Eine fiktive Zugehörigkeit zur AVItech am 1.8.1991 setzt ua die Ausübung einer entsprechenden Beschäftigung am 30.6.1990 voraus; damalige Invalidenrentner, die am 30.6.1990 keine solche Teilzeitarbeit verrichtet haben, waren nicht beschäftigt.
Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass die Klagen gegen die ablehnende Entscheidung des beklagten Versorgungsträgers (ein Rentenversicherungsträger darf solche Entscheidungen schlechthin nicht treffen), für den Kläger Daten nach § 8 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) auf Grund einer fiktiven Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen, unbegründet sind. Der Kläger, ein Diplom-Ingenieurökonom, war in der DDR in kein Versorgungssystem einbezogen worden. Er war beim VEB M.-T.-Werft als Leiter der EDV-Organisation beschäftigt. 1987 erlitt er einen Unfall und war ab 1.7.1987 zunächst arbeitsunfähig krank und bezog Krankengeld, ab 1.8.1987 erhielt er Invalidenrente und Zusatzinvalidenrente aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung zur Sozialversicherung (FZR). Während des Bezuges des Krankengeldes und der Invalidenrenten verrichtete er keine Arbeit; das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber bestand jedoch fort. Im Herbst 1990 zog der Kläger in eine rollstuhlgerechte Wohnung um. Ab 2.1.1991 war er wieder als EDV-Systemanalytiker bei der M. T.-Werft beschäftigt.
Der Kläger kann sein Begehren nicht auf § 8 AAÜG stützen, weil das AAÜG gemäß § 1 Abs 1 aaO auf ihn nicht anwendbar ist. Dem persönlichen Geltungs- und Anwendungsbereich dieses am 1.8.1991 in Kraft getretenen Gesetzes unterfallen nur Personen, die bei Ablauf des 31.7.1991 nach dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Bundesrecht in ein Versorgungssystem einbezogen waren (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG), zu denen der Kläger augenfällig nicht gehört; ferner unterfallen ihm gemäß § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG solche Personen, die zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 1.7.1990 in der DDR in ein Versorgungssystem einbezogen waren, jedoch nach den Regeln dieses Systems (also rechtmäßig aus bundesrechtlicher Sicht) ausgeschieden waren. Auch zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht, weil er in der DDR niemals in ein Versorgungssystem einbezogen war. In erweiternder verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift hat das BSG den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG auch für einen weiteren Kreis von Personen als eröffnet angesehen, die wie die in § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG ausdrücklich genannten bei Ablauf des 31.7.1991 ebenfalls in kein Versorgungssystem einbezogen waren. Voraussetzung hierfür ist aber, dass sie nach dem bei Ablauf des 31.7.1991 gültigen Bundesrecht auf Grund der vor der Schließung der Versorgungssysteme mit Beginn des 1. Juli 1990, also am 30. Juni 1990, gegebenen tatsächlichen Lage am 31.7.1991 einen bundesrechtlichen Anspruch auf Einbeziehung in ein Versorgungssystem gehabt hätten, wenn es das verfassungsgemäße Neueinbeziehungsverbot des Einigungsvertrages (EinigVtr) nicht gäbe. Nur so kann ab Inkrafttreten des AAÜG am 1.8.1991 eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen den Personen vermieden werden, die am 31.7.1990 nach Bundesrecht rechtmäßig nicht einbezogen waren, aber durch § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG ab 1.8.1991 in Durchbrechung des Neueinbeziehungsverbots den zumeist begünstigenden Regelungen nur der §§ 5 bis 8 AAÜG unterstellt wurden, und denjenigen Personen, die nach den Maßstäben desselben Bundesrechts auf Grund der unmittelbar vor der Schließung der Versorgungssysteme am 1.7.1990, also am 30.6.1990, gegebenen tatsächlichen Umstände rechtswidrig nicht einbezogen waren. Die verfassungskonforme Auslegung bezieht sich also ausschließlich auf die in § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG am 1.8.1991 vorgenommene Durchbrechung des Neueinbeziehungsverbotes und gleicht deren verfassungswidrige Folgen aus. Die in § 5 AAÜG umschriebenen Voraussetzungen der Tatbestände von “Zugehörigkeitszeiten” sind für den persönlichen Geltungsbereich des AAÜG, der abschließend in § 1 Abs 1 dieses Gesetzes geregelt ist, irrelevant.
Der Kläger fällt aber auch nicht unter diesen in erweiternder Auslegung verstandenen persönlichen Geltungsbereich. Es kommt bei ihm nur eine fiktive Zugehörigkeit zur AVItech in Betracht. Zwar erfüllt er die persönliche Voraussetzung, den Titel eines Ingenieurs führen zu dürfen; auch bestand nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG sein Arbeitsverhältnis mit dem VEB, der ein Produktionsbetrieb der Industrie war, fort. Jedoch hat das LSG zutreffend erkannt, dass der Kläger mangels tatsächlicher Ausübung einer Beschäftigung am 30.6.1990 die sachliche Voraussetzung der Verordnung über die AVItech nicht erfüllt hat. Anders als bei der Auslegung des Ausdrucks “Beschäftigung” iS von § 5 Abs 1 Satz 1 AAÜG (BSG SozR 4 8570 § 5 Nr 1 S 8 f) kommt es hier nicht auf den Beschäftigungsbegriff des § 1 Abs 1 Satz 1 SGB VI iVm § 7 Abs 1 SGB IV an. Maßgeblich sind (§ 1 Abs 1 AAÜG) vielmehr die am 1.8.1991 nach Maßgabe des Art 9 des EinigVtr als Bundesrecht geltenden leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme und die sonstigen zu Bundesrecht gewordenen abstrakt-generellen Regelungen, die von den zuständigen Rechtsetzungsorganen der DDR in der vorgesehenen Form getroffen worden waren (BSG SozR 4 8570 § 1 Nr 6 S 35). Nur für das Sprachverständnis dieser Texte ist auf den staatlichen Sprachgebrauch der DDR am 30.6.1990 abzustellen; denn diese Texte beziehen sich auf Gegebenheiten in der DDR und sind Gegenstand und Anknüpfungspunkt der Reformgesetzgebung der demokratisierten DDR ab 1.7.1990 gewesen.
