In Einzelfällen kann ein Sozialleistungsträger verpflichtet sein, einem Versicherten die
gesamten Kosten einer selbstbeschafften höherwertigen Hörgeräteversorgung zu erstatten.
Dies gilt auch dann, wenn die Kosten den in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden
Festbetrag erheblich übersteigen. Dies entschied die 1. Kammer des Sozialgerichts Koblenz unter
dem Vorsitz des Präsidenten des SG Hans-Dieter Binz in diesen Tagen und sprach einem Kläger die
Gesamtaufwendungen für eine neue digitale Hörgeräteversorgung in Höhe von 2.633,70 € zu.
Der Kläger benötigt wegen der Folgen einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit
(Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung) eine Versorgung mit
digitalen Hörgeräten. Er ist seit mehr als 30 Jahren als Dirigent eines Blasorchesters und seit
26 Jahren in der Ausbildung des Nachwuchses tätig und suchte sich spezielle Hörgeräte aus, die
ihm das Fortführen dieser Tätigkeit ermöglichten. Die Trägerin der gesetzlichen
Unfallversicherung beschränkte ihre Leistungspflicht allerdings auf die Übernahme eines
Kostenanteils in Höhe des in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Festbetrages
(982,19 €). Sie begründete dies damit, dass sie grundsätzlich nur in dieser Höhe eine
Hilfsmittelversorgung zu gewährleisten habe und nur für den Fall etwas anderes gelte, dass sich
das Ziel der Heilbehandlung durch Festbetragsgeräte nicht erreichen lasse. Zum Ausgleich der
berufsbedingten Hörstörung des Klägers reiche jedoch die Ausstattung mit einem Festbetragsgerät
us. Lediglich für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Dirigent und Ausbilder für den Nachwuchs benötige er eine höherwertige Ausstattung. Dafür entstehende Mehrkosten habe sie jedoch nicht
zu übernehmen. Die selbstbeschafften Hörgeräte dienten nämlich weder dem Ausgleich einer
besonderen Härte noch seien diese als “besondere Unterstützung” im Sinne des § 39 Absatz 2
Sozialgesetzbuch (SGB) VII zu gewähren.
Die 1. Kammer des Sozialgericht teilte diese Auffassung des Unfallversicherungsträgers jedoch
nicht. Sie stützte ihre Entscheidung auf § 39 Absatz1 Nr. 2 SGB VII. Diese Vorschrift umfasse
auch sonstige Leistungen zur Erreichung und Sicherstellung des Rehabilitationserfolges im
Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Es handele sich hierbei um einen
Auffangtatbestand für besondere Fallgestaltungen. Dieser finde im Falle des Klägers Anwendung,
der wegen der Auswirkungen einer berufsbedingten Gesundheitsschädigung um die Sicherstellung
der angemessenen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft streite. Vorrangiges Ziel der
Rehabilitationspflicht des Leistungsträgers sei die möglichst umfassende und dauerhafte
Rehabilitation des durch einen Versicherungsfall im Sinne des SGB VII Geschädigten. Der Kläger
benötige die von ihm selbstbeschafften Hörgeräte zur Kompensation der Folgen der anerkannten
Berufskrankheit im Rahmen einer für ihn sehr bedeutsamen privaten Betätigung im
gesellschaftlichen Leben. Um sein jahrzehntelanges Engagement als Dirigent und Ausbilder des Nachwuchses fortsetzen zu können, sei er auf eine für das Musikhören speziell geeignete
Hörgräteversorgung angewiesen. Dazu seien Standardgeräte nachweislich nicht geeignet. Vor allem
das Hören von hohen Tönen, z.B. Flötentönen, sei nicht mit Festbetragsgeräten möglich. Es
handele sich bei der ehrenamtlichen Tätigkeit des Klägers nicht um eine unwichtige private,
sondern eine sein Leben prägende Verrichtung, die nicht beliebig durch andere Engagements
austauschbar sei. Da die vom Kläger nach intensiver Testung angeschafften Hörgeräte seine
berufsbedingte Hörbeeinträchtigung im Hinblick auf sein ehrenamtliches Engagement am besten
kompensierten und die Beklagte dies weder in Abrede stelle noch vorbringe, dass es Hörgeräte
anderer Hersteller gebe, die eine vergleichbar gute Hörleistung zu niedrigen Kosten böten, sei
sie zur Kostenerstattung zu verurteilen gewesen.
Urteil vom 21.02.06, Az S 1 U 220/05