BVerfG: Begrenzung der steuerlichen Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten Alleinerziehender verfassungswidrig

Das Gebot horizontaler Steuergleichheit und das Verbot der Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen
verbieten es, die einkommensteuerliche Freistellung der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten
alleinerziehender Elternteile um eine zumutbare Belastung zu kürzen. Dies entschied der Zweite
Senat des Bundesverfassungsgerichts.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

Nach § 33c Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) können Alleinstehende ihre erwerbs- oder krankheitsbedingten
Kinderbetreuungskosten bis zu einem bestimmten Höchstbetrag (§ 33c Abs. 3 EStG) als
außergewöhnliche Belastungen steuerlich absetzen. Durch das Jahressteuergesetz 1997 wurde § 33c
Abs. 1 Satz 1 EStG im letzten Halbsatz dahingehend ergänzt, dass Betreuungskosten nur nach Abzug
einer zumutbaren Belastung berücksichtigt werden.

Die Klägerin im Ausgangsverfahren ist geschieden. Im Streitjahr 1997 erzielte sie Einkünfte aus nichtselbstständiger
Arbeit. Ihre damals 8-jährige Tochter lebte in ihrem Haushalt. Für deren Betreuung
wandte die Klägerin im Streitjahr 1997 1.820,– DM auf und machte diesen Betrag in ihrer Steuererklärung
geltend. Das beklagte Finanzamt berücksichtigte nur 904,– DM der Kinderbetreuungskosten, da
es die entstandenen Aufwendungen um eine zumutbare Belastung in Höhe von 916,– DM kürzte. Im
folgenden Klageverfahren setzte das Finanzgericht Berlin das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht
die Frage zur Entscheidung vor, ob § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG verfassungswidrig
und daher nichtig sei, soweit Kinderbetreuungskosten erst nach Abzug einer zumutbaren
Belastung berücksichtigt werden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 GG Abs. 1) gebietet, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit
gleich hoch zu besteuern (“horizontale” Steuergerechtigkeit). Eine verminderte Leistungsfähigkeit
durch eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind muss in diesem Vergleich berücksichtigt werden.
Art. 6 Abs. 1 GG verbietet es, Eltern und alleinerziehende Elternteile gegenüber Kinderlosen zu
benachteiligen.

Kinderbetreuungskosten, die wegen der Erwerbstätigkeit eines allein stehenden Elternteils zwangsläufig
erwachsen, mindern dessen finanzielle Leistungsfähigkeit. Kinderlose mit gleichem Einkommen haben
eine solche Einbuße an finanzieller Leistungsfähigkeit nicht. Das Gebot der horizontalen Steuergleichheit
sowie das Benachteiligungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 GG gebieten daher zumindest, die durch erwerbsbedingte
Kinderbetreuungskosten entstandene tatsächliche Minderung der finanziellen Leistungsfähigkeit
zu berücksichtigen. Sie müssen daher als zwangsläufige Aufwendungen der grundrechtlich geschützten
privaten Lebensführung grundsätzlich in realitätsgerechter Höhe abziehbar sein.
Die Abzugsbeschränkung bei Kinderbetreuungskosten durch Anrechnung einer zumutbaren Belastung
(§ 33 Abs. 3 EStG) lässt sich nicht unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis
rechtfertigen. Mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG wäre allein eine typisierende Beschränkung vereinbar,
die das Ziel verfolgt, zwar tatsächlich entstandene, aber über das notwendig zu berücksichtigende
Maß hinaus gehende Kinderbetreuungskosten vom Abzug auszuschließen. Insoweit ist der Gesetzgeber
berechtigt, mit einer sachgerechten Pauschalierung eine Obergrenze festzulegen. Dem wird die Anrechnung
einer zumutbaren Belastung gem. § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 1997 nicht gerecht.
Diese Anrechnung wirkt sich in allen Fällen als Kürzung der Höchstbeträge aus, in denen der Aufwand
für die Kinderbetreuung die Höhe des jährlich ohne weiteres abziehbaren Pauschbetrages von 480,–
DM (§ 33c Abs. 4 EStG 1997) übersteigt, aber auf Grund des Abzugs der zumutbaren Belastung unterhalb
des Höchstbetrages liegt.

Aus der Verfassungswidrigkeit der Begrenzung der Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten von
Alleinstehenden folgt mit rückwirkender Wirkung die Nichtigkeit von § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz
EStG 1997.

Beschluss vom 16. März 2005 – 2 BvL 7/00 –

Karlsruhe, den 24. Mai 2005