BVerfG: Gewerbesteuerfreiheit von Selbständigen und Landwirten und Abfärberegelung verfassungsgemäß

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte aufgrund einer
Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts über zwei Fragen im
Zusammenhang mit der Gewerbesteuer zu entscheiden und kam zu folgendem
Ergebnis:

Es ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar, dass die Einkünfte der freien
Berufe, der sonstigen Selbständigen und der Land- und Forstwirte nicht
der Gewerbesteuer unterliegen.

Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz, dass nach § 15 Abs. 3
Nr. 1 Einkommensteuergesetz (“Abfärberegelung”) die gesamten Einkünfte
einer Personengesellschaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten und
damit der Gewerbesteuer unterliegen, wenn die Gesellschaft auch nur
teilweise eine gewerbliche Tätigkeit ausübt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

§I. Der Gesetzgeber hat bei der Entscheidung darüber, ob die freien
§§§ Berufe, sonstigen Selbständigen und die Land- und Forstwirte
§§§ zusammen mit den übrigen Gewerbetreibenden zur Gewerbesteuer
§§§ herangezogen werden sollen, den ihm zustehenden Gestaltungs- und
§§§ Einschätzungsspielraum nicht überschritten. Es gibt nach wie vor
§§§ hinreichend tragfähige Gründe für eine Differenzierung.

§§§ 1. Die Nichteinbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer
§§§§§§ spiegelt eine mittlerweile über 70 Jahre währende
§§§§§§ Rechtstradition wider. An dieser über einen so langen Zeitraum
§§§§§§ tradierten Differenzierung zwischen Gewerbetreibenden und freien
§§§§§§ Berufen darf der Gesetzgeber so lange festhalten, bis offen
§§§§§§ zutage tritt, dass im Hinblick auf den Steuergegenstand und die
§§§§§§ wesentlichen Besteuerungsmerkmale keine tragfähigen Unterschiede
§§§§§§ mehr zwischen diesen Berufsgruppen bestehen. Dies ist indes
§§§§§§ nicht der Fall. Die im Regelfall akademische oder vergleichbare
§§§§§§ besondere berufliche Qualifikation oder schöpferische Begabung
§§§§§§ als Voraussetzung für die Erlernung und Ausübung eines freien
§§§§§§ Berufs, die besondere Bedeutung der persönlichen,
§§§§§§ eigenverantwortlichen und fachlich unabhängigen Erbringung der
§§§§§§ Arbeit, verbunden mit einem häufig höchstpersönlichen
§§§§§§ Vertrauensverhältnis zum Auftraggeber, aber auch die spezifische
§§§§§§ staatliche, vielfach auch berufsautonome Reglementierung
§§§§§§ zahlreicher freier Berufe insbesondere im Hinblick auf
§§§§§§ berufliche Pflichten und Honorarbedingungen lassen bei der
§§§§§§ gebotenen typisierenden Betrachtung auch heute noch signifikante
§§§§§§ Unterschiede zwischen freien Berufen und Gewerbetreibenden
§§§§§§ erkennen.

§§§§§§ Diese Unterschiede stehen in einem sachlichen Bezug zu der
§§§§§§ traditionellen Rechtfertigung der Gewerbesteuer aus dem
§§§§§§ Äquivalenzprinzip. Danach erweist sich die Herausnahme der
§§§§§§ freien Berufe aus der Gewerbesteuer nicht als willkürlich. Der
§§§§§§ Gedanke, dass die Gewerbesteuer einen pauschalen Ausgleich für
§§§§§§ die besonderen Infrastrukturlasten bietet, die durch die
§§§§§§ Ansiedlung von Gewerbebetrieben verursacht werden, hat nach wie
§§§§§§ vor Bestand. Die Annahme, dass die freien Berufe typischerweise
§§§§§§ in geringerem Umfang In-frastrukturlasten der Gemeinden
§§§§§§ verursachen als die Gewerbetreibenden, liegt nahe. Die
§§§§§§ Annäherungen im Berufsbild einer Reihe von freien Berufen auf
§§§§§§ der einen und von Gewerbetreibenden auf der anderen Seite ändern
§§§§§§ nichts an der Berechtigung zur typisierenden Einordnung der
§§§§§§ freien Berufe als im Regelfall weniger personal- und
§§§§§§ produktionsmittelintensiv. Die auf dieser Annahme beruhende
§§§§§§ Differenzierung rechtfertigt sich vor allem auch vor dem
§§§§§§ Hintergrund, dass die Freibeträge für die Gewerbeertrag- und bis
§§§§§§ 1993 für die Gewerbekapitalsteuer mehrfach erhöht worden sind.
§§§§§§ Dies hat dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren nur noch
§§§§§§ etwa 30% der Gewerbetreibenden tatsächlich mit Gewerbesteuer
§§§§§§ belastet wurden. Steuerpflichtig sind danach nicht die kleineren
§§§§§§ Gewerbebetriebe, die hinsichtlich der Beanspruchung von
§§§§§§ Infrastrukturleistungen am ehesten mit den freien Berufen
§§§§§§ vergleichbar sind, sondern die ertragsstarken und damit
§§§§§§ regelmäßig die mittleren und größeren Gewerbebetriebe mit einer
§§§§§§ typischerweise höheren Verursachung von Infrastrukturlasten.
§§§§§
§§§ 2. Die Land- und Forstwirte unterscheiden sich von den
§§§§§§ Gewerbetreibenden wesentlich durch das in der
§§§§§§ Flächengebundenheit ihrer Betriebe zum Ausdruck kommende
§§§§§§ besondere Gewicht des Produktionsfaktors Boden und die
§§§§§§ Abhängigkeit ihres Wirtschaftserfolges von den
§§§§§§ Wetterbedingungen. Außerdem unterliegen sie einer
§§§§§§ Sonderbelastung im Bereich der Grundsteuer. Das
§§§§§§ Bundesverfassungsgericht hat es daher schon bisher als in der
§§§§§§ Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liegend angesehen, die
§§§§§§ Land- und Forstwirte nicht der Gewerbesteuer zu unterwerfen.

