BAG: „Turboprämie„ in kirchlichem Regelwerk

Kollektive Regelungen, in denen für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Aussicht
gestellt wird, die aber nicht gezahlt werden soll, wenn der Arbeitnehmer den Fortbestand
des Arbeitsverhältnisses geltend macht, sind außerhalb von Sozialplänen regelmäßig
zulässig. Durch sie wird nach Grund und Höhe freiwillig ein Anspruch begründet. Er darf unter
die genannte auflösende Bedingung gestellt werden. Eine solche Regelung verfolgt erkennbar
den Zweck einer Verhaltenssteuerung. Dem betroffenen Arbeitnehmer wird eine
Gegenleistung (sog. „Turboprämie„) dafür in Aussicht gestellt, dass er eine rechtlich ohne
Weiteres mögliche, aber Kosten verursachende Behinderung der Personalmaßnahme unterlässt.
Die Regelung schließt deshalb nach ihrem Sinn und Zweck den Abfindungsanspruch
nur dann aus, wenn für den Arbeitnehmer erkennbar ist, dass er tatsächlich ein Wahlrecht
zwischen dem Abfindungsanspruch und einem Kündigungsschutzverfahren hat, und er
die letztere Möglichkeit wählt.

Die Klägerin war im Kindergarten der Beklagten, einer katholischen Kirchengemeinde, beschäftigt.
Im Arbeitsvertrag waren die vom Bischof in Kraft gesetzten Beschlüsse der Bistums-
KODA (Kommission zur Ordnung des Diözesanen Arbeitsvertragsrechts) in Bezug genommen.
Nach der Rationalisierungsschutzordnung (RaSchO) der Bistums-KODA erhalten
Mitarbeiter/innen, denen auf Grund einer Stilllegung oder Auflösung einer Einrichtung gekündigt
wird, eine Abfindung. Der Abfindungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn der/die
Mitarbeiter/in Kündigungsschutzklage erhebt. Die Beklagte kündigte der Klägerin wegen der
beabsichtigten Schließung des Kindergartens, ohne auf die Abfindungsregelung in der Ra-
SchO hinzuweisen. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und machte im Laufe des
Verfahrens hilfsweise den Abfindungsanspruch geltend. Die Beklagte bestritt bis zuletzt in
erster Linie die Anwendbarkeit der RaSchO wegen einer spezielleren arbeitsvertraglichen
Regelung. Hilfsweise berief sie sich auf den Anspruchsausschluss in der RaSchO. Nach der
erstinstanzlichen rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage hat das Landesarbeitsgericht
den Antrag auf Zahlung der Abfindung wegen der Erhebung der Kündigungsschutzklage
abgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Die Beklagte hat in der Kündigung und im Zusammenhang
mit ihr nicht auf die Wahlmöglichkeit hingewiesen. Es gibt auch keine sonstigen
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei Erhebung der Kündigungsschutzklage von diesem
Wahlrecht auszugehen hatte, zumal die Beklagte bis zuletzt die Anwendbarkeit der Ra-SchO geleugnet hat.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Mai 2006 – 4 AZR 189/05 –

Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Januar 2005 – 1 Sa 1065/04 –