BVerfG: Tarifbegrenzung für gewerbliche Einkünfte bei der Einkommensteuer verfassungsgemäß

Die von 1994 bis 2000 geltende Kappung des Einkommensteuertarifs (§ 32c Einkommensteuergesetz)
bei dort näher bestimmten gewerblichen Einkünften war mit dem allgemeinen Gleichheitssatz
vereinbar. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts auf eine Vorlage
des Bundesfinanzhofs hin.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

Mit dem Standortsicherungsgesetz vom 13. September 1993 führte der Gesetzgeber mit
§ 32c EStG eine besondere Tarifermäßigung für dort näher bestimmte gewerbliche Einkünfte ein,
nach der der Spitzensteuersatz für die begünstigten Einkünfte 47 v.H. betrug, der Steuersatz also
ab einem zu versteuernden Einkommen von 100.278 DM (Grundtarif) bzw. 200.556 DM (Splittling-
Tarif) bei 47 v.H. stehen blieb. Für die anderen vom Einkommensteuergesetz erfassten Einkunftsarten
steigt demgegenüber die Progression bis zu einem Spitzensteuersatz von 53 v.H. an.
In den Bemessungsbetrag der begünstigten Gewinne (§ 32c Abs. 2 EStG) fließen gewerbliche
Einkünfte – die eine natürliche Person als Einzelunternehmer oder als Mitunternehmer einer Personengesellschaft
erzielt – auch dann ein, wenn die Gewinne entnommen werden. Dagegen wird
die Begünstigung nicht für Gewinne gewährt, die ein Anteilseigner aufgrund einer Gewinnausschüttung
von einer Kapitalgesellschaft erhält, an der er zumindest mit 10 v.H. beteiligt ist.
Mit dem Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 wurde § 32c EStG seit 2001 durch die
Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG ersetzt.

Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind Eheleute, die für das Streitjahr 1994 zur Einkommensteuer
zusammen veranlagt wurden. Der Ehemann ist Alleingesellschafter einer GmbH, der er
seinen Gewerbebetrieb verpachtet hat. Im Jahr 1994 erzielte er aus der Verpachtung einen Gewinn in Höhe von 95.982, 96 DM. Außerdem schüttete die GmbH an den Kläger 2.247.935 DM
aus, wofür die GmbH ihm anrechenbare Körperschaftsteuer in Höhe von 963.400, 71 DM bescheinigte.
Die Summe dieser Beträge – 3.307.318 DM – erklärten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung
1994 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und beanspruchten die Anwendung
der Tarifermäßigung nach § 32c EStG.

Das Finanzamt ging davon aus, dass die Gewinnausschüttungen der GmbH sowie die Körperschaftsteueranrechnung
wegen der Rückausnahme in § 32c Abs. 2 EStG nicht tarifbegünstigt
seien. Vielmehr habe der Kläger allein durch die Verpachtung des Betriebes gewerbliche Einkünfte
i.S.d. § 32c Abs. 2 EStG i.H.v. 95.983 DM erzielt, die aber wegen der Mindestgrenze in
§ 32c EStG noch nicht begünstigt seien. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht
ab. Der Bundesfinanzhof setzte das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die
Frage vor, ob die von 1994 bis 2000 geltende Kappung des Einkommensteuertarifs bei dort näher
bestimmten gewerblichen Einkünften mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sei.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. § 32c EStG war mit dem Gleichheitssatz insoweit vereinbar, als er die Tarifbegrenzung nach
Maßgabe des § 32c Abs. 2 EStG nur für gewerbliche Einkünfte gewährt, die beim Bezieher
zugleich der Gewerbesteuer unterlegen haben (erste Vorlagefrage).
1. Die Ungleichbehandlung der durch die Tarifbegrenzung entlasteten Steuerpflichtigen im
Verhältnis zu den Beziehern nicht gewerblicher Einkünfte findet ihre Rechtfertigung in
dem Anliegen, Zusatzbelastungen durch die Gewerbesteuer zu kompensieren. Einkommen-
und Gewerbesteuer knüpfen gleichermaßen an das ertragswirksame Betreiben eines
Gewerbebetriebs an; damit wird ein und derselbe wirtschaftliche Lebenssachverhalt
durch zwei Steuern – doppelt – belastet. Angesichts der faktischen Belastungskumulation
ist es dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht versagt, die Gewerbesteuerbelastung
bei der Einkommensteuer – über den Betriebsausgabenabzug hinaus – steuermindernd zu
berücksichtigen.