§§§ 3. Schließlich reduzieren verschiedene Anrechnungs- oder
§§§§§§ Kompensationsbestimmungen im Einkommensteuerrecht, die die
§§§§§§ “Doppelbelastung” der Gewerbebetriebe mit Einkommen- und
§§§§§§ Gewerbesteuer mindern oder weitgehend beseitigen sollen, das
§§§§§§ Gewicht der Ungleichbehandlung zwischen Gewerbetreibenden und
§§§§§§ freien Berufen, sonstigen Selbständigen und Land- und
§§§§§§ Forstwirten im Ergebnis beträchtlich und schließen damit
§§§§§§ ebenfalls die Annahme einer willkürlichen Entscheidung des
§§§§§§ Gesetzgebers aus.

II. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG (“Abfärberegelung”) ist mit dem
§§§ Gleichheitssatz vereinbar. Die hieraus folgende Ungleichbehandlung
§§§ der gemischt tätigen Personengesellschaft gegenüber dem
§§§ Einzelunternehmer, der im Gegensatz zur Personengesellschaft
§§§ gleichzeitig mehrere verschiedene Einkunftsarten verwirklichen
§§§ kann, ist durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt.

§§§ Die Regelung verfolgt in erster Linie das Ziel, die Ermittlung der
§§§ Einkünfte gemischt tätiger Personengesellschaften zu vereinfachen,
§§§ indem sie alle Einkünfte typisierend auf die Einkunftsart
§§§ gewerblicher Einkünfte konzentriert. Der Einwand, die
§§§ Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Einkünfte und Abgrenzung der
§§§ Einkunftsarten bestünden in gleicher Weise beim Einzelunternehmer,
§§§ vernachlässigt die Dimension der Probleme bei den
§§§ Personengesellschaften. Im Fall des Einzelsteuerpflichtigen geht es
§§§ um die Abgrenzung mehrerer Einkunftsarten bei einem Steuersubjekt.
§§§ Bei einer Personengesellschaft hingegen ist die Abgrenzung mehrerer
§§§ Einkunftsarten bei mehreren Steuerpflichtigen erforderlich, die
§§§ diese zudem noch in unterschiedlicher Intensität verwirklichen
§§§ können. Dies eröffnet eine Vielfalt von Kombinationsmöglichkeiten
§§§ an Tätigkeiten und Vermögensobjekten mit Einkunftsarten und
§§§ Steuerpflichtigen bei einer Personengesellschaft, die die
§§§ Möglichkeiten eines Einzelunternehmers bei weitem übertreffen.
§§§ Außerdem ist die Einkünfteermittlung bei der Personengesellschaft
§§§ durch eine ganze Reihe von steuerlichen Besonderheiten
§§§ gekennzeichnet, die beim Einzelunternehmer fehlen. Angesichts
§§§ dieser Schwierigkeiten ist es von Verfassung wegen nicht zu
§§§ beanstanden, dass der Gesetzgeber bei den Personengesellschaften
§§§ ein gewichtiges Vereinfachungsbedürfnis im Hinblick auf die
§§§ Ermittlung der Einkünfte gesehen hat.

§§§ Ein weiterer legitimer Zweck der Regelung besteht in der Sicherung
§§§ des Gewerbesteueraufkommens. Die Abfärberegelung soll verhindern,
§§§ dass infolge unzureichender Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen
§§§ verschiedenen Tätigkeiten einer Gesellschaft gewerbliche Einkünfte
§§§ der Gewerbesteuer entzogen werden.
§§
§§§ Die mit der Typisierung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG für die
§§§ Personengesellschaften verbundenen Nachteile stehen in einem
§§§ vertretbaren Verhältnis zu den mit der Regelung verfolgten Zielen.
§§§ Das Gewicht der mit ihr einhergehenden Ungleichbehandlung der
§§§ Personengesellschaften ist zwar erheblich. Die Belastung wird
§§§ allerdings vor allem durch die Möglichkeit gemildert, der
§§§ Abfärberegelung durch gesellschaftsrechtliche Gestaltung
§§§ auszuweichen, die mit keinen nennenswerten Belastungen oder Risiken
§§§ verbunden ist.

Pressemitteilung Nr. 58/2008 vom 28. Mai 2008

Beschluss vom 15. Januar 2008 – 1 BvL 2/04 –