Die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen des Kindes in den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4
Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Für die Berücksichtigungsfähigkeit
von Kindern im Familienleistungsausgleich sind daher die Einkünfte des Kindes um
Sozialversicherungsbeiträge zu mindern. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Rechtlicher Hindergrund und Sachverhalt:
Im Rahmen des Familienleistungsausgleichs erhalten unterhaltspflichtige Eltern Kindergeld und verschiedene
Freibeträge. Voraussetzung hierfür ist, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes die Freigrenze
des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschreiten. Im Streitjahr 1998 lautete dessen Fassung wie folgt:
„Nach Satz 1 Nr. 1 und 2 wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte
und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt
oder geeignet sind, von nicht mehr als 12.000 Deutsche Mark im Kalenderjahr
hat;…„
Die Beschwerdeführerin (Bf) bezog bis 1997 für ihren Sohn Kindergeld. Seit August 1997 ließ sich der
Sohn zum Industriemechaniker ausbilden. Im Jahr 1998 errechnete das Arbeitsamt – Familienkasse –
aus der Ausbildungsvergütung des Sohnes Einkünfte in Höhe von 12.489,– DM und legte diesen Wert
als Bemessungsgröße der Freigrenze in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu Grunde. Da die Freigrenze überschritten
war, setzte die Familienkasse das Kindergeld ab 1. Januar 1998 auf 0,– DM fest. Bei der Ermittlung
der Bemessungsgröße blieb unberücksichtigt, dass der Sohn im Streitjahr Sozialversicherungsbeträge
in Höhe von 3.078,38 DM zahlen musste. Die Bf klagte vor dem Finanzgericht und Bundesfinanzhof
(BFH) erfolglos gegen die Versagung des Kindergelds. Auf ihre Verfassungsbeschwerde (Vb)
hin hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des BFH auf, da sie die Bf in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz) verletzt. Das Verfahren wurde an den BFH zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen in den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG
benachteiligt unterhaltsverpflichtete Eltern von Kindern, die sozialversicherungspflichtige Einkünfte oberhalb
der Freigrenze beziehen. Eine Benachteiligung liegt zum einen vor gegenüber Eltern, deren Kinder
keine Bezüge haben, zum anderen gegenüber Eltern, deren Kinder Mittel in einer Höhe beziehen, die
noch unterhalb der Freigrenze bleiben, jedoch dieselbe Höhe erreichen, die sich bei sozialversicherungspflichtigen
Einkünften oberhalb der Freigrenze erst nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge ergeben.
Für eine Benachteiligung dieser Gruppe unterhaltspflichtiger Eltern fehlen hinreichende Gründe:
Zweck der Begrenzung von Ansprüchen gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist es, diejenigen Eltern von
finanziellen Entlastungen durch Freibeträge und Kindergeld auszuschließen, deren Kinder über eigene
Einkünfte und Bezüge in einer das zu schützende Existenzminimum übersteigenden Höhe verfügen. In
diesen Fällen entfällt oder mindert sich zugleich die Unterhaltspflicht der Eltern. Folglich entscheidet für
die Einbeziehung von Mitteln des Kindes die mögliche Entlastungswirkung solcher Mittel bei den Eltern.
Denn auf deren Leistungsfähigkeit kommt es für die Gewährung und Begrenzung von Kindergeld und
Kinderfreibeträgen an.
Stellt man beim Jahresgrenzbetrag auf Mittel ab, die eine effektive Entlastung der Eltern nicht bewirken
können, so wird einer Teilgruppe von Eltern die staatliche Entlastung zweckwidrig verweigert. Dies ist
der Fall bei der Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen in den Jahresgrenzbetrag des § 32
Abs. 4 Satz 2 EStG. Sie werden vom Arbeitgeber abgeführt und sind daher dem Einkünfte erzielenden
Kind oder dessen Eltern nicht verfügbar. Deshalb können sie keine Entlastung bei den Eltern bewirken.
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist daher verfassungskonform so auszulegen, dass sowohl von den Bezügen als
auch von den Einkünften nur diejenigen in den Jahresgrenzbetrag einfließen, die zur Bestreitung des Unterhalts
oder der Berufsausübung bestimmt oder geeignet sind.
Beschluss vom 11. Januar 2005 – 2 BvR 167/02 –
Karlsruhe, den 13. Mai 2005