Nicht wenige Tarifverträge enthalten in unterschiedlichen Formen Regelungen, die
nur Mitgliedern der tarifschließenden Gewerkschaft Rechte einräumen sollen (sog.
Differenzierungsklausel). Zwei Grundmodelle lassen sich unterscheiden: Zunächst
die Regelungen („qualifizierte Differenzierungsklauseln“), die auf die individualrechtlichen
Gestaltungsbefugnisse des Arbeitgebers einwirken wollen, indem sie auf verschiedene
Weise sicherzustellen versuchen, dass im Ergebnis dem gewerkschaftlich
organisierten Mitarbeiter in jedem Falle mehr zusteht als demjenigen, der nicht Mitglied
der tarifschließenden Gewerkschaft ist; weniger weit gehen sog. einfache Differenzierungsklauseln, welche die Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers
zwar zur Voraussetzung für einen bestimmten materiellen Anspruch machen, die
aber keine rechtlichen Schranken dafür aufstellen, dass der Arbeitgeber auf individualvertraglicher Ebene die tariflich vorgesehene Ungleichbehandlung beseitigt. Die
letztgenannten Regelungen können nach Auffassung des Vierten Senats rechtswirksam
sein. Ob die Tarifvertragsparteien insoweit eine im Wesentlichen unbegrenzte
Regelungsbefugnis haben oder ob sie dabei an relativ enge, im Einzelnen festzulegende
Grenzen gebunden sind, musste der Senat nicht entscheiden. Etwa einzuhaltende
Grenzen hatte die zur Entscheidung stehende tarifliche Regelung jedenfalls
nicht überschritten.
Der Rechtsstreit betraf eine Mitarbeiterin eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege,
die nicht Mitglied einer Gewerkschaft war, in deren Arbeitsvertrag aber auf die einschlägigen
Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung Bezug genommen worden war.
In einem auf drei Jahre maximal fünf Jahre unter Ausschluss der Nachwirkung befristeten
„Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der Unternehmensgruppe
…“, der die Beklagte angehört, wurde eine Bestimmung des Haustarifvertrages
über eine Jahressonderzahlung „außer Kraft gesetzt“ und u.a. weiter bestimmt:
„Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlung … erhalten
die ver.di Mitglieder in jedem Geschäftsjahr … eine Ausgleichszahlung
in Höhe von 535,00 € brutto … .“.
Die Klägerin, die diese Leistung nicht erhielt, verlangte sie nun mit ihrer Klage.
Ebenso wie die Vorinstanz wies der Vierte Senat ihre Klage ab. Einen nach dem Tarifvertrag
an sich möglichen vertraglichen Anspruch auf die „Ersatzleistung“ hatte die
Klägerin nicht. Durch die Verweisung auf die einschlägigen Tarifverträge wurde nur
sichergestellt, dass deren Regelungen in ihrem Arbeitsverhältnis Anwendung finden.
Die arbeitsvertragliche Verweisung sah aber nicht vor, dass sie umfassend wie ein
Gewerkschaftsmitglied zu behandeln sein würde; die tariflichen Regelungen wirken nur zu Gunsten der Klägerin, wenn diese deren Voraussetzungen erfüllt. Das war im
Falle des Anspruchs auf die sog. Ersatzleistung wegen der fehlenden Gewerkschaftsmitgliedschaft
nicht der Fall. Die einschlägige Bestimmung war auch hinsichtlich
dieser Anspruchsvoraussetzung wirksam. In der Bestimmung, die strukturell nicht
weiter geht als die tarifvertragliche Wirkung, die das Gesetz in § 4 TVG festlegt, liegt
jedenfalls im vorliegenden Fall kein unzulässiger Druck auf Nichtorganisierte, auf ihr
Recht zu verzichten, einer Koalition fernzubleiben. Sie überschreitet auch nicht die
Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien. Die fragliche Leistung liegt nicht im
Kernbereich des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses. Sie überschreitet auch
der Höhe nach nicht die Grenze, von der an von einem nicht mehr hinnehmbaren
Druck auszugehen ist, zumal auf Seiten der am Tarifschluss Beteiligten – Gewerkschaft
wie Arbeitgeber – erhebliche, für die Erhaltung der Effektivität des Tarifvertragssystems
streitende Interessen festzustellen sind: Sanierungstarifverträge, wie
sie hier geschlossen wurden und für die vielfach ein erhebliches Interesse besteht,
werden häufig nur zustande kommen können, wenn mit den tariflichen Regelungen
auch einer durch den Tarifvertrag im übrigen ansonsten ausgelösten Tarifflucht gegengesteuert
werden kann.
Da bereits ausreichende Rechtfertigungsgründe für die vorgenommene Regelung
streiten, musste der Senat nicht entscheiden, ob es solcher Rechtfertigungsgründe
überhaupt bedurfte oder ob das in § 4 Abs. 1 TVG vorgezeichnete Regelungsmodell
eine Regelung wie die hier gewählte ihrer Art nach sogar regelmäßig erlaubt. Ebenso
wenig musste er zur Zulässigkeit der angesprochenen qualifizierten Differenzierungsklauseln
Stellung nehmen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. März 2009 – 4 AZR 64/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 11. Dezember 2007
– 5 Sa 914/07 –