Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erstmals mit der
Rechtsfrage zu befassen, ob nicht nur Völkermord, sondern auch
Körperverletzungsdelikte und Freiheitsberaubungen von deutschen Gerichten
abgeurteilt werden können, die von Serben während der sog. ethnischen
Säuberungen in Bosnien-Herzegowina im Jahre 1992 an muslimischen Zivilisten
begangen wurden. Er hat dies im Ergebnis bejaht.
Dem lag ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. November 1999
zugrunde, durch das gegen den Angeklagten, einen bosnischen Serben aus der
Ortsgemeinschaft Osmaci, wegen Beihilfe zum Völkermord in Tateinheit mit
Beihilfe zur Freiheitsberaubung in 56 Fällen und mit gefährlicher
Körperverletzung in fünf Fällen eine Freiheitsstrafe von neun Jahren
verhängt worden ist.
Nach den Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte an einer in seinem
Heimatort Osmaci und dessen Umgebung am 27. und 28. Mai 1992 durchgeführten
militärischen serbischen Aktion gegen die dort lebende muslimische
Bevölkerung, die darauf gerichtet war, diese systematisch zu vertreiben
oder zu eliminieren. Dabei wurden die Häuser der Muslime durchsucht und
geplündert, die Frauen und Kinder überwiegend verschleppt und an der Grenze
ausgesetzt, die männlichen muslimischen Bewohner körperlich schwer
mißhandelt oder getötet und die Mehrzahl der Männer festgenommen und in
Gefangenenlager abtransportiert. Diese Aktion in Osmaci war Teil der von
der politischen Führung der bosnischen Serben betriebenen
Aggressionspolitik zur ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung der von den
Serben in Bosnien-Herzegowina beanspruchten Gebiete. Zu diesem Zweck gingen
ab April 1992 die von der jugoslawischen Volksarmee (JNA) unterstützte
bosnisch-serbische Armee und paramilitärische Gruppen in Abstimmung mit der
politischen und militärischen Führung der bosnischen Serben etwa
gleichzeitig in verschiedenen Orten an der Nord- und Ostgrenze Bosniens
gegen die dort lebende muslimische Bevölkerung vor. Der Angeklagte, der
diese Ziele kannte und billigte, beteiligte sich an der Militäraktion zur
Verhaftung und Vertreibung der muslimischen Bevölkerung in Osmaci in der
Weise, daß er die Verladung und den Abtransport der Bewohner eines Dorfes
persönlich überwachte, eigenhändig und unter Mitwirkung weiterer Serben
muslimische Männer verfolgte, festnahm und den Führern des bosnischen
Militärs übergab und fünf Gefangene selbst körperlich auf das Schwerste
mißhandelte. Außerdem gehörte er zu dem Bewachungspersonal des Gebäudes, in
dem die Gefangenen über Nacht festgehalten und verhört wurden und
schwersten körperlichen Mißhandlungen ausgesetzt waren. Von dort wurden
sie, soweit sie nicht zur Exekution ausgesondert worden waren, mit Bussen
in Internierungslager transportiert. Den Abtransport von 56 namentlich
festgestellten Männern überwachte der Angeklagte persönlich zusammen mit
anderen Serben und achtete darauf, daß keiner der Muslime dem von Serben
gebildeten Spalier entschlüpfen konnte, durch das die Gefangenen unter
Schlägen und Tritten zu den zum Abtransport bereitstehenden Bussen
getrieben wurden.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten
verworfen, weil das Oberlandesgericht, auch soweit es den Angeklagten neben
Beihilfe zum Völkermord wegen Beihilfe zur Freiheitsberaubung und
täterschaftlicher Körperverletzung zum Nachteil einzelner muslimischer
Zivilisten verurteilt hat, zu Recht von der Zuständigkeit der deutschen
Gerichte ausgegangen ist. Diese Straftatbestände schützen die
Individualrechtsgüter körperliche Integrität und Freiheit der einzelnen
Tatopfer und werden deshalb vom Tatbestand des Völkermordes des § 220 a
StGB nicht erfaßt. Dieser dient nicht dem Schutz der Rechtsgüter des
einzelnen Menschen, sondern ist auf den Schutz religiöser, nationaler,
rassischer oder durch ihr Volkstum bestimmter Gruppen als solcher vor
völliger oder wenigstens teilweiser Zerstörung gerichtet. Der deutschen
Gerichtsbarkeit ist der Zugriff auf die vom Angeklagten begangenen
Körperverletzungs- und Freiheitsberaubungsdelikte aber deshalb gestattet,
weil sie gegen Vorschriften der IV. Genfer Konvention vom 12. August 1949
zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten verstoßen. Diese Konvention
verbietet neben der vorsätzlichen Tötung u.a. die Folterung oder
unmenschliche Behandlung von Zivilpersonen ebenso wie rechtswidrige
Verschleppung oder Gefangenhaltung und verpflichtet die Vertragsstaaten –
zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland, Restjugoslawien und
Bosnien-Herzegowina gehören – entsprechende Verstöße strafrechtlich zu
verfolgen, jedenfalls wenn sie im Rahmen eines internationalen Konflikts
begangen wurden. Diese Verpflichtung gilt nach dem Weltrechtsprinzip des §
6 Nr. 9 StGB für die Bundesrepublik Deutschland für die Verfolgung von
Straftaten, die Ausländer im Ausland an Ausländern begangen haben, wenn im
übrigen die Voraussetzungen der IV. Genfer Konvention erfüllt sind. Dies
hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei angenommen und insbesondere auch
die schweren körperlichen Mißhandlungen von fünf muslimischen Männern durch
den Angeklagten als schwere Verstöße gegen die Konvention gewertet, da sie
unter den Begriff der Folter fallen, zumindest aber die Voraussetzungen
einer unmenschlichen Behandlung erfüllen.
Die weitere Rechtsfrage, ob es bei einer auf Völkervertrag beruhenden
Verfolgungspflicht der Bundesrepublik Deutschland noch auf einen
zusätzlichen “Inlandsbezug” in der Person des Angeklagten oder der
Straftaten ankommt, hat der Bundesgerichtshof offengelassen. Das
Oberlandesgericht hat solche, die Ausübung der deutschen
Strafgerichtsbarkeit legitimierenden zusätzlichen Anknüpfungspunkte noch
für erforderlich gehalten, es hat sie rechtsfehlerfrei in dem langjährigen
Aufenthalt des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland und dem
Umstand gesehen, daß er noch vor seiner Verhaftung 1996 in Deutschland
arbeitslos gemeldet war und eine Rente bezog.
Urteil vom 21. Februar 2001 – 3 StR 372/00
Karlsruhe, den 21. Februar 2001