Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem “Zinsurteil” von 1991
festgestellt, dass bei der Besteuerung von Zinseinkünften seit dem
Veranlagungszeitraum 1981 ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand und
den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 1. Januar 1993 durch hinreichende
gesetzliche Vorkehrungen die Besteuerungsgleichheit zu gewährleisten.
Um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, hat
der Gesetzgeber 1992 das Zinsabschlaggesetz erlassen. Es folgten
weitere gesetzliche Änderungen mit Auswirkungen auf die Zinsbesteuerung
durch das Steuerentlastungsgesetz von 1999, das unter anderem zur
Erweiterung der Mitteilungspflicht und zum Wegfall der
Verwendungsbeschränkung für die mitgeteilten Daten führte, und durch
das Steueränderungsgesetz 2003, das die Jahressteuerbescheinigung
einführte.
Mit dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit von 2003 wollte der
Gesetzgeber einen Anreiz für steuerunehrliche Steuerpflichtige
schaffen, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Gleichzeitig
wollten die Überprüfungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung maßvoll
verbessert werden, um Steuerhinterziehung in der Zukunft zu erschweren.
Dem verbesserten Gesetzesvollzug dienten die Regelungen des
Strafbefreiungserklärungsgesetzes, das am 30. Dezember 2003 in Kraft
trat. Durch die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung und Entrichtung
einer pauschalen, als Einkommensteuer geltenden Abgabe konnte
Strafbefreiung für die in den Veranlagungszeiträumen 1993 bis 2002
erzielten Einnahmen, die zu Unrecht nicht der Besteuerung zugrunde
gelegt worden waren, erlangt werden. Die derart nacherklärten
Einnahmen wurden zur pauschalen Abgeltung aller denkbaren Abzüge
lediglich in Höhe von 60% der Abgabe unterworfen. Unmittelbar nach dem
Auslaufen der Regelungen des Strafbefreiungserklärungsgesetzes trat am
1. April 2005 das neu geschaffene Kontenabrufverfahren in Kraft. Durch
die enge Verzahnung der Regelungen des
Strafbefreiungserklärungsgesetzes mit dem Kontenabrufverfahren sollte
die Steuerehrlichkeit nachhaltig gefördert werden.
Das vorlegende Finanzgericht ist der Auffassung, dass die Besteuerung
von Zinseinkünften für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2002 aufgrund
eines nach wie vor bestehenden strukturellen Vollzugsdefizits gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz verstoße. Darüber hinaus führe das
Strafbefreiungserklärungsgesetz zu einer verfassungsrechtlich nicht zu
rechtfertigenden gleichheitswidrigen Begünstigung steuerunehrlicher
Steuerpflichtiger gegenüber steuerehrlichen Steuerpflichtigen, da
diesen die steuerlichen Begünstigungen nach dem
Strafbefreiungserklärungsgesetz vorenthalten würden.
Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Vorlage für unzulässig erklärt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Das vorlegende Finanzgericht setzt sich mit der Frage, ob hinsichtlich
der Besteuerung von Zinseinkünften für die Veranlagungszeiträume 2000
bis 2002 ein strukturelles Vollzugsdefizit bestand, nicht hinreichend
auseinander. Insbesondere geht das Gericht nicht ausreichend darauf
ein, ob die im Anschluss an das “Zinsurteil” in Kraft getretenen
Gesetzesänderungen in ihrem Zusammenwirken gegenüber den Vorjahren
erhebliche Verbesserungen der Vollzugsbedingungen herbeigeführt haben.
Soweit die Vorlage das Strafbefreiungserklärungsgesetz betrifft, setzt
sich das Finanzgericht nicht mit der Frage auseinander, ob eine
relative Schlechterstellung steuerehrlicher Steuerpflichtiger gegenüber
der Begünstigung steuerunehrlicher Steuerpflichtiger durch das
Strafbefreiungserklärungsgesetz verfassungsrechtlich gerechtfertigt
sein könnte. Es verkennt, dass das Strafbefreiungserklärungsgesetz
nicht das Ziel hatte, die Steuerhinterziehung zu belohnen; es sollte
vielmehr einen Anreiz für eine freiwillige Rückkehr in die
Steuerehrlichkeit setzen. Unerörtert bleibt in diesem Zusammenhang die
Frage, inwieweit durch das Strafbefreiungserklärungsgesetz die
tatsächliche Erhebungssituation bei den Zinseinkünften auch positiv
beeinflusst worden sein könnte. Hinsichtlich der bezweifelten Eignung
einer Steueramnestie zur Förderung der Steuerehrlichkeit hätte das
Finanzgericht zumindest dazu näher Stellung nehmen müssen, dass der
Gesetzgeber durch die enge Verzahnung des
Strafbefreiungserklärungsgesetzes mit dem neu geschaffenen
Kontenabrufverfahren bewusst eine Regelung geschaffen hat, die
Steuerverkürzungen in der Zukunft erschweren und die Steuerehrlichkeit
nachhaltig fördern sollte.
Pressemitteilung Nr. 46/2008 vom 3. April 2008
Beschluss vom 25. Februar 2008 – 2 BvL 14/05 –