Bis zum Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes vom 25. Juli 1988
beurteilte sich die Frage, ob und in welcher Weise der Arbeitgeber
Zuwendungen für Dienstjubiläen seiner Arbeitnehmer und vergleichbare
Gratifikationen in der Form von bilanziellen Rückstellungen bereits vor
ihrer Auszahlung gewinnmindernd berücksichtigen kann, nach den allgemein
für Rückstellungen geltenden Regeln. Die Frage der Zulässigkeit von
Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen hat der Bundesfinanzhof seit
1960 unterschiedlich beurteilt. In einem Grundsatzurteil im Jahr 1987
entschied er, dass – anders als nach früheren Entscheidungen und
abweichend von der Verwaltungspraxis, die solche Rückstellungen im
Regelfall nicht anerkannt hatte – Rückstellungen für
Jubiläumszuwendungen regelmäßig nicht nur gebildet werden durften,
sondern auch gebildet werden mussten. Im Anschluss daran ordnete das
Bundesministerium der Finanzen mit Erlass vom 28. Dezember 1987 an, dass
es im Hinblick auf eine mögliche Gesetzesänderung nicht zu beanstanden
sei, wenn entgegen der derzeitigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
in der Steuerbilanz eine Jubiläumsrückstellung nicht oder nicht in
voller Höhe ausgewiesen werde, es sei denn, die Zusage sei
rechtsverbindlich in schriftlicher Form erteilt und dem Berechtigten
stehe für jeden Fall der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses
mindestens ein entsprechender Teil der Zuwendung zu. Mit dem
Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 fügte der Gesetzgeber dann
zwei spezielle Normen in das Einkommensteuergesetz ein, die die Bildung
der Jubiläumsrückstellungen in sachlicher (§ 5 Abs. 4 EStG) und
zeitlicher (§ 52 Abs. 6 EStG) Hinsicht begrenzten. Nach § 52 Abs. 6 EStG
(a.F.) galt für die Jahre 1988 bis 1992 ein Rückstellungsverbot und für
bereits zuvor gebildete Rückstellungen ein Gebot, diese innerhalb von
drei Jahren gewinnerhöhend aufzulösen. Wesentlicher Hintergrund für
diese dem Bundesverfassungsgericht vorgelegte Bestimmung war die
Befürchtung, es werde ohne die Neuregelung infolge der Möglichkeit,
Rückstellungen für in der Vergangenheit erteilte Zusagen im Anschluss an
die neue Rechtsprechung nachzuholen, zu erheblichen Steuerausfällen,
möglicherweise bis zu 5 Milliarden DM, kommen.
Im Ausgangsverfahren begehren die als Eheleute zusammen zur
Einkommen¬steuer veranlagten Kläger die Anerkennung einer den Gewinn aus
Gewerbebetrieb mindernden Rückstellung für eine Jubiläumszusage für das
Streitjahr 1988. Der Kläger hatte den Arbeitnehmern seines
Dienstleistungsunternehmens eine solche Zusage im Jahr 1981 durch
Aushang am Schwarzen Brett bekanntgemacht. Das Finanzamt ließ im
Einkommensteuerbescheid 1988 auf der Grundlage des § 52 Abs. 6 EStG in
der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 eine Zuführung zur
Rückstellung per 31. Dezember 1988 nicht zu und löste die bereits in den
Vorjahren gebildete Rückstellung in Höhe eines Drittels auf. Die dagegen
gerichtete Sprungklage wies das Finanzgericht als unbegründet ab. Im
Revisionsverfahren legte der X. Senat des Bundesfinanzhofs dem
Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vor, ob § 52 Abs. 6 Satz
1 und Satz 2 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 mit dem
Rückstellungsverbot für die Jahre 1988 bis 1992 und dem Auflösungsgebot
für vorangehend gebildete Jubiläumsrückstellungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG
verstieß.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zu dem Ergebnis, dass
die in § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der
bis einschließlich 1998 gültigen Fassung des Steuerreformgesetzes 1990
vom 25. Juli 1988 mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG
vereinbar war. Danach weicht die Regelung zwar von dem allgemeinen
Grundsatz ab, dass für die steuerliche Gewinnermittlung das
handelsrechtliche Vorsichtsprinzip maßgeblich ist, jedoch unterliegt
diese Abweichung jedenfalls bei Rückstellungen für ungewisse
Verbindlichkeiten lediglich den verfassungsgerichtlich zurückhaltend zu
kontrollierenden Anforderungen des Willkürverbots. In sachlicher
Hinsicht bewegt sich die Regelung willkürfrei innerhalb eines weiten
gesetzlichen Gestaltungsspielraums, auch in zeitlicher Hinsicht fehlen
Anhaltspunkte für verfassungswidrige Ungleichbehandlungen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
Eine steuergesetzliche Abweichung von der Maßgeblichkeit des
handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips auch für die steuerrechtliche
Gewinnermittlung verletzt nur dann das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende
Gebot folgerichtiger Ausgestaltung steuergesetzlicher
Belastungsentscheidungen, wenn sich kein sachlicher Grund für diese
Abweichung finden lässt, die einfachgesetzliche „Ausnahmevorschrift“
also als willkürlich zu bewerten ist.
