Blitzaustritt aus Arbeitgeberverband – Arbeitsvertraglicher Ausschluss einer tariflichen Sonderzuwendung

Die unmittelbare und zwingende Wirkung von Tarifnormen bei beiderseitiger Tarifgebundenheit
kann nicht durch ungünstigere arbeitsvertragliche Vereinbarungen beseitigt
werden (§ 4 Abs. 3 TVG); dabei bleibt es auch bei einem Ausscheiden des Arbeitgebers
aus dem Arbeitgeberverband. Der zum Zeitpunkt seines Austritts vollwirksame
Tarifvertrag gilt weiter zwingend, bis er geendet hat oder geändert worden ist
(§ 3 Abs. 3 TVG, sog. Nachbindung). Danach wirken die Normen des Tarifvertrages
nur noch nach (§ 4 Abs. 5 TVG) und können durch eine einzelvertragliche andere
Abmachung – auch verschlechternd – abgeändert werden.
Diese Nachwirkung tritt aber auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber noch tarifgebunden
ist, immer dann ein, wenn der Tarifvertrag durch Kündigung oder infolge
Fristablaufs geendet hat.
Verweist ein Tarifvertrag auf die Regelungen eines anderen Tarifvertrages, tritt
Nachwirkung auf jeden Fall ein, wenn der Verweisungstarifvertrag abläuft. Ob das
auch gilt, wenn nur der in Bezug genommene Tarifvertrag endet, ob also der nachwirkende
Geltungszustand des Bezugstarifvertrages auch im Geltungsbereich des
Verweisungstarifvertrages eintritt, ist durch Auslegung des Verweisungstarifvertrags
zu ermitteln.
Der Kläger war seit Januar 2002 auf Grund mehrerer befristeter Verträge als studentische
Hilfskraft bei der beklagten Universität beschäftigt. In den Arbeitsverträgen
war die Anwendbarkeit des Tarifvertrages für studentische Hilfskräfte II (TV Stud II)
vereinbart, der hinsichtlich der Zuwendung auf den Tarifvertrag über die Zuwendung
für Angestellte (ZuwendungsTV) verweist. Der TV Stud II ist von dem Verband von
Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes (VAdöD), dessen Mitglied die Beklagte jedenfalls
bis Anfang 2003 war, und der Gewerkschaft ver.di, der der Kläger später, zum 1.
Dezember 2004, beigetreten ist, abgeschlossen worden. Am 7. Januar 2003 beschloss
der Vorstand der VAdöD unter Berufung auf eine Bestimmung der Verbandssatzung,
den Hochschulen des Landes Berlin die Möglichkeit eines Austritts
aus dem Verband ohne Einhaltung der regelmäßigen Frist von sechs Monaten zum
Monatsende zu eröffnen. Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 10. Januar
2003 ihren sofortigen Austritt aus dem VAdöD („Blitzaustritt“). Durch den „Tarifvertrag
vom 31. Januar 2003 zur Änderung der Zuwendungstarifverträge“ wurde der
ZuwendungsTV hinsichtlich der die Höhe der Zuwendung bestimmenden Protokollnotizen
geändert. Beide Tarifverträge sind vom Bund, der TdL (Tarifgemeinschaft der Länder) und der VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) vereinbart
worden. Jedenfalls die TdL kündigte den ZuwendungsTV zum 30. Juni 2003.
Die Beklagte vereinbarte mit dem Kläger beginnend mit dem Änderungsvertrag vom
17. Dezember 2003 mit Wirkung ab 17. Januar 2004, dass der gekündigte ZuwendungsTV
nicht mehr maßgeblich sein solle und zahlte dem Kläger die Zuwendung
nur anteilig bis Januar 2004. Sie berief sich auf die vertragliche Abbedingung des
ZuwendungsTV sowie darauf, die zwingende Wirkung des ZuwendungsTV habe für
sie und die tarifgebundenen Arbeitnehmer im Frühjahr 2003 geendet, bevor der Kläger
am 1. Dezember 2004 Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft geworden
sei, weil dieser Tarifvertrag nach ihrem Austritt aus dem VAdöD im Frühjahr 2003
geändert worden sei. Die vertragliche Abbedingung sei damit wirksam. Der Kläger
verlangt die – restliche – Zuwendung für das Jahr 2004 und meint, der Austritt der Beklagten
aus dem Arbeitgeberverband sei erst nach der Änderung des ZuwendungsTV
wirksam geworden, weshalb die Nachbindung der Beklagten an diesen Tarifvertrag
bis zu seinem Gewerkschaftsbeitritt fortbestanden habe. Da es auf die beiderseitige
Tarifgebundenheit im Dezember 2004 ankomme, gebe der ZuwendungsTV
den geltend gemachten Anspruch; die ungünstigere vertragliche Vereinbarung
sei unwirksam.
Das Bundesarbeitsgericht hat die Klage ebenso wie die Vorinstanzen abgewiesen.
Es hat aber – anders als diese – nicht auf die Wirksamkeit des „Blitzaustritts“ der Beklagten
aus dem VAdöD abgestellt. Die Unbegründetheit der Klage ergibt sich bereits
daraus, dass die Beklagte an die tarifliche Regelung über die Zuwendung in jedem
Falle ab dem 1. Juli 2003 nur noch im Zustand der Nachwirkung gebunden war. Diese
Regelung war seither einzelvertraglich abdingbar. Der ZuwendungsTV ist ein
mehrgliedriger Tarifvertrag. Die drei von den Tarifvertragsparteien auf Arbeitgeberseite
(Bund, TdL, VKA) mit ver.di geschlossenen Tarifverträge sind in einer Urkunde
zusammengefasst worden. Jede Tarifvertragspartei hat aber ihr Recht zur autonomen
Vertragsgestaltung, z.B. durch Kündigung, behalten. Die Kündigung des ZuwendungsTV
durch die TdL führte damit zur Beendigung des von der TdL abgeschlossenen
ZuwendungsTV und damit zu dessen Nachwirkung ab dem 1. Juli
2003. Die Verweisung des TV Stud II auf den ZuwendungsTV bezieht sich auf den
von der TdL abgeschlossenen Tarifvertrag. Die Beklagte ist eine Einrichtung des
Landes. Außerdem hat der VAdöD, der den TV Stud II abgeschlossen hat und dessen
Mitglied die Beklagte war, bereits 1994 in einem Tarifvertrag die Übernahme der
von der TdL abgeschossenen Tarifverträge vereinbart. Die Verweisung des TV Stud
II bezieht sich auch auf den jeweiligen Geltungszustand des in Bezug genommenen
ZuwendungsTV der TdL, so dass die tariflichen Regelungen über die Zuwendung ab
dem 1. Juli 2003 im Geltungsbereich des TV Stud II ebenfalls nur noch nachwirkten.
Durch den Änderungsvertrag vom 17. Dezember 2003 konnte deshalb ein tariflicher
Zuwendungsanspruch des Kläger auch für die Zeit nach seinem Gewerkschaftsbeitritt
zum 1. Dezember 2004 wirksam ausgeschlossen werden. Über die Wirksamkeit
des „Blitzaustritts“ war danach nicht zu entscheiden.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Mai 2008 – 4 AZR 229/07 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2007

– 7 Sa 1766/06 –