BVerfG: Besteuerung von privaten Wertpapiergeschäften für den Veranlagungszeitraum 1999 verfassungsgemäß

Der Beschwerdeführer erklärte in seiner Einkommensteuererklärung für
den Veranlagungszeitraum 1999 einen Gewinn aus der Veräußerung von
Wertpapieren in Höhe von insgesamt 70 276 DM. Entsprechend der
Erklärung berücksichtigte das Finanzamt diesen Gewinn im
Einkommensteuerbescheid für 1999. Hiergegen legte der Beschwerdeführer
Einspruch ein. Er ist der Auffassung, die steuerliche Erfassung seines
Gewinns aus der Veräußerung der Wertpapiere sei verfassungswidrig. Die
Besteuerung von privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 EStG leide auch in der Fassung ab 1999 an einem Vollzugsdefizit,
das entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März
2004 eine Ungleichheit im Belastungserfolg bewirke. Sein Einspruch und
die sich hieran anschließenden Klagen vor den Finanzgerichten blieben
ohne Erfolg.

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Ein
strukturelles Vollzugsdefizit hinsichtlich der Besteuerung von privaten
Wertpapiergeschäften für den Veranlagungszeitraum 1999, das zur
Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG führt, kann
nicht festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat seit 1998 das im
Regelfall der Besteuerung zur Anwendung kommende
Ermittlungsinstrumentarium der Finanzbehörden kontinuierlich erweitert
und so im Ergebnis nahezu lückenlose Kontrollmöglichkeiten geschaffen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Für die Würdigung der für den Veranlagungszeitraum 1999 maßgeblichen
Vollzugspraxis kommt es auch auf solche Veränderungen der gesetzlichen
Ermittlungsinstrumente an, die erst nach Ablauf der Erklärungsfristen
im Februar 2001, aber noch innerhalb der danach laufenden allgemeinen
Festsetzungsfrist bis zum Ablauf des Jahres 2005 geschaffen wurden und
die sich deshalb auf die Veranlagungspraxis für das Jahr 1999 auswirken
konnten. Danach sind für den Zeitraum ab 1999 sowohl faktische als auch
normative Veränderungen gegenüber den Vorjahren festzustellen, die
zusätzliche Anreize zur ordnungsgemäßen Erfüllung der
Erklärungspflichten geschaffen haben und die das Entdeckungsrisiko für
den Steuerpflichtigen bei der Abgabe mangelhafter Erklärungen erhöht
haben. Zu nennen sind insbesondere folgende Instrumente:

Das Steuerentlastungsgesetz vom 24. März 1999 erweiterte die
Verlustverrechnungsmöglichkeiten bei privaten Veräußerungsgeschäften ab
dem Veranlagungszeitraum 1999. Seither konnten Verluste aus privaten
Veräußerungsgeschäften auch die Einkünfte mindern, die der
Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen
Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus
privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat oder erzielt. Diese
Regelung traf im Jahr 2000 zusammen mit einer negativen Kursentwicklung
auf den Kapitalmärkten und musste für wirtschaftlich denkende
Steuerpflichtige einen erheblichen Anreiz dafür bilden, im Jahr 1999
(und in den Folgejahren) erzielte Veräußerungsgewinne offen zu legen,
weil und soweit dadurch solche Gewinne ohne die mit einer
Steuerhinterziehung verbundenen Entdeckungsrisiken steuerlich
neutralisiert werden konnten. Jedenfalls aber war bei einer
Geltendmachung nur von Verlusten ab dem Jahr 2000 das Risiko
entsprechender Nachfragen und Nachforschungen der Finanzämter nach
Veräußerungsgewinnen deutlich erhöht.

Durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember
2003 schuf der Gesetzgeber die Rechtsgrundlagen für den automatisierten
Abruf von Kontoinformationen. Mit der Ermächtigung zum Kontenabruf war
für die Finanzbehörden die Möglichkeit geschaffen, noch innerhalb des
Laufs der für den Veranlagungszeitraum 1999 typischen Festsetzungsfrist
bis zum Ablauf des Jahres 2005 zusätzliche Informationen über mögliche
Veräußerungsgewinne zu erhalten. Zwar ist das Kontenabrufverfahren erst
mit Wirkung ab dem 1. April 2005 eingeführt worden. Dennoch können
dadurch Erkenntnisse auch bezogen auf das Streitjahr 1999 gewonnen
werden, da in die vom Kreditinstitut zu führende Datei auch der Tag der
Errichtung eines Depots aufzunehmen ist. Die Möglichkeit des
Kontenabrufs war spätestens mit Verkündung der Neuregelung vom 23.
Dezember 2003 im Bundesgesetzblatt allgemein bekannt. Sie konnte durch
das erkennbar steigende Entdeckungsrisiko als Anreiz zu
wahrheitsgemäßen Nacherklärungen auch nicht unerhebliche Vorwirkungen
entfalten.

Zu berücksichtigen ist auch die Verstärkung der
Ermittlungsmöglichkeiten durch den neu gefassten § 45d EStG, wonach
Mitteilungen von Kreditinstituten an das Bundesamt für Finanzen über
vom Steuerabzug freigestellte Kapitalerträge ab dem
Veranlagungszeitraum 1999 auch zur Durchführung eines Steuerverfahrens
oder eines Straf- bzw. Bußgeldverfahrens verwendet werden dürfen. Die
Finanzverwaltung nutzte dieses Kontrollverfahren nicht nur um
herauszufinden, ob und bei welchen Kreditinstituten der
Steuerpflichtige Kapitalerträge hat freistellen lassen, sondern auch
dazu, Einkünfte aus Wertpapierveräußerungsgeschäften zu ermitteln.