Das gleichheitsrechtliche Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt die
Befugnis des (Steuer-) Gesetzgebers, die zentralen Fragen gerechter
Belastungsverteilung weitgehend ungebunden zu entscheiden. Das
Verfassungsrecht, namentlich die Grundrechte der Steuerpflichtigen,
bilden hier lediglich einen allgemeinen Rahmen für die weitgehende
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Bei der Ausgestaltung seiner
Verteilungsentscheidungen binden jedoch die verfassungsrechtlichen
Anforderungen an Folgerichtigkeit und Verhältnismäßigkeit die Ausübung
der gesetzgeberischen Freiheit an ein hinreichendes Maß an Rationalität
und Abgewogenheit. Soweit darüber hinaus „überzeugende“ dogmatische
Strukturen durch eine systematisch konsequente und praktikable
Tatbestandsausgestaltung entwickelt werden müssen, bleibt dies der
Gesetzgebung und der Fachgerichtsbarkeit überlassen. Es ist nicht
Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die „Richtigkeit“ von Lösungen
komplexer dogmatischer Streitfragen, wie sie für manche Bereiche des
Steuerbilanzrechts und jedenfalls für den Bereich der Rückstellungen
typisch sind, zu kontrollieren und zu gewährleisten.
Zu den nicht ohne weiteres verfassungsrechtlich erheblichen
Einzelregelungen bei der Ausgestaltung von Steuertatbeständen gehören
Entscheidungen des Steuergesetzgebers zur Begrenzung des Grundsatzes der
Maßgeblichkeit und zur Bildung von Rückstellungen für ungewisse
Verbindlichkeiten nach dem handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip.
Die zeitlich begrenzte Aufrechterhaltung der bis zur Fortentwicklung der
Rechtsprechung durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1987
– IV R 81/84 – (BFHE 149, 55) geübte langjährige höchstrichterlich
angeleitete Gesetzesanwendungspraxis war weder in sachlicher noch in
zeitlicher Hinsicht willkürlich. Der Gesetzgeber hat mit dem Verbot,
Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen in den Jahren 1988 – 1992 zu
bilden, und dem Gebot, bereits gebildete Rückstellungen zeitlich über
drei Jahre gestreckt von 1988 bis 1990 aufzulösen, die jahrzehntelange,
auf der älteren höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung beruhende
Verwaltungspraxis für weitere fünf Jahre fortgeführt. Unabhängig davon,
ob die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vor allem mit dem
Urteil im Jahr 1987 als ein deutlicher Gewinn an systematischer Klarheit
und Konsistenz zu begrüßen ist, verbietet sich die Annahme, die Gründe
jener älteren Rechtsprechung für die Unzulässigkeit von
Jubiläumsrückstellungen seien willkürlich im verfassungsrechtlichen
Sinn.
Angesichts einer höchstrichterlich begründeten, willkürfreien
langjährigen Praxis der Gesetzesanwendung bewegte sich die Reaktion des
Gesetzgebers auf die Hinwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
zur grundsätzlichen Anerkennung von Jubiläumsrückstellungen im Jahr
1987, als deren Folge erhebliche Einnahmenausfälle zu erwarten waren,
innerhalb seines weiten Gestaltungsspielraums. Er durfte nicht zuletzt
auch zum Schutz fiskalischer Interessen die alte Rechtspraxis durch ein
befristetes Rückstellungsverbot und ein begleitendes Auflösungsgebot
zunächst – bis zum Geltungsbeginn einer grundsätzlichen gesetzlichen
Neugestaltung der Rechtslage – aufrechterhalten.
Auch in zeitlicher Hinsicht führt die gestufte gesetzgeberische Reaktion
auf die Änderung der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung nicht zu
einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1
GG. Dieselben Gründe, die es ausschließen, eine willkürliche inhaltliche
Widersprüchlichkeit aus der zeitlichen Abfolge der gestuften
gesetzgeberischen Reaktion auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs
abzuleiten, schließen auch die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs.
1 GG in zeitlicher Hinsicht aus. Der Beginn des Rückstellungsverbots und
des Auflösungsgebots im Jahr 1988 war die unmittelbare Reaktion auf die
Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Jahr 1987, und das Ende des Verbots
zum Zeitpunkt des Anwendungsbeginns der Neuregelung ab dem Jahr 1993
entsprach den Interessen an einer haushaltsschonenden Bewältigung der
Rechtslage. Dieses fiskalische Interesse an der befristeten
Aufrechterhaltung einer willkürfreien „alten“ Rechtslage verbunden mit
dem Ziel, eine einheitliche, gleichheitsstiftende Ausgangslage für die
Neuregelung zu schaffen, liefert hinreichende sachliche Gründe für die
damit verbundenen Ungleichbehandlungen in der Zeit.
Die zur Überprüfung gestellte Regelung des § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2
EStG a.F. enthielt keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung,
die das Prinzip des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes aus Art. 2 Abs.
1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Vertrauensschutz konnte
weder durch die zunächst uneinheitliche Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs entstehen noch dadurch, dass eine
Rechtsprechungsänderung aufgrund erheblicher Änderungen der
tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen offensichtlich geboten
und erwartbar gewesen wäre. Auch die Zeit zwischen der Veröffentlichung
des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1987 und dem am 25. Juli
1988 verabschiedeten und am 3. August 1988 in Kraft getretenen
Steuerreformgesetz 1990 begründet keinen Vertrauensschutz, da bei
objektiver Betrachtung nicht mit dem Fortbestand der nunmehr vom
Bundesfinanzhof klargestellten Rechtslage gerechnet werden konnte.
Pressemitteilung Nr. 58/2009 vom 9. Juni 2009
Beschluss vom 12. Mai 2009 – 2 BvL 1/00 –