Allerdings finden sich für die Frage, ob eine Beschäftigung auch dann ausgeübt wurde, wenn am 30.6.1990 das Arbeitsverhältnis zwar fortbestand, eine Arbeit aber infolge von Unfall, Krankheit und Invalidität nicht verrichtet wurde, klärende Texte weder in den zu Bundesrecht gewordenen Bestimmungen der VO-AVItech noch des Arbeitsgesetzbuches (AGB) der DDR. Ausschlaggebende Hinweise finden sich jedoch in den zu Bundesrecht gewordenen Bestimmungen der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO) vom 17.11.1977. Daraus ist zu entnehmen, dass auch im Sprachgebrauch der DDR bei einer Nichtverrichtung der Arbeit ua infolge Krankheit zwischen sozialpflichtversicherungsschädlichen und sozialpflichtversicherungsunschädlichen Sachverhalten unterschieden wurde. Nach § 3 Buchst a SVO trat bei einer Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit keine Unterbrechung der Sozialpflichtversicherung ein. Demgegenüber führte eine nachfolgende “Invalidität” bei gleichzeitiger Nichtverrichtung einer Arbeit dazu, dass sich das (fortbestehende) Sozialpflichtversicherungsverhältnis inhaltlich auf Renten- und Sachleistungsansprüche (§ 8 Buchst a SVO) bei Beitragsbefreiung (§ 15 SVO) beschränkte. Eine länger andauernde Nichtverrichtung der Arbeit (ua eine Freistellung der Werktätigen von der Arbeit für länger als drei Wochen) führte zu einer Unterbrechung der Pflichtversicherung (§ 4 SVO).
Bei Empfängern von Renten der Sozialversicherung, zB Invalidenrentnern, die keine Arbeit verrichteten, änderte sich das Sozialpflichtverhältnis inhaltlich. Abweichend hiervon waren in § 3 SVO Tatbestände geregelt, in denen bei vorübergehender zeitlich begrenzter Nichtverrichtung der Arbeit (ua infolge Krankheit) ausnahmsweise keine Unterbrechung der Sozialpflichtversicherung eintrat. Arbeitsunfähigkeit lag nach dem Sprachgebrauch der DDR dann vor, wenn der Werktätige infolge Krankheit, Arbeitsunfall oder Berufskrankheit zeitlich begrenzt nicht mehr in der Lage war, seine Arbeitsaufgabe, auch nicht unter erleichterten Bedingungen, zu erfüllen. Die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit löste den arbeitsrechtlichen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit aus, dieser wiederum den weiteren arbeitsrechtlichen Anspruch auf Krankengeld nach §§ 282 ff AGB, §§ 24 ff SVO. Dieses wurde bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit oder bis zum Eintritt der Invalidität oder bis zur Festsetzung der Unfallrente, längstens aber für 78 Krankheitswochen gezahlt. Wurde festgestellt, dass mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bis zum Ablauf der 78. Woche der Arbeitsunfähigkeit nicht zu rechnen war, erfolgte eine Begutachtung zur Feststellung der Invalidität. Demgegenüber lag “Invalidität” nach § 8 Abs 1 der zu Bundesrecht gewordenen Rentenverordnung vom 23.11.1979 dann vor, wenn durch Krankheit, Unfall oder sonstige geistige oder körperliche Schädigung das Leistungsvermögen und der Verdienst um mindestens zwei Drittel gemindert waren und die Minderung des Leistungsvermögens in absehbarer Zeit durch Heilbehandlung nicht behoben werden konnte (Sonderregelung für Blindengeld- oder Sonderpflegegeldempfänger). Invalidenrentner hatten einen Rechtsanspruch auf Teilbeschäftigung in dem von ihnen gewünschten Umfang.
Der Kläger hat am 30.6.1990 als Invalidenrentner keine (Teilzeit )Arbeit tatsächlich verrichtet, ohne dass ein Fortsetzungstatbestand iS von § 3 SVO erfüllt war. An diesem Tage lag also nicht nur eine vorübergehende (zeitlich begrenzte) krankheitsbedingte Nichtverrichtung der Arbeit von in der Regel verhältnismäßig kurzer Dauer vor; vielmehr hatte der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG zu diesem Zeitpunkt als Invalidenrentner fast drei Jahre lang keine Arbeit mehr verrichtet und damit nur in einem auf Renten- und Sachleistungsansprüche beschränkten Sozialpflichtversicherungsverhältnis gestanden. Er hat also am 30.6.1990 keine seiner Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit mehr ausgeübt. Nicht erheblich ist, ob dies wirklich daran gelegen hat, dass der Kläger zur damaligen Zeit keine rollstuhlgerechte Wohnung hatte. Denn auf diese Umstände stellten die am 31.7.1990 als Bundesrecht gültigen Regelungen über die AVItech nicht ab.
SG Schwerin – S 1 RA 271/02 –
LSG Mecklenburg-Vorpommern – L 4 RA 94/03 – – B 4 RA 3/05 R –