Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat eine Entscheidung des
Landgerichts Wiesbaden, mit der es die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung gegen einen bereits früher rechtskräftig verurteilten
Sexualstraftäter abgelehnt hatte, auf die Revision der Staatsanwaltschaft
aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Verurteilte war 1997 wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in acht
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden,
ohne daß damals zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet worden war. Die
Haftstrafe hat der Verurteilte bis Anfang Dezember 2004 vollständig verbüßt.
Danach wurde er aus der Haft entlassen. Bereits zuvor hatte die
Staatsanwaltschaft im September 2004 beantragt, nachträglich die
Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Diese
Möglichkeit ist durch § 66 b StGB geschaffen worden, eine Norm, die durch
das im Juli 2004 in Kraft getretenen Gesetz zur Einführung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung eingefügt wurde. Nach dieser Vorschrift
kann unter engen Voraussetzungen auch noch nachträglich die
Sicherungsverwahrung bereits früher rechtskräftig verurteilter Straftäter
angeordnet werden (vgl. auch Pressemitteilung Nr. 73 vom 11. Mai 2005). Das
Landgericht hat den darauf gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft im
November 2004 ohne Hauptverhandlung zurückgewiesen.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat zunächst festgestellt, daß die
vollständige Verbüßung der Strafe und die Haftentlassung des Verurteilten
der Fortsetzung des Verfahrens nicht entgegenstehen. Vielmehr genügt es, daß
dem Verurteilten vor dem Ende des Strafvollzugs mitgeteilt wird, daß die
Staatsanwaltschaft prüft, ob die nachträgliche Sicherungsverwahrung in
Betracht kommt, und daß der Antrag der Staatsanwaltschaft vor der
Vollverbüßung gestellt wird. Hierdurch wird im Hinblick auf den allgemeinen
Vertrauensschutz zweierlei sichergestellt: Zum einen erfährt der Verurteilte
noch während des Strafvollzugs, daß er mit der Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung rechnen muß. Zum anderen wird ausgeschlossen, daß der
Verurteilte ohne zeitliche Begrenzung auch nach der Haftentlassung mit einer
Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechnen muß. Durch diese
Auslegung wird aber auch dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung
getragen, indem auch solche für die Gefährlichkeitsprognose wichtigen
Tatsachen, die erst kurz vor Vollzugsende erkennbar werden, in der
Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Maßregel noch
berücksichtigt werden können.
Die Entscheidung des Landgerichts konnte aber schon deshalb keinen Bestand
haben, weil sie auf einem Verfahrensfehler beruht. Das Landgericht hat
seine ablehnende Entscheidung unter Verstoß gegen § 275 a StPO nicht durch
Urteil, sondern ohne Hauptverhandlung durch Beschluß getroffen.
Urteil vom 1. Juli 2005 – 2 StR 9/05
Landgericht Wiesbaden – 2231 Js 15462/95 1. Strafkammer
Karlsruhe, den 1. Juli 2005