BAG: Verschlechterung einer Tarifregelung über ordentliche Unkündbarkeit

Tarifvertragliche Regelungen tragen den immanenten Vorbehalt ihrer nachträglichen Änderung
durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt auch für Regelungen über einen Sonderkündigungsschutz.
Ist bisher tarifvertraglich die ordentliche Kündigung nach entsprechender Beschäftigungszeit
und ab einem bestimmten Lebensalter nicht ausnahmslos ausgeschlossen, sondern
bleibt bei bestimmten Betriebsänderungen eine ordentliche Kündigung zulässig, so sind
die Tarifvertragsparteien grundsätzlich nicht gehindert, die Ausnahmevorschrift über die Zulässigkeit
betriebsbedingter Kündigungen an geänderte Verhältnisse anzupassen (im Fall:
Erstreckung auf alle notwendigen Betriebsänderungen). Auch das Vertrauen des Arbeitnehmers,
der die tariflichen Voraussetzungen für den Sonderkündigungsschutz (Betriebszugehörigkeit,
Lebensalter) bereits erreicht hat, in die Aufrechterhaltung seines Sonderkündigungsschutzes
im bisherigen Umfang steht einer solchen Modifizierung der tariflichen Regelung
nicht entgegen.

Der 1952 geborene Kläger war seit 1984 in dem Berufsfortbildungswerk der Beklagten als
Ausbilder für die holzgewerbliche Ausbildung tätig. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis kraft
Bezugnahme anwendbaren Manteltarifvertrag, abgeschlossen zwischen der Beklagten und
der zuständigen Gewerkschaft, war ursprünglich unter bestimmten Voraussetzungen (Beschäftigungszeit
15 Jahre oder 10 Jahre und Vollendung des 50. Lebensjahrs) die ordentliche
Kündigung bei Stilllegung des Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils zulässig.
Eine Neufassung des Tarifvertrags im Jahr 2003 sah ua. vor, dass nunmehr eine ordentliche
Kündigung aus betrieblichen Gründen allgemein zulässig war, wenn sie durch notwendige
Betriebsänderungen bedingt war. Nach Inkrafttreten der tariflichen Neuregelung des Sonderkündigungsschutzes
kündigte die Beklagte dem Kläger, der nach Alter und Betriebszugehörigkeit
die Voraussetzungen des tariflichen Sonderkündigungsschutzes erfüllt, ordentlich zum
30. September 2004. Die Beklagte hat geltend gemacht, die Kündigung sei durch eine notwendige
Betriebsänderung bedingt gewesen. Sie habe sich entschlossen, die holzgewerbliche
Ausbildung nach einem Wegfall der Fördermittel einzustellen, die Bildungsstätte, in der
der Kläger tätig gewesen sei, zu schließen und weitere 45 ihrer 170 Arbeitsplätze abzubauen.
Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, da eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger
nicht mehr bestanden habe. Der Kläger hat sich demgegenüber vor allem darauf berufen,
die Neufassung der Tarifregelung über den Sonderkündigungsschutz sei wegen unzulässiger Rückwirkung insoweit unwirksam, als sie in seinen bisherigen Besitzstand eingreife.
Nach der deshalb anwendbaren ursprünglichen Fassung des Tarifvertrags sei eine ordentliche
Kündigung ausgeschlossen, da kein wesentlicher Betriebsteil stillgelegt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht
die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers blieb
erfolglos.

BAG, Urteil vom 2. Februar 2006 – 2 AZR 58/05 –

Vorinstanz: LAG Düsseldorf, Urteil vom 12. November 2004 – 9 (3) Sa 888/04 –