aufhält, vollziehbar ausreisepflichtig ist und dessen

Abschiebung nicht ausgesetzt ist,

3. entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4. einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47
Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,

5. …

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird
bestraft, wer

1. …

2. unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich
oder einen anderen einen Aufenthaltstitel zu beschaffen oder einen so

beschafften Aufenthaltstitel wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr

gebraucht.

(3) –(5) …

§ 3 Passpflicht

(1) Ausländer dürfen nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin
aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz
besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung
befreit sind.

(2) Das Bundesministerium des Innern oder die von ihm bestimmte Stelle kann
in begründeten Einzelfällen vor der Einreise des Ausländers für den
Grenzübertritt und einen anschließenden Aufenthalt von bis zu sechs Monaten
Ausnahmen von der Passpflicht zulassen.

§ 14 Unerlaubte Einreise; Ausnahme-Visum

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er
1. einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,
2. den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt oder …
(2)