Soweit es durch § 32c EStG aufgrund eines besonders niedrigen Gewerbesteuerhebesatzes
einer Gemeinde zu einer Überkompensation des gewerbesteuerlichen Belastungsnachteils
kommt, also die Minderung der einkommensteuerlichen Zahllast größer ist als
die zugleich durch die Gewerbesteuer begründete Zahllast, profitierten davon nur äußerst wenige Gewerbetreibende, da eine erkennbare Überkompensation erst bei einem Hebesatz
von unter 200 v.H. eintreten konnte. Der bundesdurchschnittliche Hebesatz in Gemeinden
mit mehr als 50.000 Einwohnern bewegte sich während der Geltung des § 32c
EStG bei etwa 400 v.H. Vor diesem Hintergrund ist die Ungleichbehandlung aufgrund
der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers hinzunehmen.

2. Als ergänzender Rechtfertigungsgrund treten wirtschaftspolitische Förderungs- und Lenkungsziele
hinzu, die den Typisierungsspielraum des Gesetzgebers erweitern. Bei den
Regelungen des Standortsicherungsgesetzes ging es insgesamt darum, die Position des
Wirtschaftsstandorts Deutschland im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Es erscheint
im internationalen Vergleich zumindest plausibel, dass gerade bei einem hohen
einkommensteuerlichen Spitzensteuersatz und hinzutretender Gewerbesteuerbelastung
die Wahl alternativer Standorte nahe liegt. Daher ist die Senkung des Spitzensteuersatzes
für die gewerblichen Einkünfte ein Instrument, das sich national wie vor allem auch international
schnell und in leicht verständlicher Sprache als Reduzierung der „Unternehmensbesteuerung„
mitteilen lässt.

II. Auch der Ausschluss der Tarifbegrenzung für gewerbliche Einkünfte insoweit, als deren Anteil
am zu versteuernden Einkommen unterhalb des die Entlastung auslösenden Grenzbetrags
liegt, ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar (dritte Vorlagefrage).
Obwohl auch die Bezieher gewerblicher Einkünfte unterhalb der Kappungsgrenze mit der
Gewerbesteuer belastet sind, wird nur die Gruppe der Bezieher höherer Einkünfte entlastet.
Diese Ungleichbehandlung ist mit dem gesetzgeberischen Ziel zu rechtfertigen, die Position
des Wirtschaftsstandorts Deutschland im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Die Förderungs-
und Lenkungsziele haben hinreichendes Gewicht, um die (vorläufige) Vernachlässigung
einer Kompensation in dieser zweiten Vergleichsgruppe zu rechtfertigen. Insoweit ist
hervorzuheben, dass der Gesetzgeber innerhalb seines Gestaltungsspielraums bei der wirtschaftspolitischen
Diagnose, Prognose und Instrumentenwahl von einem dringenden Handlungsbedarf
ausgehen und sich für den Einsatz einer auch international leicht erkennbaren Belastungsminderung
entscheiden durfte. In den Gesetzesbegründungen wurde dementsprechend
wiederholt der bloß vorläufige Charakter des § 32c EStG als Übergangsregelung bis zu
einer weitergehenden Unternehmens- und insbesondere Gewerbesteuerreform hervorgehoben.
III. Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz, dass ausgeschütteten Gewinnen von Kapitalgesellschaften
die Tarifbegrenzung versagt wird, obwohl diese Gewinne bei der Körperschaft
der Gewerbesteuer unterlegen haben (zweite Vorlagefrage).

§ 32c EStG benachteiligt ausgeschüttete Gewinne von Kapitalgesellschaften gegenüber entnommenen
Gewinnen von Personengesellschaften. Sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung
ist die Abschirmung der Vermögenssphäre einer Kapitalgesellschaft gegenüber ihren
Anteilseignern. Diese Abschirmung bewirkt, dass in der abgeschirmten Vermögenssphäre
eine eigenständige und objektive Leistungsfähigkeit entsteht, die von der individuellen und
subjektiven Leistungsfähigkeit der hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Personen getrennt
und unabhängig von ihr besteuert werden darf. Das Steuerrecht nimmt damit bei der Bestimmung
verschiedener Zurechnungssubjekte steuerlicher Leistungsfähigkeit verfassungsrechtlich
bedenkenfrei die zivilrechtliche Grundentscheidung auf, nach der bei Personengesellschaften
das Gesellschaftsvermögen den Gesellschaftern zugerechnet wird, während das
Vermögen der Kapitalgesellschaften gegenüber dem Vermögen ihrer Gesellschafter grundsätzlich
selbständig ist.

Nr. 65/2006 vom 13. Juli 2006

Beschluss vom 21. Juni 2006

2 BvL 2/99